California here I come: Der XII. und letzte Teil des Reiseberichts. Santa Mónica

Unser Autor berichtet von seiner Fahrt durch Kalifornien. Auf der letzten Etappe seiner Reise besucht er die Villa Aurora, den Zufluchtsort deutscher Literaten und Philosophen während der Nazi-Diktatur.
 

Auf der Suche nach Miramar, dem Asyl der deutschen Exilantengemeinde

Morgens ging der Bus im Zehnminutentakt den Hollywood Boulevard westwärts an den Strand des Pazifiks. Keiner der Einheimischen kennt natürlich den Treffpunkt deutscher Exilierter vor und während des 2. Weltkriegs, und so muss man sich am Straßennamen der Homepage der Villa Aurora orientieren: Miramar, Meeresblick, was darauf schließen lässt, dass das Asyl der deutschen Exilantengemeinde sich nahe am Strand befindet. Und tatsächlich kann man von der letzten Tankstelle direkt an der Kreuzung vorm Strand, wo die Buslinie endet, in 20 Min. den Hügel hinaufsteigen, wo die Villa Aurora liegt, die dem jüdischen Emigrantenehepaar Feuchtwanger gehörte.

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Strandpromenade im nördlichen Santa Monica (fotos: weber)

Deutsch- Amerikanischer Kulturaustausch unterwegs

Auf dem Weg dorthin unterhielt ich mich ich an der Bushaltestelle mit einem älteren Schwarzen, den ich nach dem Weg fragte. Nachdem ich erklärt hatte, was die Villa Aurora sei, entspann sich ein Gespräch um Vietnam, obwohl heutigentags in Kalifornien das Problem weniger die Asiaten als vielmehr die Mexikaner seien, weil die sich ungehemmt fortpflanzen und so in Zukunft die Mehrheitsgesellschaft bilden würden.

Er habe in Vietnam gekämpft und viele Kameraden dort sterben sehen. Es seien viele Kriegsverbrechen begangen worden und er, der ehemalige Vietnamkämpfer, assoziierte mit den US-Kriegsverbrechen die Verbrechen wider die Menschlichkeit in Nazideutschland, wo 15 Mill. Juden in den Konzentrationslagern umgebracht worden wären. Ich entgegnete, die Geschichtsforschung in Deutschland gehe von 6,2 Mill. ermordeten Juden aus. Nein, es seien 15 Mill., eher mehr gewesen; er habe darüber neulich erst eine Dokumentation gesehen und ich als Angehöriger der jungen Generation solle mich besser informieren.

Andere Länder, andere Sitten: Ungewohnt in den USA ist doch immer wieder diese erstaunliche Mischung aus Xenophobie und selbstkritischer Haltung. Man merkt, dass die geschichtliche Diskussion in den USA nicht derart diskursivisiert und damit ideologisch begradigt und auf den Nenner gebracht ist wie in Deutschland, wo beipielsweise mit der Bundeszentrale für politische Bildung gar ein staatliches Institut für eine offizielle Geschichtsschreibung nach dem Rückfall in die Barbarei gegründet wurde.

Außerdem merkt man, wie zwischen den Zeilen immer ‚mal wieder mitschwingt, dass Deutschland wie eine Art demokratisches, überhaupt kulturelles Entwicklungsland angesehen wird, dem die US-Amerikaner Kultur gebracht hätten. Wie unterschiedlich ist doch das Selbst- und Fremdbild, und vielleicht ist es zur Völkerverständigung besser, dass wir beide von Alteuropa sprechen, womit aber der US-Amerikaner mit Dick Cheney das des Kalten Kriegs meinen und wir unser Alteuropa, als einige Protestanten infolge des englischen Bürgerkriegs mit der May Flower ins gelobte Land aufbrachen. Man möchte sich im Urlaub auf dem Weg zur Villa Aurora nur ungern streiten.

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Die Villa Aurora

Die Villa Aurora heute

Heutzutage restauriert eine Kulturstiftung aus Berlin, eben Villa Aurora genannt, dieses Kleinod am Pazifik, mit dem Goethe-Institut in L.A. kooperierend und mit der University of California/ Los Angeles sowie mit dem Konsulat der deutschen Botschaft. Im Haus leben drei bis vier Künstler und Schriftsteller, die zumeist selbst aus ihren Heimatländern fliehen mussten. Ein Stipendium gewährt ihnen einen viertel- bis halbjährigen unbeschwerten Aufenthalt für die für Kunst dringend benötigte Muße.

Das Interior ist belassen oder i.S. des ursprünglichen Ambientes rekonstruiert: Unter dem Wohnzimmerboden verlaufen zum andern Raumende die Schallrohre der Orgel, mit der die Feuchtwangers Gästen aufspielten, um die gezeigten Stummfilme zu orchestrieren. Im Wohnzimmer, im Esszimmer, im Arbeitszimmer befinden sich rund 20.000 Bände der von Lion Feuchtwanger in den Vereinigten Staaten wieder aufgebauten Bibliothek der Weltliteratur.

