„Ist der IS überhaupt noch zu stoppen?“ – Ein mieses Spiel …

Konflikte an der "Grenze" zwischen dem sunnitischen Arabien und der östlich davon gelegenen schiitischen Welt auf Tausende Kilometer eskaliert
Die Konflikte an der „Grenze“ zwischen dem sunnitischen Arabien und der östlich davon gelegenen schiitischen Welt sind auf Tausende Kilometer eskaliert.

Wer geglaubt haben sollte, die dschihadistisch-salafistische Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) habe ihre größte Zeit schon hinter sich, ist in der letzten Woche eines Besseren belehrt worden.

(von Dr. Werner Jurga, Duisburg)

Am letzten Freitag, den 15. Mai 2015, hat der IS die irakische Großstadt Ramadi eingenommen. Ramadi hat mehrere Hunderttausend Einwohner und liegt am Euphrat auf der Straße, die Bagdad mit Syrien verbindet. Mit der Eroberung Ramadis durch den sog. „Islamischen Staat“ hat die Bedrohung Bagdads durch den IS dramatisch zugenommen. Da am letzten Wochenende auch der letzte Grenzübergang dem IS in die Hände gefallen ist, existiert faktisch keine Grenze zwischen dem Irak und Syrien – für den IS ein großer strategischer Vorteil.

Im Irak kontrolliert der IS mindestens ein Drittel, in Syrien mittlerweile mehr als die Hälfte des Staatsgebiets. Am Mittwoch hat der IS Palmyra erobert. Die Oasenstadt liegt im Zentrum Syriens – etwa 200 Kilometer entfernt vom Großraum Damaskus. Strategisch ebenso wichtig wie das irakische Ramadi kommt Palmyra darüber hinaus als Unesco-Weltkulturerbe und eine der wichtigsten antiken Stätten im Nahen Osten eine große symbolische Bedeutung zu. Deshalb wurde in den hiesigen Medien relativ ausführlich über die Einnahme Palmyras durch den IS berichtet. Die IS-Propaganda liefert das nötige Bildmaterial: Kämpfer in Montur und Pose des IS, wie sie vor den Säulen der Kulturstätte posieren. Wir ahnen, dass es den Ruinen an den Kragen geht.

Der Bevölkerung, die schutzlos zurückgelassen werden musste, geht es keinen Deut besser als den Kulturschätzen. Bilder zeigten Straßen, die von Blut rot gefärbt sind. Augenzeugenberichten zufolge soll der IS unverzüglich Dutzende Menschen öffentlich hingerichtet haben. In den hiesigen Medien wird relativ – jedenfalls im Vergleich zu anderen Kriegsgebieten in der Region oder auf dieser Welt insgesamt – umfangreich über den Vormarsch des IS sowohl in nordwestliche wie in südöstliche Richtung berichtet. Die USA gelten nicht nur als die eigentlichen Verursacher, sondern inzwischen auch als notorische Versager in diesen Konflikten im Irak und in Syrien, die vermutlich irgendwie zusammenhängen – wegen des IS oder der Geographie oder so.

Der IS scheint gleichsam „unaufhaltsam“ zu expandieren – womöglich nicht nur in diesem, wenn auch nicht mehr nationalstaatlich, so doch wenigstens einigermaßen lokal abgrenzbaren Machtvakuum. Schließlich wenden sich in diversen Gegenden Afrikas und Asiens dschihadistische Warlords von der einst als „Terrornetzwerk“ gefürchteten Al Qaida ab, um dem Kalifen Ibrahim ihre ewige Treue zu schwören. U.a. auch in Libyen, wo die Krieger von Abu Bakr al-Baghdadi – so hieß der Kalif, bevor er sich zu einem solchen ernannt hatte – die Küste inklusive der Schlepperindustrie kontrollieren sollen. Wir müssen davon ausgehen, dass von dort auch heilige Krieger ins gottlose Europa geschmuggelt werden.

