Das Interview mit Georg Milzner wurde anlässlich der didacta 2016 geführt. Wie die Rezension des Buchs ist es bereits in der Mai-Ausgabe von „Humane Schule“ erschienen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber.
Das Interview gehört mit zur unten veröffentlichten Rezension. Einfach Scrollen oder hier klicken.
(GM = Georg Milzner, DT = Detlef Träbert)
DT: Herr Milzner, Ihr Buch „Digitale Hysterie“ erklärt, warum Computer unsere Kinder weder dumm noch krank machen. Ist das eine Reaktion auf die Veröffentlichungen von Prof. Manfred Spitzer?
GM: Da in der heutigen Zeit die Tendenz besteht, Dinge in Ecken zu stellen, besteht schon die Gefahr, als Anti-Spitzer wahrgenom-men zu werden. Aber das ist nicht meine Ab-sicht. Ich finde nur, dass Spitzer eine generell ablehnende Position repräsentiert, die sich we-nig mit dem auseinandergesetzt hat, was die Heranwachsenden so faszinierend finden.
DT: Spitzer hat die psychologische Ebene gar nicht berührt. Er argumentiert nur als Hirnforscher und technologisch.
GM: Er argumentiert, man könne naturwissenschaftlich belegen, dass die Digitalisierung nur schadet. Das wäre das erste Mal in der Evo-lution, dass eine Sache ausschließlich schadet. Er lässt außer Acht, dass wir zweifellos Dinge verlieren würden, wenn wir nur noch digital unterwegs wären, wie das bei jeder Kompetenzausbildung ist, wenn man andere Dinge dafür vernachlässigt. Aber von einem Intelligenz-verlust kann man nicht sprechen, denn die Intelligenz der Gamer ver-lagert sich ja nur und verschwindet nicht. Spitzer negiert völlig, dass die ganze Hirnforschung und ihre bildgebenden Verfahren ohne Digitali-sierung überhaupt nicht funktionieren könnten. Insofern hat das ein bisschen was davon, als ob man eine Anti-Alkohol-Veranstaltung mit Freibier aufwertet.
DT: Was hat Sie neben Spitzer eigentlich dazu gebracht, „Digitale Hysterie“ zu schreiben. Waren es Ihre Kinder?
GM: Genau die! Meine Kinder liegen altersmäßig ungefähr ein Jahrzehnt auseinander. Bei den Größeren, die jetzt zu studieren begonnen haben, war das noch eine eher zurückhaltend geführte Diskussion. Der Kleinere, der jetzt elf ist, der wurde mitten in diese hysterisierte Debatte und gleichzeitig in faszinierende neue Räume hinein geboren.
Als Bewusstseinsforscher bin ich gewohnt, nichts zu kritisieren, was ich nicht vorher ausprobiert habe. Also wollte ich Computerspiele lernen. Das war zunächst sehr frustrierend. Man ist auf seinen Gebieten ganz gut, hat seine neuronalen Auslesen zu Kompetenzen entwickelt. Aber wenn wir jetzt da beginnen, wo die Zehn-, Elfjährigen anfangen, dann müssen wir feststellen, dass die das viel besser können als wir. Das fühlt sich für einen Erwachsenen gar nicht toll an. Das Kind hat rasend schnell die Tastenkombination raus, mit der man eine Figur weiterbewegt, während wir dabei herumkrampfen, als würden wir ganz neu Klavier spielen lernen. Wenn man aber durch diese Phase durch ist, stellt man fest, dass man da ein Beziehungsangebot gemacht hat, das super gerne angenommen wird. Und jetzt kann man anfangen, Erfahrungen zu teilen. Das war meine zweite Motivation, dieses Buch zu schreiben. Ich hatte den Eindruck, da tut sich ein Graben zwischen der älteren Generation und der der Heranwachsenden auf, der immer breiter wird. Wenn die Älteren zu wissen glauben, dass alles schlecht ist, verhindern sie Kommunikation.
DT: Im Begleittext habe ich den Begriff „Ratgeber“ gelesen. Aber ihr Buch liest sich gar nicht so.
GM: Der Verlag hat es wohl eher zwischen Ratgeber und Debattenbuch positioniert. Es hat durchaus einen Ratgeberanteil, der nur nicht so technisch zu verstehen ist. Es versucht eher, eine Haltung zu kultivie-ren und zum Nachdenken und Verstehen einzuladen. Dann entwickelt sich nämlich eine Haltung der Auseinandersetzung, die sich von bloß technisch orientierten Kniffen á la „Ich muss mich mal fünf Minuten mit dem beschäftigen, was mein Kind tut“, weit entfernt, dafür aber auch weiter reicht.
DT: Was mir auffiel, war, dass Schule in Ihrem Buch kaum vorkommt. Ist das Absicht?
GM: Ja, genau. Die Schulen haben ja sehr unterschiedliche Praktiken. Die Spanne reicht von jenen, die Smartphones verbieten, bis zu denen, die sich von Apple sponsern lassen und allen Kindern ein iPad in die Hand drücken. Im Moment ist die Gratwanderung zwischen dem Vermeiden früher Kundenbindung einerseits und andererseits dem Bemühen, den Anschluss nicht zu verpassen, sehr schwierig. Und dann müsste man auch von den Altersstufen sprechen. Die Früh-pädagogik ist mir im Moment viel zu verkopft, und bei den Grund-schülern braucht man in den ersten zwei Klassen auch nicht viel Elektronik. Da sind mir die reformpädagogischen Ansätze lieber.
DT: Haben Sie eigentlich bereits Pläne für ein nächstes Buch?
GM: Ein „Plan“, das wäre zu viel gesagt. Ich bin dabei weiterzuent-wickeln, was wir an mentalen Kompetenzen brauchen, um die Digitali-sierung möglichst gut mit uns geschehen zu lassen. Das wäre im Grunde ein Buch, das an die „Digitale Hysterie“ anknüpft, aber sich nicht mehr so sehr auf die Kinder bezieht, sondern auf alle. Es geht mir darum, deutlich zu machen, dass Selbstkompetenz wichtiger als Medienkompetenz ist.
DT: Sie arbeiten neben dem Schreiben auch mit Patienten. Haben Sie sich da eine feste Zeiteinteilung für die verschiedenen Arbeitsbereiche gegeben?
GM: Ich habe zwei Felder, wo ich mit Patienten arbeite, nämlich meine eigene Praxis in Münster und das Institut für Hypnotherapie in Düssel-dorf. Seit einigen Jahren habe ich mein Arbeitsfeld gedrittelt: ein Drittel Therapie, ein Drittel Weiter- und Ausbildungstätigkeit sowie ein Drittel Publizistik. Das passt eigentlich ganz gut. Meine Freiheitsgrade sind immer groß genug, um ein Projekt eine Weile weiterverfolgen oder mal einen Tag opfern zu können, um nur Interviews zu geben oder Radio-diskussionen mitzumachen. Das geht ab und zu.
DT: Also gut organisierte Vielfalt? Das klingt nicht nach Langeweile.
GM: Nein, langweilig wird es nicht. Es muss schließlich immer genug Zeit bleiben, die Liebsten auch noch wahrzunehmen. Familie ist ein sehr wichtiger Punkt, denn das primäre Lebensgefühl wird immer von den wichtigsten Personen mitbestimmt. Über Außenerfolge freut man sich zwar, aber das kann in keiner Weise diese Tiefe familiärer Beziehungen ersetzen.
DT: Herr Milzner, herzlichen Dank für das Gespräch!