Hakenkreuze im Lüftungsschacht

Im Esszimmer ragte vom Regal in den Durchgang ein wahrer Schinken Goya; ihm gegenüber an der Wand unten im Regal sah man den Beginn eines Lüftungsschachtes, in dem auch Heizungsamaturen hervorlugten und dessen Gitterform ein Hakenkreuz war: eines links herum, wie aus der Zeit der nationalsozialistischen Bewegung bis 1934 und eines rechts herum, wie die Welt es danach in Erinnerung behielt. Erst wusste ich nicht, ob die Schachtabdeckung zufällig dieses Ornament angenommen hat. Aber durch Zeit und Ort und die Urlaubsatmosphäre so sehr vom Hitler-Deutschland getrennt, merkt man erst nach einiger Verunsicherung, wie schwer von Begriff man zuweilen ist.

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Im Esszimmer: sattsam bekannte Ornamente vor dem Abzugsschacht

Die Sache mit Feuchtwanger

Eine nettes Ritual, das die Germanistikstudentin erklärte, die mir die Villa und ihre Zeit kompetent nahe gebracht hatte, bestand darin, dass man statt eines Eintritts Geld zum Wiederaufbau der Villa zum Kulturort spenden solle, wofür man sich aus dem Eingangsregal einen Einband Feuchtwanger noch aus den Beständen des Berliner Aufbauverlags zu DDR-Zeiten mitnehmen durfte.

Ich musste der Germanistikstudentin gestehen, dass ich noch nichts von Feuchtwanger gelesen habe; sie ihrerseits konnte mir keinen Band empfehlen, da sie gerade erst begonnen habe, intensiv Feuchtwanger zu lesen. So rätselten wir also vor den Titeln, und ich entschied mich für Goya – wahrlich ein stilistisches und auch philosophisches Lesevergnügen dieses nach dem Krieg meistgelesenen deutschen Autoren, der in meiner Generation leider untergegangen ist. Aber er wird nur in meiner Generation mehr oder weniger untergehen, denn gute Weltliteratur hat Muße und kann auf die Rezeption künftiger Generationen bauen.

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Der Germanist und die deutsche Literatur

Ich hoffe, mein literarischen Urteil hat keine gönnerhaften, unfreiwillig komödiantischen Züge, über die sich Adorno bei jenem Deutschlehrer belustigte, der Nietzsche gelobte habe, weil der ein stilistisch so gutes Deutsch geschrieben hätte. Aber in unseren heutigen Zeiten hat sich zum Glück die Hoch- der Unterhaltungskultur angenähert, sodass die subjektive Rezeption ihr Eigenrecht jenseits der Standards des universitären Bildungsbürgertums hat, das seit je eifersüchtig über seine Pfründe der richtigen Exegese wacht, um den Zugang zu den Bildungspatenten zu monopolisieren, mit dem es sich von den anderen Schichten der Gesellschaft differenzieren kann.

In der Villa Aurora traf sich einst der Höhenkamm der deutschen Literatur und Philosophie, etwa Thomas Mann, Ernst Bloch, die Mitglieder des Frankfurter Instituts für Sozialforschung wie Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse und Erich Fromm sowie Maler und bildende Künstler. Sie alle hatten es geschafft, vor der Verfolgung durch den Nationalsozialismus und europäischen Faschismus nach Übersee zu fliehen, und gingen hier ihrer jeweiligen Arbeit weiter nach. Da Adorno Thomas Mann in Fragen musikalischer Motive seiner Romangestaltung im „Doktor Faustus“ beriet und selbst an seiner ästhetischen Theorie arbeitete, nannte die in Europa ausharrende Generation von Linksintellektuellen und kommunistischen Künstlern die Villa Aurora mit George Lukács die „Villa Abgrund“.

Existentialistisch seien jene Aussteiger aus dem Kampf der Ideologien in den Abgrund der ausgebliebenen Wahl eines engagierten Lebensentwurfs gefallen und hätten damit auch den politischen Widerstand versäumt, um mit Søren Kirkegaards Unterscheidung zwischen ästhetischem und ethischem Menschen zu sprechen, den er in „Entweder – Oder“ an Don Juan und Jesus Christus exemplifiziert. Die „Villa Abgrund“ habe sich nur mit ihrem Sedativ beschäftigt, den formalistischen Experimenten der Moderne, die eben Lukacs‘ Doktrin des sozialistischen Realismus nicht ins Konzept passte.