Somit stehen wir – möglicherweise gottlosen, aber ganz bestimmt doch völlig unbeteiligten – Europäer vor zwei bangen Fragen. Erstens: ist dieser „Islamische Staat“ überhaupt noch zu stoppen? Und zweitens: kann der IS auch auf Europa überschwappen? Fangen wir mit Frage Zwei an, denn sie ist deutlich unkomplizierter. Ihre Antwort lautet: es ist nicht mehr die Frage, ob der IS in Europa Fuß fassen kann. Ihm ist es längst gelungen. Man denke an die diversen Terroranschläge und Anschlagsversuche, die auf das Konto des IS gehen. Noch wichtiger – ja okay: nicht unbedingt für uns, aber objektiv, gemessen etwa in der Zahl der Toten und Getöteten, schon. Europa ist ein wichtiges, vielleicht das wichtigste Rekrutierungsgebiet für Dschihadisten aller Art.

Hunderte Deutsche, Tausende Europäer kämpfen heute im „Islamischen Staat“, also in einem Gebiet, das wir noch den zerfallenden Staaten Syrien und Irak zurechnen, für die Sache des Kalifen. Insofern ist der IS ist in gewissem Sinne schon „auf Europa übergeschwappt“; bekanntlich gilt die Angst der Innenminister – und nicht nur ihre – einem etwaigen „Zurückschwappen“, also den Rückkehrern mit Kriegserfahrung, von denen einige als desillusioniert, andere aber als völlig verroht und zu allen entschlossen betrachtet werden. Dummerweise weiß man nie so ganz genau, wer zu welcher Gruppe zu zählen ist. Es ist völlig klar: Europa ist vom IS-Terror in vielfältiger Weise betroffen. Wir leben nicht auf einem Handtuch.

Deutlich komplizierter liegen – wie gesagt – die Dinge in Bezug auf Frage Nummer Eins. Deshalb die Antwort vorweg: der „Islamische Staat“ ist nicht unaufhaltsam, er ist zu stoppen, und nicht einmal der gegenwärtige (verbreitete?) Eindruck, der IS befinde sich umstandslos in der Offensive und habe die Initiative, bildet das Geschehen im Nahen und Mittleren Osten adäquat ab. Vielmehr ergibt sich dieses Bild, wenn die Bühne nur halb beleuchtet wird. Es wird nämlich nicht in Rechnung gestellt, dass der Krieg zwischen dem IS und seinen Feinden in den Großkonflikt zwischen dem sunnitischen Arabien und der östlich davon gelegenen schiitischen Halbmond eingebettet ist .

Die Gesamtbetrachtung ergibt, dass der Konflikte an der „Grenze“ zwischen dem sunnitischen Arabien und der östlich davon gelegenen schiitischen Welt auf Tausende Kilometer eskaliert – die schiitische Sichel vom Mittelmeer zum Golf. Westlich angrenzend die sunnitische Gegensichel. Die große Mehrheit der Muslime ist der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zuzurechnen. Im Iran, Irak und in Bahrain stellen die schiitischen Muslime sogar die Mehrheit der Bevölkerung. Diese Zone mit einem hohen Anteil schiitischer Muslime hat in etwa die Form einer Mondsichel und erstreckt sich vom persischen Golf über den Iran bis in den Libanon, wo die Schiiten in etwa ein Drittel der Bevölkerung stellen.

Gewiss zeigt die gegenwärtige Expansion des IS den zentralen, definierenden Hauptkonflikt des Nahen und Mittleren Ostens, in den auch alle anderen Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten sowohl „Richtung“ Mittelmeer als auch „Richtung“ Golf einmünden. Vom Libanon bis zum Jemen also auch im „Zentrum“ – immer haben auch die Vormächte Saudi-Arabien (Sunniten) und Iran (Schiiten) ihre Finger mit im Spiel. Und selbstverständlich auch die Amerikaner und die Russen. Die „kleine Besonderheit“ in Sachen „Anti-IS-Koalition“: sie wird geführt von den USA und den Saudis, den Hauptgegnern der schiitischen Kräfte. Sie sollen hier die aggressivste sunnitische Miliz bombardieren.

