Manchmal habe ich meine „Forrest Gump Momente“. Am 5. Januar gingen wir zufälligerweise an der Davidwache in Hamburg St. Pauli vorbei. Es war Sonntag und die Menschen warteten ruhig in einer langen Schlange.
Ein Polizist in Uniform ließ immer nur ein oder zwei Leute gleichzeitig ein.
Im Nachhinein bin ich schlauer, aber vor zwei Wochen habe ich im ersten Moment gedacht, dass irgendeine überfüllte „Polizei-Crime-St. Pauli-Ausstellung“ stattfände.
Ich bin halt kein Fernsehmensch.
„Ist hier irgendwas Besonderes?“, habe ich den Polizisten an der Tür gefragt.
„Das Kondolenzbuch für Jan Fedder liegt aus!“, trocken und ernst die Antwort des Uniformierten.
„Oh, danke!“, mehr fiel mir nicht ein, und in diesem einen Moment wünschte ich mir, dass ich beim Fernsehgucken besser aufgepasst hätte, denn es dämmerte mir.
Die Tür zur Wache ging auf, ein älteres Paar kam heraus und zwei jüngere Leute wurden hinein gelassen.
Ich muss zugeben, dass ich nicht der erste war, der heute die blühenden Schneeglöckchen in unserem Vorgarten entdeckt hat. Ehre wem Ehre gebührt.
Schneeglöckchen gehören zu den ersten Blütenpflanzen des Vorfrühlings.
Gemessen am Gebietsmittel der Schneeglöckchenblüte für Deutschland dürfte Galanthus, so der Gattungsname, nicht vor Februar mit seinem langen Blütenschaft und der weißen Einzelblüte erscheinen.
Die Zeiten haben sich geändert. Das lineare Gebietsmittel ist von ca. 67 Tagen nach Jahresbeginn (März) auf ca. 49 Tage (Februar) gesunken, wobei die Einzelwerte je nach Saison heftig ausschlagen.
Der 16. Januar liegt jedenfalls weit unterhalb der Kurve, was mich angesichts des bislang schneearmen und milden Winters nicht wundert.
Jetzt bin ich gespannt, welche Frühblüher als nächstes erscheinen.
Donnerstag Abend habe ich den Klavierabend von Igor Levit im Dortmunder Konzerthaus besucht. Es war harte Arbeit.
Das Programm für Kenner*innen:
Zum Verücktwerden
Johann Sebastian Bach, Chaconne aus Partita für Violine solo Nr, 2 d-moll BWV 1004
„Brahms transponierte Bachs Violinstimme eine Oktave tiefer und nahm einige Notenänderungen und Richtungswechsel vor, um die Musik ganz für das Klavier einzurichten. Es ist ihm unglaublich gut gelungen.“
Vier Episoden
Frederic Rzewski, „Dreams II“
„Vor ein paar Jahren sah Rzewski den Film „Dreams“ von Akira Kurosawa, für den der japanische Regisseur seine eigenen Träume in kurze filmische Episoden verwandelt hatte, die zusammen ein ganzes Menschenleben erzählen.“
Barocke Variationslust
Johann Kaspar Kerli, Passacaglia
„Nicht weniger als 40 Variationen in knappen sieben Minuten hält die monumentale Passacaglia von Johann Kaspar Kerli am Anfang der zweiten Konzerthälfte bereit.“
Zukünftige Musik von gestern
Ferruccio Busoni, Fantasia contrappuntistica
„1909 brach Ferruccio Busoni zu einer großen Amerika-Tournee auf, im Gepäck auch die ‚Kunst der Fuge‘ von Johann Sebastian Bach.“
Ich bin kein Kenner, sondern lediglich Musikkonsument. Und so hat mich das fast 40 Minuten lange Stück von Rzewski sehr angestrengt. Das ging nicht runter wie die Klaviersonaten von Beethoven, deren Einspielung von Igor Levit ich seit Oktober letzten Jahres hoch und runter gehört habe.
Der Musikabend mit Igor Levit hat mich sehr bewegt, gerade weil es keine HeiaPopeia-Für-Elise-Musik zu hören gab. Mein etwas älterer Sitznachbar auf dem Balkon bemerkte: „Klasse, aber da muss ich noch eine Menge zu Hause nacharbeiten und recherchieren.“ Das sei keine Musik, die er gemütlich auf dem Sofa hören könne. Ich schlug vor, das ganze beim Kochen in der Küche zu goutieren, was er aber nicht nachvollziehen konnte.
