egons mECKErn: Keine Eingangsklasse über 30. Ein Praxisbericht.

(NRW Bildungsministerin Frau Sommer ist nun bald Geschichte, doch der Sumpf der Bildungspolitik wird nicht so schnell, wenn überhaupt, trocken gelegt werden. Egon hat sich über die symbolischen Aktionen und Erlasse der Bildungspolitiker in NRW seine  sehr realistischen Gedanken gemacht. Hier sein „mECKErn“ und am Schluss seine immer noch aktuelle Frage an die Leser und Leserinnen)

„NRW stoppt große Klassen – Neuer Erlass: Gruppenstärke darf 30 Schüler nicht überschreiten“. Das waren die Schlagzeilen, die ich vor nun schon zwei Jahren in der Tageszeitung fand. Damit hatte ich nicht gerechnet, das klang doch wirklich sehr gut. Als ich den Artikel las, wurden meine Erwartungen aber schon korrigiert, der neue Erlass gilt nur für Eingangsklassen in Grundschulen. Und als ich dann weiter über die Tragweite der neuen Regelung nachdachte, fand ich, dass noch weniger dahinter steckt, als der Erlass formuliert.

Was ändert sich eigentlich durch den Erlass? Dazu stelle ich folgende Überlegungen an:

Ich gehe bei meinen Überlegungen einmal von einer Schule mit folgenden Schülerzahlen aus: In den Klassen 2 bis 4 sind jeweils 50 Kinder, sodass je zwei Klassen gebildet werden und fürs nächste erste Schuljahr sind 30 Kinder angemeldet. Damit hätte die Schule 7 Klassen und zur Erteilung des Unterrichtes wären ca. sieben Lehrerstellen nötig.

Wenn ich der Schulleiter dieser Schule wäre, würde ich mir zur Stundenplangestaltung folgendes überlegen. 30 Kinder im ersten Schuljahr sind zu viele, um erfolgreichen Anfangsunterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen zu machen. Wenn ich jeder der Klassen 2 bis 4 eine Förderstunde und eine Sportstunde kürze, wird die Qualität der Lehre in diesen Klassen nicht wesentlich schlechter, wahrscheinlich wird man gar nichts davon merken. Mit diesen 12 Lehrerstunden könnte ich im ersten Schuljahr den Deutsch- und Mathematikunterricht doppelt besetzen. Diese beiden Fächer würden dann im ersten Schuljahr in 15-er Gruppen unterrichtet. Der Gewinn, den ich damit habe, scheint mir die kleine Kürzung in den anderen Klassen wert. Das ist zwar nicht ideal, aber im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten noch die beste Lösung.

Nun ändern sich aber die Voraussetzungen: der 31. Schüler wird fürs erste Schuljahr angemeldet.

Als Schulleiter überlege ich neu: Ich muss zwei Klassen bilden, also teile ich die Klasse 1 in die Klassen 1 a und 1 b. Jetzt brauche ich ein paar zusätzliche Lehrerstunden, um in den beiden Klassen den Unterricht erteilen zu können. Leider sieht aber der Erlass nicht vor, dass ich die nötigen, zusätzlichen Lehrerstunden zugewiesen bekomme. Deshalb lasse ich den Deutsch- und Mathematikunterricht von den Klassenlehrern der 1 a und 1 b in ihren Klassen erteilen. Aufgrund fehlender Lehrerstunden lege ich die beiden Klassen aber in allen anderen Fächern zu einer gemeinsamen Lerngruppe zusammen. Das ist zwar nicht ideal, aber im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten noch die beste Lösung.

Was hat sich durch den neuen Erlass geändert? Nichts! Der Erlass ist deshalb wertlos, weil es bei der Klassenteilung nicht die dafür notwendigen Lehrerstunden gibt.

Liebe Frau Sommer! Das war wirklich eine geniale Maßnahme. Die Gewerkschaften jubeln und feiern es als Erfolg auf ihr Drängen, dass endlich die Klassen verkleinert werden. Dem Land kostet diese Maßnahme keinen einzigen Cent, weil keine Lehrerstelle mehr benötigt wird. Die Öffentlichkeit hat den Eindruck, die Regierung erkennt die Probleme und tut etwas dagegen. Das nenne ich kluge Bildungspolitik: Gewerkschaften, Eltern, Lehrer werden „verar…“, keiner merkt etwas davon und alle sind zufrieden. Sie sind auf dem richtigen Weg. Das sichert Ihren nächsten Wahlerfolg, nicht aber Erfolg bei der Verbesserung des Bildungssystems. Weiter so? Nein, bitte nicht!

Liebe Leser! Vielleicht bin ich gegenüber dem Schulministerium voreingenommen, sehe diesen Fall doch aus der falschen Perspektive und erkenne die Vorteile und Verbesserungen nicht. Sollte sich an Ihrer Schule durch den neuen Erlass tatsächlich etwas verbessert haben, bitte geben Sie mir eine Nachricht. Ich würde mich freuen, wenn eine solche Nachricht käme, aber ich rechne nicht damit.