Wenig überraschend, dass sie dies sowohl im Vorfeld der Eroberung von Ramadi als auch der von Palmyra „vergessen“ haben. Dabei wäre es für die Luftwaffe ein Leichtes gewesen, dem IS einen Strich durch die Rechnung(en) zu machen. Völlig ungestört konnten die IS-Kolonnen aus Jeeps und Pickups in beiden Fällen über die Hauptverkehrsstraßen auf die ins Auge gefassten Städte zufahren. Es stimmt: dort, wo die „Anti-IS-Koalition“ in den letzten Monaten bombardiert hatte, musste der IS seine Taktik ändern und seine Kämpfer in kleineren Einheiten zu den Schlachtfeldern bringen. Davon konnte in den Fällen Ramadi und Palmyra jedoch keine Rede sein. Hier handelte es sich gleichsam um Eroberungen mit Ansage.

Insgesamt (!) sind aber die schiitischen Kräfte nach wie vor in der Offensive. So schrecklich und grässlich die Geländegewinne des IS auch sind, „unaufhaltsam“ sind sie nicht. So schickt jetzt, also eine Woche nach der Einnahme durch den IS, beispielsweise der Iran, da sich die USA so desinteressiert zeigten, schiitische Milizen nach Ramadi. Die Rede ist von Tausenden Kämpfern, die den Auftrag haben, Ramadi „zurück zu erobern“. Der Weg zur Front geht durch von Sunniten bewohnte Gebiete; die Schiitenmilizen sollen dort ähnlich barbarisch mit der Bevölkerung umgehen wie der sunnitische IS. Wir werden sehen, wie die Schlacht um Ramadi ablaufen wird. Sicher ist: es wird ein abscheuliches Blutbad.

Im einzelnen ist das alles schwer einzuschätzen. Insgesamt lässt sich aber feststellen, dass im Gerangel der Anti-IS-Kräfte (also USA vs. Iran plus der Westen vs. Russland) beide Seiten – zynisch gesprochen – nervenstark sind und eine Einigung nicht übers Knie brechen. Das bedeutet: der IS, also die von den Golf-Geldsäcken ausgestatteten Dschihadisten-Mörderbanden unter Führung der Reste des Saddam-Regimes, können weiter ihr Unwesen treiben. Dennoch: die Sunniten sind in der Defensive, in jeder Hinsicht „kaputt“, während die schiitische Seite mit dem Iran an der Spitze alle Trümpfe in der Hand hält. Deshalb meinen die diversen Anti-IS-Kräfte sich – zynisch gesprochen – „Spielereien“ leisten zu können.

Es sind – ernsthaft gesprochen – sehr harte Machtkämpfe. Sie finden auf verschiedenen Ebenen der in diesen Krieg greifenden Konfliktlinien statt. Dem IS Erfolge zu „gönnen“, ist dabei eine „Karte“ in diesem komplizierten „Spiel“. Die Alternative wäre, den Iran ungestört expandieren zu lassen. Das werden die Amerikaner nicht wollen und die mit ihnen – und den Europäern – verbündeten Saudis niemals zulassen. Gleichzeitig wird der Öffentlichkeit in den USA und hier das Bedrohungsbild vom barbarischen IS vor Augen gehalten. Und tatsächlich: nichts spricht dafür, dass der IS auch nur eine Idee weniger grausam sein könnte, als von ihm selbst und den westlichen Medien dargestellt. Es ist ein verdammt mieses Spiel. Vor allem für diejenigen Menschen, die der IS kriegt oder die vor ihm wegrennen müssen.

Werner Jurga, Duisburg, 25. Mai 2015

Das Pegida-Positionspapier (Punkte 14 – 19) – Kritik Teil 3 und Schluss

Autor Dr. Werner Jurga. (foto: privat)
Autor Dr. Werner Jurga. (foto: privat)
17. Dezember 2014. Am 10. Dezember hat die Bewegung „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) ein Positionspapier veröffentlicht.