Überhaupt – die Sitznachbarn und die Pausengespräche bildeten einen zweiten Hintergrund, ein Stück im Stück.
Schnitt … Pause
Ich sitze auf einem der Kunstleder-Quader vor dem Saal, blättere im Programm, ein älterer Herr: „Entschuldigen Sie, aber wissen Sie, welches Stück gerade gespielt wurde? Ich war zu spät. Stau.“
Rzeweski, sage ich. Nein, ich murmele etwas mir R und W, völlig falsch.
Ah, „Schewski„, das slawische RZ … bemerkt mein neu gewonnener Pausen-Gesprächspartner. Das Stück wäre ihm schwer gefallen, denn er käme eigentlich eher vom Theater.
Und dann ging irgendwie die Post ab. Wir kamen von der Überwindung des deutschen Idealismus zum Höderlinjahr 2020 und der Pop-Geschichte von Diedrich Diederichsen.
„Lesen sie die Adorno-Vorlesungen. Suhrkamp. Lesen Sie Diederichsen.“
Diederichsen habe seit einigen Jahren eine Professur in Wien, ja … und seine Frau …
Ich lasse einige Wendungen des Gesprächs aus, aber auf jeden Fall müsse ich die Hamlet-Inszenierung am Bochumer Schauspielhaus sehen. Mit Johan Simons sei das Theater aus einer Krise heraus gekommen.
Und was die Philosophie anginge, die er an der Ruhruniversität gelehrt habe, ich müsse Christoph Menke lesen.
Es gongte zum zweiten Teil des Konzerts und wir verabschiedeten uns in Hochstimmung. Er ein emeritierter 80-jähriger Professor und ehemaliger Dramaturg, ich ein kleines Licht mit vielen neuen Aufgaben:
Diederichsen lesen
Hamlet im Schauspielhaus sehen
Christoph Menke lesen.
Wird gemacht. Tickets für Hamlet sind gebucht. Jetzt noch der Rest.
Hamburg ist meine alte zweite Heimat, und es fällt mir immer wieder schwer, ins Sauerland zurückzukehren.
Obwohl ich inzwischen länger in Winterberg wohne als ich in Hamburg gelebt habe, zählen die Jahre in der Hansestadt doppelt und dreifach. Warum? Weil ich damals jünger war. Wenn man 25 Jahre alt ist, zählt ein Jahr 1/25 der Lebensspanne, später 1/40, 1/50, 1/60 und so weiter.
Mehr ist mir zum Geheimnis der verschwindenden Zeit bislang nicht eingefallen. Wenn du also fünf Jahre alt bist, ist ein Jahr zwölf Mal länger als für einen 60-jährigen, weitere Faktoren außen vor gelassen.
Meine Hamburger Jahre waren lang und irgendwo in meinem Inneren schlummert die Hoffnung, zurückkehren zu können. Aber die Stadt hat sich verändert. Die Mieten sind explodiert. Die Schiffszimmerer-Genossenschaft nimmt mich nicht mehr auf.
Hamburg – ein unerwiderter Schrei nach Liebe. Der Kapitalismus hat mich aussortiert, doch die Hoffnung stirbt zuletzt.
Aus den letzten Beiträgen im Blog lässt sich leicht schließen, dass wir die ersten Tage des neuen Jahres in Hamburg verbracht haben.
Das Wetter zeigte sich von seiner besten, also schlechten Hamburger Seite: trüb, nebelig, Regen, mal kalt, mal warm und als Belohnung dann doch ein paar sonnige, geschätzt drei bis vier Stunden.
Den ollen Bismarck in St. Pauli habe ich auf meinem Weg zum Holthusenbad aufgenommen. Dort, an der Kellinghusenstraße, kann man auch im Winter in einem 25-Meter-Becken draußen schwimmen, also Freibad. An einem der Tage, dem Samstag, herrschte Sturm. Ein Baum fiel auf die Gleise der Linie U1 und der Hagel prasselte mir in Eppendorf während der Hin-Bahn auf den Rücken, zurück ins Gesicht. Trotzdem habe ich die 1000 Meter geschafft. Bekloppt.
Mit „Warten auf Godot“ hat Samuel Beckett nicht nur absurdes Theater, sondern auch eine erfolgreiche Metapher geschaffen. Er käme nicht, behauptet das Graffito am Elbufer. Sind wir sicher?
Kernenergie kann nicht nur gefährlich, sondern auch in Maßen unschädlich sein. Das beweist dieses Geschäft in Hamburg Altona:
Gefährlicher als die „Kernenergie“, zumindest für die Zähne, erscheinen mir die kandierten Mandeln an einem türkischen Spezialitätenstand.
