GEW HSK: Stellungnahme zur beabsichtigten Schließung aller Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen zum 31.07.2014

Die Auflösung der Förderschulen im Hochsauerland sowie die Intergration und Inklusion der Förderschülerinnen und Förderschüler in das „normale“ Schulsystem wird Eltern, Schüler und Lehrer in den nächsten Jahren ganz besonders bewegen.

Es wird zu großen Veränderungen im Alltag der Schüler und Eltern, aber auch in der Organisation des Systems Schule kommen (müssen). Eine große Befürchtung vieler Beteiligter ist es, dass die Auflösung der Förderschulen vom Kreis in letzter Konsequenz als Sparpolitik und nicht als bildungspolitische Reform (Inklusion) betrieben wird.

Wir veröffentlichen hier einen sehr langen Brief der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hochsauerlandkreis (GEW-HSK) an die Ratsmitglieder und Bürgermeister der Städte und Gemeinden im Hochsauerlandkreis.

Darüber hinaus verlinkt ist ein Positionspapier des Landesarbeitskreises der Schulleiterinnen und Schulleiter von Förderschulen mit Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“

Der Brief:

Sehr geehrte Damen und Herren,

am 05.02.2013 hat der Schulausschuss des Hochsauerlandkreises beschlossen, die Verwaltung des HSK zu beauftragen, „den Prozess der Schließung aller Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen im Hochsauerlandkreis unter Federführung der jeweiligen Schulträger zum 31.07.2014 zu koordinieren.“

Sie, als Vertreterinnen und Vertreter der Schulausschüsse sowie der Stadt- und Gemeinderäte, werden nun in der nahen Zukunft (ca. Mai bis Juli 2013) gefordert sein, über die tatsächliche Schließung dieser Schulform mit allen Konsequenzen insbesondere für die betroffenen Schülerinnen und Schüler, aber auch für die aufnehmenden Regelschulen sowie die betroffenen Lehrkräfte zu entscheiden.

Mit diesem Schreiben wenden wir uns nun direkt an Sie, um Sie auf entscheidende Aspekte dieser Schließungen und vor allem die Besonderheiten der davon betroffenen Schülergruppe hinzuweisen. Denn diese sollten Sie bei Ihren Entscheidungen mit berücksichtigen.

Die derzeitige hohe Qualität der sonderpädagogischen Förderung der Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen muss aufrechterhalten werden. Können die notwendigen Rahmenbedingungen und Ressourcen bereitgestellt werden, wenn zeitgleich alle Kinder der aufgelösten Schulen in Regelschulen wechseln? Weder für die Schülerinnen und Schüler mit einem Förderbedarf noch für die ohne einen solchen dürfen sich die Lernbedingungen verschlechtern. Andernfalls würden die ehemaligen Förderschülerinnen und –schüler an ihrer neuen Schule nicht nur zu Außenseitern sondern auch zu Sündenböcken werden.

Die aktuellen Schließungspläne resultieren aus den nicht erreichten Mindestgrößen der Förderschulen. Schon seit einigen Jahren erreicht keine der Förderschulen Lernen (im weiteren Förderschule L) im HSK, außer der Fröbelschule in Arnsberg, die geforderte Schülerzahl. Dies war aber bislang kein Anlass, an die Schließung dieser Schulform im gesamten HSK zu denken. Die Sondergenehmigungen zur Weiterführung der Schulen wurden bislang stets erteilt.

Die nun angestellten Überlegungen und Beschlüsse haben das Fazit:
„Alle derzeitigen Schüler der Klassen 5-8 können in das Regelschulsystem aufgenommen werden. Nur in einzelnen Jahrgängen wären bei einer ausschließlichen Verteilung der Förderschüler L auf die Hauptschulen die Bildung neuer Klassen notwendig.“

Zu eventuell zusätzlich entstehenden Kosten werden keine Aussagen gemacht. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass beispielsweise bauliche Veränderungen oder ein Schülerspezialverkehr nicht nötig seien. (siehe Beschluss des Schulausschusses des HSK)

Ist es wirklich so einfach, Schüler aus gewachsenen Schulgemeinschaften in neue Systeme zu „verteilen“?