Ich bin dieses Papier Punkt für Punkt durchgegangen, d.h.: jede These wird im Original zitiert (ohne die Fehler zu korrigieren) und dazu jeweils eine kurze Anmerkung gemacht. Da es sich aber um 19 Punkte handelt, ist der ganze Text länger geworden, als es die Lesegewohnheiten im Internet zulassen. Ich habe meinen Beitrag deshalb in drei Teilen veröffentlicht. Teil 1 und Teil 2 sind gestern und vorgestern erschienen; hier folgt der dritte und letzte Teil.

(Der Artikel von Dr. Werner Jurga ist zuerst auf der Website des Autors erschienen)

14. PEGIDA ist FÜR die Einführung von Bürgerentscheidungen nach dem Vorbild der Schweiz!

In diesem Punkt geht die Patenschaft jedoch an die linke Seite des politischen Spektrums. Rote und Grüne werden wissen, bei welchen Volksabstimmungen sie meinen, die Mehrheit erringen zu können. Ich glaube zu wissen, welches Thema die Rechtsradikalen als erstes den Bürgern zur Abstimmung vorlegen würden. Und welche Themen als zweite und als dritte…

15. PEGIDA ist GEGEN Waffenlieferungen an verfassungsfeindliche, verbotene Organisationen wie z.B. PKK  

Sehr hübsch. Allerdings sind Waffenlieferungen an die PKK schon heute verboten, und die Befürworter des Rüstungsexports an die Kurden hatten den Peschmerga untersagt, nicht an die PKK weiterzuliefern. Was übrigens allein deshalb amüsant gewesen ist, weil die es ohnehin nicht getan hätten. Was allerdings an einem Boykott der PKK, die sich zeitweise als einzige den IS-Terroristen entgegen gestellt hatten, mit dem Kampf gegen „die Islamisierung“ zu tun haben soll, vermag sich mir nicht zu erschließen.

16. PEGIDA ist GEGEN das Zulassen von Parallelgesellschaften/Parallelgerichte in unserer Mitte, wie Sharia-Gerichte, Sharia-Polizei, Friedensrichter usw.  

Wie gehabt: mit der Forderung nach ohnehin Selbstverständlichem wird implizit die Unterstellung nicht hinnehmbarer Missstände verbreitet. In diesem Fall wird behauptet, der Staat lasse sich sein Gewalt-monopol sehenden Auges von Islamisten aus der Hand nehmen. Es wird der Eindruck geschürt, „die“ (Muslime) dürfen sich Dinge herausnehmen, die „wir“ (Pegida-Anhänger?) uns niemals erlauben dürften.

17. PEGIDA ist GEGEN dieses wahnwitzige “Gender Mainstreaming”, auch oft “Genderisierung” genannt, die nahezu schon zwanghafte, politisch korrekte Geschlechtsneutralisierung unserer Sprache!  

Etwas unvermittelt erfolgt hier der Wechsel des aufs Korn genommenen Gegners (bzw. „Feindes“, wie es in diesen Kreisen heißen dürfte). Nachdem die Fremden und insbes. die Muslime als Bedrohung abgehandelt sind, geht es nunmehr gegen das rot-grüne bzw. links-alternative Milieu. Es ist verständlich, dass hier die Pegida ihre Hauptgegner ausmacht. Unverständlich bleibt aber, wie der Kampf gegen die “Genderisierung” mit dem Kampf gegen die vermeintliche „Islamisierung“ zusammenhängen könnte. Ist doch der aggressive Islamismus bislang noch nicht durch feministische Propaganda in Erscheinung getreten. Vielmehr erscheinen in dieser Sache die Dschihadisten als gleichsam natürliche Bündnispartner der deutschen Rechtsradikalen.

18. PEGIDA ist GEGEN Radikalismus egal ob religiös oder politisch motiviert!  

Aber klar: „radikal“ – das sind immer die Anderen. Freilich ist man es nicht selbst. Nicht in Deutschland, wo das Wörtchen „radikal“ (von lat. radix = die Wurzel) einen merklich schlechteren Klang hat als anderswo. Auch ich habe in diesem Text die Pegida-Bewegung als „rechtsradikal“ bezeichnet, weil die Kennzeichnungen „extrem“ bzw. „„extremistisch“ administrativ bzw. juristisch belegt sind. Es bedarf keiner Erläuterung, wen Pegida mit den „religiös oder politisch motivierten“ Radikalen meint.