Man kann gewiss die Bitternis nachempfinden, welche dies Zerrbild des Vorwurfs mangelnder moralischer Integrität mit verantworten, denn das Engagement des Intellektuellen ist eigentlich die Haltung seiner Schriften – in bürgerlich zivilen Zeiten. Wie aber ist es in Zeiten des Weltenbrands, wenn ein Teil der Zunft auf den Barrikaden kämpft? Dort aber zerplatzte die kommunistische Utopie gerade in Europa, auch weil die Diktatoren über die ideologischen Gräben hinweg kollaborierten. Ein flammendes Fanal am Nachthimmel des damaligen Humanismus nach der Madrider Antifaschistischen Konferenz 1936 war ja der Hitler-Stalin-Pakt gewesen, und einige der hellsten Köpfe wandten sich vom Kommunismus ab. Obgleich die Enttäuschung auf Seiten der kommunistischen Philosophen darüber verständlich war und deswegen ihr vorwurfsvoller Ton nachvollziehbar, der sich ja auch im Schlagwort „Villa Abgrund“ äußerte, überrascht der harsche Ton der Replik Adornos an Lukács‘ Adresse in seinem Essay „Erpreßte Versöhnung“ (1958), der gegen Lukács‘ Hauptwurf „Die Zerstörung der Vernunft“ (1954) polemisierte, es sei dessen eigene, wenn ihrzufolge die bürgerliche Philosophie nach Hegel auf den Faschismus zulaufe, immanent folgerichtig in ihm münde und deshalb die Mittel der Vernunft utopisches Denken noch einmal vindizieren solle.

Die Spaltung der europäischen intellektuellen Welt durch den Weltkrieg traf in ungleich höherem Maß sicherlich die deutschen Schriftsteller, die aufgrund ihres Metiers der schönen Wissenschaften nicht gezwungen waren, so klar wie Philosophen der Umstände halber sich zur Politik zu verhalten. Im Nachkriegsdeutschland empfingen die zurückgebliebenen Schriftsteller die zurückkehrenden Emigranten geradezu feindselig, wohlweislich weil man einiges an Kollaboration mit dem NS-System zu verdrängen hatte, was man unter dem Feigenblatt der „inneren Emigration“ kaschieren wollte. Und diese erleichternde Abspaltung der eigenen Schuld und damit die Rehabilitation des sozialen Ansehens bedrohten die zurückkehrenden Emigranten allein durch ihre politisch-moralisch vordergründig unbelasteten Biografien; die Emigranten entlarvten die Lebenslüge im Nachkriegsdeutschland durch ihre schiere Anwesenheit.

Ähnliche Risse verliefen, nur spiegelverkehrt, durch den nur scheinbar monolithischen Block der emigrierten und zurückgebliebenen kommunistischen Philosophen. Zur Ideologie der Siegermächte gehörte auch der Kommunismus, für den man im sogenannten „Großen Vaterländischen Krieg“ der Sowjetunion gekämpft hatte, was zu bewundern, als Staatsdoktrin in den nachmaligen europäischen Satelliten dekretiert wurde. Die Renegaten, die diesem linksfaschistischen Projekt und seinen folgenden kommunistischen Verbrechen, die im Gulag gipfelten, abtrünnig wurden, waren zunächst vor dem Nationalsozialismus, dann europäischen Faschismus geflohen und schließlich in demokratische Länder emigriert. Sie kamen nun feinsinnig ziselierend in ihrer Kritik am Kommunismus zurück, wodurch sie sich im kommunistischen Lager deskreditierten als diejenigen, die es besser wüssten, obwohl sie sich die Hände nicht hätten schmutzig machen müssen. Freilich wäre argumentativ nachvollziehbar, wie sehr sich die philosophischen Konzepte der westlichen, systemimmanenten Kritik mit der Systemkritik der marxistisch-leninistischen Orthodoxie des Ostblocks tatsächlich von der Sache her überworfen haben. Dafür steht auch der unversöhnliche Bruch innerhalb der US-Emigranten, z.B. zwischen Adorno und Bloch, der Stalins Moskauer Schauprozesse von 1936 guthieß. Jedoch steckt im gegenseitigen Belauern von Rückkehrern aus der realen Emigration aus westlichen Demokratien und von Duldern der „inneren Emigration“ im kommunistischen Block sowie politischen Aktivisten im real-existierenden Sozialismus im Kern die Angst vor der sublimen Kritik aus wechselseitiger Kenntnis um die persona non grata im jeweiligen ideologischen Feindesland.

Was bleibt von all dem? – In der kalifornischen Sonne nicht viel mehr als ein Gefühl der Ferne dieses damaligen „New Weimar unter Palmen“ der deutschen Emigranten im „Cultureless West“.

2 Gedanken zu „California here I come: Der XII. und letzte Teil des Reiseberichts. Santa Mónica“

  1. Ein Lesetipp zu Feuchtwanger: Waffen für Amerika.
    Ein historischer Roman (hieß auch ‚Füchse im Weinberg‘), es geht um die Unterstützung des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges durch Frankreich. Im Zentrum stehen der Kaufmann und Schriftsteller Beaumarchais (Hochzeit des Figaro)und Benjamin Franklin, die im vorrevolutionären Frankreich ‚Waffen für Amerika‘ sammeln.

    Was die ‚Ornamente‘ im Lüftungsschacht angeht, so bin ich ein wenig schwer von Begriff. Ich bitte um Aufklärung.

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