Bis zu Beginn des Schuljahres 2014/15 sind nach den Plänen der Landesregierung die Voraussetzungen für die schrittweise Inklusion von Kindern aller Behinderungsformen zu schaffen. Zu diesem Zeitpunkt sollen Eltern – bei erstmaliger Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs oder wenn ihr Kind in die Klasse 5 wechselt – einen Rechtsanspruch auf einen Platz in der Regelschule für ihr Kind erhalten. Sie können aber auch die Förderschule wählen. Allerdings ist dies noch nicht in Kraft, sondern besonders wegen erheblicher Bedenken des Städte- und Gemeindetages hinsichtlich der Finanzierung (Stichwort „Konnexität“), aber auch der inhaltlichen Umsetzung, bisher bereits um ein Jahr verschoben worden.

Zeitgleich zu dieser schwierigen, landesweiten Aufgabe bürden sich die Schulträger im HSK als weitere Aufgabe die Schließung aller Förderschulen Lernen mit den daraus erwachsenden Problemen auf. Sie tun dies als einziger Kreis in NRW! Ein „Auslaufen“ der Förderschulen Lernen wird ausdrücklich abgelehnt.

Angesichts der geplanten landesweiten Veränderungen kann nach Ansicht der GEW-HSK nicht davon ausgegangen werden, dass gerade jetzt, im Gegensatz zu den Vorjahren, Genehmigungen zum weiteren Schulbetrieb der Förderschulen Lernen versagt werden. An der Schaffung von Zwischenlösungen auf dem Weg zur inklusiven Schule kann kein Interesse bestehen!

Die Schließung der „Förderschulen L“ im HSK stellt zurzeit nicht den Inklusionsgedanken in den Vordergrund, sondern bietet unseres Erachtens eine schnelle Möglichkeit zur Einsparung von Geldern.

Mit der Schließung aller Förderschulen Lernen im HSK endet auch für alle hier lebenden Eltern das Wahlrecht, ihr lernbehindertes Kind auch auf eine Förderschule schicken zu können, da es keine mehr geben wird. Das löst bei vielen Eltern, die gute Erfahrungen mit dieser Schulform gemacht haben, große Ängste aus. Sie befürchten, ihr Kind werde wieder ungern zur Schule gehen oder zum Außenseiter werden. Für viele Kinder war dies vor ihrer Überweisung an die Förderschule die Realität, weil ihren besonderen Bedürfnissen nicht in erforderlichem Maße Rechnung getragen wurde.

Besonderheiten der Schülerschaft der Förderschule Lernen:

„Lernbehinderung liegt vor, wenn die Lern- und Leistungsausfälle schwerwiegender, umfänglicher und langdauernder Art sind und durch Rückstand der kognitiven Funktionen oder der sprachlichen Entwicklung oder des Sozialverhaltens verstärkt werden.“ (§ 5 der Ausbildungsordnung für die sonderpädagogische Förderung)

Nach derzeitiger Rechtslage entscheidet das Schulamt für den HSK auf der Grundlage eines aufwendigen Diagnoseprozess mit anschließendem Gutachten darüber, ob ein Kind sonderpädagogische Förderung braucht und wo die Förderung (Förderschule oder Regelschule) stattfinden soll. Die individuelle sonderpädagogischen Förderung erfolgt durch besonders ausgebildete Sonderpädagogen.

Ein Positionspapier des Landesarbeitskreises der Schulleiterinnen und Schulleiter von „Förderschulen L“ (siehe Anlage) beschreibt die Schülerschaft der Förderschulen Lernen unserer Meinung nach sehr realistisch:

„Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen sind in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität entwicklungsverzögert und haben einen erhöhten Förderbedarf in:

  • der Konzentration
  • Aufmerksamkeit und Ausdauer
  • der Wahrnehmung
  • der Belastbarkeit
  • der Merkfähigkeit
  • der Motorik
  • der Arbeitshaltung
  • der Motivation

Es fehlt ihnen häufig

  • an Selbstbewusstsein
  • Selbstvertrauen
  • Frustrationstoleranz
  • Sie resignieren sehr schnell und benötigen ein hohes Maß an Zuwendung und Aufmerksamkeit.
  • (…)

Nicht selten wachsen die Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarf im Förderschwerpunkt Lernen in „schwierigen Verhältnissen“ auf, als Stichwort können wir hier die soziale Randständigkeit mit all ihren Folgen nennen. Um dieser Schülerschaft gerecht zu werden, muss sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich Lernen „system-konstruktivistisch“ gedacht werden.

Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt Lernen ist das Entgegenbringen einer wertschätzenden, ermunternden, zugewandten und aufbauenden Haltung.