19. PEGIDA ist GEGEN Hassprediger, egal welcher Religion zugehörig! 

Pegida schließt auch das Positionspapier mit dem – mittlerweile penetrant anmutenden – Versuch, ausgewogen und vorurteilsfrei rüberzukommen… – und gleichzeitig den Hass auf Muslime zu schüren. Der Terminus „Hassprediger“ ist in den deutschen Medien bekanntlich eindeutig konnotiert. Oder fällt Ihnen ganz spontan ein jüdischer oder christlicher „Hassprediger“ ein? Was hängen bleiben soll: Muslime stellen – von einigen Ausnahmen abgesehen – eine amorphe Masse von Ergebenen dar, die zum Hassen „angehalten“ werden. „Hass“ auf „uns“, versteht sich. Deshalb ist Widerstand dringend geboten. Auch präventiv. Auch in Sachsen, wo 0,1 Prozent der dort lebenden Menschen Muslime sind.

Werner Jurga, 17.12.2014

Das Pegida-Positionspapier (Punkte 6 – 13) – Kritik Teil 2

Autor Dr. Werner Jurga. (foto: privat)
Autor Dr. Werner Jurga. (foto: privat)

15. Dezember 2014. Am 10. Dezember hat die Bewegung „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) ein Positionspapier veröffentlicht.

Ich gehe dieses Papier Punkt für Punkt durch, d.h.: ich werde jede These im Original zitieren (ohne die Fehler zu korrigieren) und dazu jeweils eine kurze Anmerkung machen. Da es sich aber um 19 Punkte handelt, wird der ganze Text länger, als es die Lesegewohnheiten im Internet zulassen. Ich veröffentliche meinen Beitrag deshalb in drei Teilen. Die Punkte 1 bis 5 sind bereits in Teil 1 abgehandelt worden.

(Der Artikel von Dr. Werner Jurga ist zuerst auf der Website des Autors erschienen)

Weiter geht’s mit Punkt 6 (1-5 siehe hier im Blog).

6. PEGIDA ist FÜR ein Asylantragsverfahren in Anlehnung an das holländische bzw. Schweizer Modell und bis zur Einführung dessen, FÜR eine Aufstockung der Mittel für das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) um die Verfahrensdauer der Antragstellung und Bearbeitung massiv zu kürzen und eine schnellere Integration zu ermöglichen!

Sie kennen weder das holländische noch das Schweizer (einmal klein, einmal groß) „Asylantragsverfahren“ so ganz genau? Egal. Wir sind hier beim Generalthema: die sollen so schnell wie möglich abgeschoben werden, diese „Scheinasylanten“.

7. PEGIDA ist FÜR die Aufstockung der Mittel für die Polizei und GEGEN den Stellenabbau bei selbiger!

Doch, doch – das gehört sehr wohl zum Thema. Weil die – fast (nur keine Pauschalurteile) – alle kriminell sind. Deshalb mehr Polizei. Diese Sozialarbeiter/Betreuer dürfen doch im Grunde nichts. Kriegen wegen jeder Kleinigkeit Ärger.

8. PEGIDA ist FÜR die Ausschöpfung und Umsetzung der vorhandenen Gesetze zum Thema Asyl und Abschiebung!

Nun, staatstragender geht es ja wohl kaum. Keine neuen Gesetze, einfach mal die vorhandenen „umsetzen“. Nur: das trauen die sich einfach nicht. Nicht beim „Thema Asyl“ und schon gar nicht beim „Thema Abschiebung“.