Spaziergang in Winterberg. Schmantel-Rundweg und ein Abstecher zum Aussichtspunkt Richtung Hessen.
Heute hatten wir im hohen Hochsauerland einen angenehmen Neujahrstag. Die Sonne schien, die Luft war klar, der Himmel blau, die Landschaft grün. Der Winter war nur an den kahlen Laubbäumen, den Temperaturen und ein paar weißen Kunstschneestreifen im Skigebiet zu erkennen.
Ich stehe gerne an dieser Stelle an der Ostkante des Rothaargebirges und schaue nach Osten. Medebach, Korbach und die sanft skulpturierte hessische Landschaft ist am Horizont zu erahnen.
Größere Karte anzeigen
Hier bin ich „da“ und träume mich weg, wenn das dunkle Fichtengrün des Hochsauerland zu erdrückend wirkt.
Maximal drei Jahre wollten wir in Winterberg bleiben, geworden sind es fast 23 Jahre.
Weihnachten saß ich mit einem Gutschein neben Baum und Plätzchen: Kassel Huskies gegen Heilbronner Falken, 28. Dezember, 14 Uhr, Familientag. Ich hatte noch nie in meinem Leben ein Eishockeyspiel live gesehen und meine Kinder wollten das ändern.
Am Kasseler Rathaus warteten wir auf die Straßenbahn Linie 6 zum Aue-Stadion. Ein großer Kaffee bei 1°C im Steh-Café draußen. Ich war gewarnt worden. Kein Rucksack, keine Spiegelreflex, kein Essen, kein Trinken. Am Eingang wird gefilzt.
Ich bin eigentlich kein Massenmensch, und hatte wegen des Einlasses ein paar Bedenken, aber wir kamen ohne Verzögerung „smooth“ zu unseren Plätzen „auf dem Heuboden“, wo nach Aussage von K1 die Hardcore-Fans stehen.
Vor Spielbeginn wurde Werbung zelebriert. Eigentlich alles wie im Fernsehen. Mir wurde per Eisprojektion geraten, Licher Pils zu trinken (habe ich später gemacht). Eine Skoda Limousine (würde ich kaufen, aber ich habe schon einen Toyota) kreiste permanent auf dem Eis.
Es wurde nicht langweilig, und dann begannen die Drittel.
Die Kassel Huskies sind Tabellenführer und die Heilbronner Falken stehen auf Platz 2 der 2. DEL-Liga. Es war also schon ein hochkarätiges Spiel für jemanden, der hinter den Fichten im hohen Hochsauerland wohnt.
Leider, leider, leider, war der Gegner aus Heilbronn heute sowohl im Sturm als auch in der Verteidigung stärker als die Heimmannschaft. Das erste Drittel endete 0:2, das zweite 0:0 (Hoffnung!), aber das dritte 2:3 – Endstand 2:5.
Obwohl das ganze Spektakel insgesamt von 13:30 bis 16:45 dauerte, war es sehr kurzweilig und stressfrei. Meine alten Erfahrungen aus den Fernsehübertragungen der legendären Spiele zwischen der Sowjetunion und den USA bzw. Kanada und Schweden haben ausgereicht, um das Spielgeschehen zu verfolgen und teilweise zu verstehen.
Nach dem Spiel sind wir fix – erstaunlich „smooth“ waren wir auch wieder aus der Halle raus – mit dem Bus Nr. 12 Richtung Kirchweg gefahren und saßen schwupps bei der Nachbesprechung im Ulenspiegel.
Wer die Fachleute das Spiel bewerten sehen will, guckt hier:
Am 2. Weihnachtstag hat sich das Wetter erbarmt. Sonne ersetzte den Regen. Ich konnte endlich meinen lang gehegten Plan umsetzen und in Welleringhausen den 6,5 km langen Vulkanpfad erforschen.
Die Landschaft östlich des Hochsauerlandes hat mich streckenweise an Derbyshire erinnert. Sanft skulpturierte teils baumlose Hügel, weite Blicke über wellige Landschaften, Schafsköttel.
Am Haus Sonnenberg erwartete mich ein alter Bekannter.
Schalke-Fans müssen sich leider an dieser Stelle eine Ausweichroute suchen.
Sofern Sie Ihre Datenschutzeinstellungen ändern möchten z.B. Erteilung von Einwilligungen, Widerruf bereits erteilter Einwilligungen klicken Sie auf nachfolgenden Button.
Einstellungen