Im Kontakt ist es wichtig, diese Schüler anzuerkennen mit ihren Gefühlen, Bedürfnissen, Interessen, Wünschen und Befindlichkeiten, ihren Ängsten, ihrer Sprache und ihrer Sozialisation.

Innerhalb des Unterrichts bedeutet dies, dass der Unterricht dem Kind angepasst wird und nicht dem Schüler übergestülpt wird. Der Unterricht muss von dem individuellen Lern- und Entwicklungsstand des Kindes ausgehen, der in einem Förderplan festgehalten und in einer individuellen Förderplanung regelmäßig fortgeschrieben wird.

Weitere Grundvoraussetzungen sind intensive Elternarbeit, Beratung und die Zusammenarbeit mit außerschulischen Betreuungskräften.

Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen werden in der Regelschule zieldifferent unterrichtet, d. h. es gibt für sie keine für alle verbindlichen Leistungsanforderungen, sie lernen nicht den gleichen Stoff wie die anderen, sie erhalten keine Noten und bis zur 10. Klasse Berichtszeugnisse.

Dennoch sollten sie bei gemeinsamer Beschulung in der Regelschule in die Klassengemeinschaft eingebunden werden. Dies kann unseres Erachtens nur gelingen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, das heißt unter anderem durch

  • möglichst überschaubare Klassengrößen: höchstens 20 Schülerinnen und Schüler, davon höchstens 5 mit sonderpädagogischen Förderbedarf
  • häufige Doppelbesetzung mit Regelschul- und Förderschullehrkraft (mindestens 4 Stunden täglich)
  • Zeit für die Kooperation der verschiedenen beteiligten Lehrkräfte
  • Spezielle Fortbildungen für alle betroffenen Lehrkräfte, insbesondere der Regelschullehrkräfte
  • Finanzielle Ressourcen für besondere Fördermaterialien
  • Sozialverträglichen Einsatz der Lehrkräfte der Förderschulen, aber auch der Regelschulen (eigentlich Sache der Bezirksregierung, trotzdem Koordination der Behörden erforderlich)
  • Erstellung eines langfristigen kreisweiten Schulentwicklungsplans bezüglich der Weiterführung der sonderpädagogischen Förderung im HSK

Bei den aktuellen Bestrebungen zu den Schulschließungen muss besonders an die Schülerinnen und Schüler gedacht werden, die sich zurzeit in den Klassen 5 bis 8 befinden, ab Schuljahr 2014/15 dann in den Klassen 7 bis 10.

  • Wie können sie erfolgreich ihre Schullaufbahn beenden?
  • Werden sie einfach in bestehende Klassen verteilt oder können sie ihre Schulzeit gemeinsam beenden?
  • Wie wird die Berufsvorbereitung gestaltet?

Uns ist klar, dass sich in Zeiten geringer finanzieller Spielräume und zurückgehender Schülerzahlen die Schulentwicklungsplanung als besonders schwierig darstellt.

Dennoch sind auch Sie gefordert den Inklusionsgedanken umzusetzen. Inklusion bezogen auf die Schule bedeutet nicht, dass nichtbehinderte und behinderte Schülerinnen und Schüler sich im gleichen Schulgebäude befinden, sondern es geht um „gemeinsame Teilhabe in allen Bereichen“, wo sich jeder mit seinen Möglichkeiten einbringen kann. Damit das gelingen kann, erfordert es genau überlegte Entscheidungen bzgl. notwendiger Veränderungen und die Zurverfügungstellung der erforderlichen personellen, sächlichen und finanziellen Ressourcen. Inklusion ist kein Sparmodell.

Förderschulen galten lange Zeit unbestritten als der beste Förderort für behinderte Kinder. Die Förderschulen im HSK, die stets kleine Schulen waren, sind von den Schulträgern so ausgestattet worden, dass die Rahmenbedingungen für eine gute Arbeit vorhanden sind. Wir hoffen für unsere Schülerinnen und Schüler, dass dieser Standard auch nach der Schließung mindestens erhalten bleibt.

Wir bitten Sie, unsere Anmerkungen bei Ihrer Entscheidungsfindung mit zu berücksichtigen. Für weitere Gespräche stehen wir sehr gerne zur Verfügung. Wir würden uns auch gerne bei der Gestaltung eines Schulentwicklungsplans für die sonderpädagogische Förderung im Hochsauerlandkreis einbringen.

Mit freundlichen Grüßen

Petra Hannemann
Roswitha Franz
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TEL: Tel.: 02992-5757