9. PEGIDA ist FÜR eine Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten!

Die Politik kümmert sich überhaupt nicht um „straffällig Gewordene“, sondern überlässt dieses ganze Feld bislang leichtfertig der Justiz und ihren Vollstreckungsbehörden. Immer dieser Rechtsstaat, hier ist eine „Null Toleranz-Politik“ grundsätzlich nur als Kriminalprävention möglich.

10. PEGIDA ist FÜR den Widerstand gegen eine frauenfeindliche, gewaltbetonte politische Ideologie aber nicht gegen hier lebende, sich integrierende Muslime!

Also, wie es landläufig formuliert wird: gegen den Islamismus, aber nicht gegen den Islam. Denn irgendwie bzw. an irgendetwas müssen ja auch die hier lebenden Muslime glauben, die sich zu integrieren haben in – siehe Punkt 13 – „unsere christlich-jüdisch geprägte Abendlandkultur“.  

11. PEGIDA ist FÜR eine Zuwanderung nach dem Vorbild der Schweiz, Australiens, Kanadas oder Südafrikas!

Prima Idee! Der Ausländeranteil in der Schweiz beträgt etwa 22%, in Australien liegt er mit etwa 25 % noch etwas höher. In Kanada sind dagegen nur etwa 17 % Ausländer, immerhin eine rund doppelt so hohe Quote wie in Deutschland. Na gut, mögen Sie sagen, die anderen sind ja auch alle klassische „Einwanderungsländer“. Entscheidend ist doch, wie hoch die Quote derer sind, die sich neu „dauerhaft niederlassen“. Okay, hier die neuesten Zahlen (von 2012): Schweiz 1,6 %, Australien 1,1 %, Kanada 0,7 % – Deutschland 0,5 %.  

12. PEGIDA ist FÜR sexuelle Selbstbestimmung!

Da sich bekanntlich noch keine Partei gegen die „sexuelle Selbstbestimmung“ ausgesprochen hat, ist klar, wer mit diesem Punkt gemeint ist. Eine reichlich direkte Bezichtigung: „die Muselmanen“ vergreifen sich einfach so an Frauen, wahrscheinlich auch an „unseren“ Frauen. Ein aus der Nazizeit bestens bekanntes Muster der Verleumdung – mit dem Unterschied, dass damals so gegen die Juden gehetzt wurde.  

13. PEGIDA ist FÜR die Erhaltung und den Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur!

Wer heutzutage sicher gehen will, muss nur das Adjektiv „jüdisch“ positiv konnotieren, und schon ist klar: die Sache ist nicht antisemitisch, also auch nicht rechtsradikal. Abgekupfert ist diese Schlaumeierei bei der CDU, die auf ihrem Parteitag vor vier Jahren die Wortneuschöpfung „christlich-jüdisch“ in die politische Debatte eingeführt hatte, um daraus eine Verpflichtung auf die „deutsche Leitkultur“ abzuleiten. Eine Verpflichtung für die Fremden, versteht sich.

Fortsetzung folgt

Das Pegida-Positionspapier (Punkte 1 – 5) – eine Kritik

Autor Dr. Werner Jurga. (foto: privat)
Autor Dr. Werner Jurga. (foto: privat)

14. Dezember 2014. Am Mittwoch hat die Bewegung „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) ein Positionspapier veröffentlicht.

(Der Artikel von Dr. Werner Jurga ist zuerst auf der Website des Autors erschienen)

Darin skizziert sie in 19 thesarischen Punkten ihren politischen Standpunkt. Dieses Papier konnte den AfD-Chef Bernd Lucke umstimmen. Er hatte nämlich, wie er gegenüber der Presse erklärte, „aufgrund des Namens zunächst gedacht, das sei eine Bewegung nach dem Motto ‚Muslime raus aus Deutschland‘ und das wäre für uns nicht akzeptabel“. Aus dem Positionspapier meint Lucke nun aber entnehmen zu können, dass die Pegida-Bewegung genau wie die Alternative für Deutschland (AfD) auch dafür sei, „Flüchtlingen zu helfen und von den dauerhaft in Deutschland lebenden Migranten Integration einzufordern“.

