Ciudad Mexico: Eine Clavicula-Fraktur und die Erfahrungen mit dem mexikanischen Gesundheitssystem.

Trotz Krankenhaus und alledem gibt es einen sonnigen Frühling in Mexiko-Stadt
Trotz Krankenhaus und alledem gibt es einen sonnigen Frühling in Mexiko-Stadt

Dieser Artikel ist der 13. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City. Heute wird klar, dass man auch in Mexico  dem Tod von der Schippe springen muss. Der Preis war für Marion zwar hoch, wird aber nicht unbezahlbar sein. Trotz alledem wünschen wir viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Voll vermullt. Das Schlüsselbein mit Edelstahlklammern zusammengeflickt.
Vermullt: das Schlüsselbein mit Edelstahlklammern wieder zusammengeflickt

Hätte man mich vor ein paar Wochen gefragt, was denn Clavicula sei, ich hätte es nicht gewusst. Wahlweise hätte ich zwischen einem Musikinstrument -ähnlich einer Ziehharmonika- oder dem Namen einer ostafrikanischen Musikgruppe, die auf dem Putumayo-Label vertreten ist, getippt. Doch weit gefehlt, denn Clavicula liegt mir viel näher als ich dachte. Es ist der lateinische Begriff für Schlüsselbein und wird ebenso im Spanischen benutzt.

Vor zwei Wochen waren Christopher und ich mit Besuch aus Deutschland auf dem Weg zu den grutas de tolantongo. Ein Naturreservat ca. 130 km nördlich von Mexiko-Stadt. Wie weit es genau weg ist, weiß ich leider nicht, denn wir kamen nicht dort an.

In der Finsternis
Es dämmerte bereits, als wir auf einer scheinbar gut ausgebauten Landstrasse mit ungefähr 80 km/h fuhren und innerhalb kürzester Zeit wurde es stockdunkel. Plötzlich ein kurzer Aufschrei: da ist was. Ich saß hinter dem Fahrer, spähte kurz in die Mitte und sah, dass mitten auf unserer Fahrbahn eine mehr als bordsteinkantehohe Betonbegrenzung unvermittelt die Strasse trennt. Kein Licht, kein Schild, nichts, was darauf hingewiesen hätte. Ich dachte nur: och, Christopher schafft das schon.

Und dann war es nicht nur draußen dunkel.

Nach dem Unfall
Als ich wieder zu mir kam, stand unser Wagen quer auf der Fahrbahn. Um uns herum viele Leute. Etwas benommen nahm ich wahr, dass ich meine rechte Hand nicht fühlte und instinktiv griff ich mir an die rechte Schulter. Dort, wo normalerweise ein Knochen ist, war ein Loch. Was ist mit den anderen? Was ist überhaupt passiert? Ich kletterte aus dem Wagen. Zum Glück konnte das Auto noch zur Seite gefahren werden, so dass nicht noch jemand in dieser Finsternis hinein fuhr. Aus reinem Aktionismus wechselte ein anwesender Mexikaner noch den linken Hinterreifen. Dann ging alles ganz schnell: ein Krankenwagen kam, die Polizei, ich wurde mit unserem Besuch zu einem Provinzkrankenhaus in die nächst größere Ortschaft gefahren, Christopher blieb mit der Polizei zurück.

Meine Erleichterung war groß, als ich erfuhr, dass die anderen drei mit Blessuren und einem Schrecken davon gekommen waren.

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Kanülen und Einstiche. Am Ende blieben blaue Flecken.

Das Orts-Hospital
Nach dem Röntgen im Krankenhaus bekam ich auch die Gewissheit, dass meine Blessur etwas schwerwiegender war: das rechte Schlüsselbein war mehrfach gebrochen und müsste operiert werden. Nur: hier in Progreso, der kleinen Ortschaft –was ja auf Deutsch Fortschritt bedeutet- war das nicht möglich. Was vielleicht im Nachhinein auch Glück war: wenn auch das Personal sehr freundlich war, waren ihre Mittel doch sehr begrenzt. Von dem Versuch, mir in den linken Handrücken eine Kanüle zu verlegen, trage ich -auch zwei Wochen danach- eine flächendeckende grün-blaue Verfärbung dort. Von dem Örtchen selbst habe ich nicht mehr viel gesehen.

Die OP
Mein Besuch war in der Nacht in ein Hotel untergebracht worden, wo die Zimmertür sich nicht abschließen ließ und die Möglichkeit in dem Ort einen Kaffee zu kaufen, waren wohl mehr als begrenzt. Es gab wohl gar nichts. Am nächsten Morgen – nachdem man mich noch einmal mit Schmerzmitteln voll gepumpt hatte- wurde ich von Kollegen, mit denen wir ursprünglich zum Nationalpark fahren wollten (die waren dort angekommen, wussten aber auch sofort, wo unsere Unfallstelle war, denn ihnen wäre es dort fast genau so gegangen) abgeholt und in eine Privatklinik nach Mexiko-Stadt gebracht.

In einer dreistündigen OP wurde mir das Schlüsselbein mit Edelstahlklammern wieder zusammengeflickt. Auch über die anschließende Behandlung kann ich mich nicht beschweren. Doch nun kommt natürlich der Punkt, der das möglich gemacht hat: wenn ich in Deutschland nicht eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen hätte, wäre dabei locker mehrere Monatsgehälter von mir dabei draufgegangen. Denn mit dem staatlichen mexikanischen Gesundheitssystem wäre es mir bei weitem nicht so gut ergangen.

Das Gesundheitssystem
Und das bringt mich zum nächsten Punkt. Also, das staatliche mexikanische Gesundheitssystem hat staatliche Krankenhäuser, in dem sich jeder Arbeitnehmer krankschreiben lassen muss, wenn er weiter seinen Lohn beziehen möchte. Nun gut, kurz das Positive: das ist ja schon mal etwas für ein Schwellenland. Nur die Schikanen, die damit verbunden sind, werfen doch einen nicht geringen Schatten darauf.

Das IMSS
So saß ich in der letzten Woche lange in einem so genannten IMSS-Krankenhaus, um dann von der mir zugewiesenen Ärztin zu erfahren, dass meine Unterlagen nicht ausreichend seien. Doch damit nicht genug: ihre Zwischentöne gingen immer in die Richtung, warum ich gringa eigentlich ihr System missbrauche. Freundlich lächelnd ging ich über die Bemerkungen hinweg, irgendwie war mir nicht nach Ärger. Mit ihrem Zettelchen, auf dem sie mir notiert hatte, was mir denn noch so fehlte, ging ich zu meinem behandelnden Arzt. Dann wieder zur imss. Zwei Stunden Warten, dann wieder diese Ärztin, die wieder meinte, das sei unzureichend. Diesmal war noch eine weitere Ärztin im Zimmer, die darauf hinwies, ich müsse gar nicht in das Behandlungszimmer, sondern zur Verwaltung. Daraufhin platzte Christopher, der diesmal mit dabei war, was das denn diese Schikanen sollen. Ich hingegen ärgerte mich über mein Lammsein, wahrscheinlich täte es mir auch besser, ab und an solchen Leuten die Meinung ins Gesicht zu brüllen. Und mir nicht ständig Gedanken darüber zu machen, ob das nun rassistisch sei, nur weil das gegenüber eine andere Nationalität hat.
Kurzum: bislang ist immer noch offen, ob ich eine Lohnfortzahlung bekomme, auch kann mir niemand eine genaue Info geben, ob die denn 100% oder nur 70% beträgt.

Die Lehren
Ich kann nur sagen, der Behördenirrsinn hier kann sich locker mit dem deutschen messen. Jedoch muss ich leider auch anmerken, dass die Wahrscheinlichkeit in Deutschland auf eine unbeleuchtete bzw. nicht beschilderte plötzlich auftretende Fahrbahntrennung zu treffen, eher gering ist. Dafür aber wieder gelernt, was jeder Reiseführer sagt: nachts besser nicht auf Landstraßen unterwegs sein. Und immer anschnallen. Denn ich möchte mir nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn wir unangeschnallt gewesen wären.

Jedenfalls führte das in der letzten Woche schon einmal dazu, dass alle Taxifahrer sich, mit denen ich zu den diversen Krankenhäusern gefahren sind und nachdem ich ihnen meine Unfallgeschichte erzählt habe, angeschnallt haben.

Des weiteren bin ich momentan krankgeschrieben, was ich aber weniger bedauerlich finde. So bleibt viel Zeit zum Lesen.

Fukushima und das mexikanische AKW
Hier in Mexiko ist der Schock über die Katastrophen in Japan auch sehr groß. Besonders nachdem es zunächst hieß eine radioaktive Wolke könnte hierher ziehen. Doch seit einer Woche ist davon keine Rede mehr. In Veracruz, an der Ostküste, steht das einzige Atomkraftwerk des Landes. Als es gebaut wurde, gab es wohl Proteste, aber im Augenblick ist es ruhig. Auch wenn ich es nun nur aus der Ferne verfolgen kann, bin ich doch froh, welcher Widerstand gegen Atomkraft in Deutschland sich nun wieder bildet. Nur: wenn ich auf Frankreich und seine Atomkraftwerkdichte blicke, bleibt da ein Unbehagen.

Also, wenn ihr nicht gerade protestiert, wünsche ich euch einen nun hoffentlich warmen entspannten Frühlingsanfang.

Muchos saludos desde México,
Marion