Mit ihren Thesen bemüht sich die Pegida offensichtlich darum, einen verfassungskonformen und halbwegs vernünftigen Eindruck zu hinterlassen, auch wenn die Selbstbezeichnung als „patriotische Europäer“, die sich zusammen gefunden haben, um „gegen die Islamisierung des Abendlandes“ anzutreten, durchaus Zweifel daran begründen, ob der von diesen Kreisen häufig bemühte „gesunde Menschenverstand“ den Anführern dieser Bewegung so ohne weiteres attestiert werden kann. Sollten Sie davon ausgehen, dass wer sich vor einer „Islamisierung des Abendlandes“ fürchtet, auch sonst nicht alle auf dem Zaun hat, könnten Sie zwar richtig liegen. Dennoch müssen Sie zur Kenntnis nehmen, dass hierzulande jeden Dritten diese Angst plagt.

Dieselbe Umfrage weist aus, dass doppelt so viele, nämlich fast zwei Drittel der Befragten, finden, dass die Regierung nicht ausreichend auf ihre Sorgen bezüglich der Flüchtlingspolitik eingehe. Genau an diese Knallchargen richtet sich die Pegida mit ihren Thesen, von dem der Rechtsextremismus-Experte Hans-Gerd Jaschke sagt: „Wenn man das veröffentlichte Pegida-Positionspapier zu Grunde legt, dann sind das Forderungen, die der bürgerlich rechten Mitte entstammen.“ Wegen seines scheinbar vernünftigen Charakters hätte es eine größere Beachtung durch die deutschen Medien verdient. Während die tages-zeitung (taz) es bei einer polemischen Blödelei bewenden ließ, brachte Spiegel Online immerhin einen Faktencheck.  Ansonsten Schweigen im Walde…

Ich werde das Pegida-Papier im folgenden Punkt für Punkt durchgehen, d.h.: ich werde jede These im Original zitieren (ohne die Fehler zu korrigieren) und dazu jeweils eine kurze Anmerkung machen. Da es sich aber – wie bereits erwähnt – um 19 Punkte handelt, wird der ganze Text länger, als es die Lese-gewohnheiten im Internet zulassen. Ich veröffentliche meinen Beitrag deshalb in drei Teilen. Wir sind bereits in der Mitte von Teil 1, und jetzt geht es auch schon richtig los:

Das POSITIONSPAPIER der PEGIDA

mit Anmerkungen von Werner Jurga

1. PEGIDA ist FÜR die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und politisch oder religiös Verfolgten.
Das ist Menschenpflicht!

Wie es sich für eine politische Erklärung gehört! Das Hauptanliegen gleich im ersten Satz; das Leitthema: „Wirtschaftsflüchtlinge“ raus aus Deutschland!

2. PEGIDA ist FÜR die Aufnahme des Rechtes auf und die Pflicht zur Integration ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (bis jetzt ist da nur ein Recht auf Asyl verankert)!

Rechte und Pflichten – normal. Auch im Grundgesetz? Wozu sind Sie laut GG sonst noch verpflichtet? Einfach mal die Artikel 1 bis 19 ansehen! Übrigens: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ (Art 3, Abs. 1 GG).

3. PEGIDA ist FÜR dezentrale Unterbringung der Kriegsflüchtlinge und Verfolgten, anstatt in teilweise menschenunwürdigen Heimen!

Na bitte! Das ist doch was für Sie. Gut, da wird ohnehin nichts draus, weil es die Kommunen nicht bezahlen können. Aber der Kundschaft wird bedeutet, dass diese „Asylantenheime“ alle wegkommen.

4. PEGIDA ist FÜR einen gesamteuropäischen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge und eine gerechte Verteilung auf die Schultern aller EU-Mitgliedsstaaten! (Zentrale Erfassungsbehörde für Flüchtlinge, welche dann ähnlich dem innerdeutschen, Königsteiner Schlüssel die Flüchtlinge auf die EU-Mitgliedsstaaten verteilt) und für dessen konsequente Umsetzung!

Na klar, die (selbstverständlich: deutschen) Patrioten sind „für Europa“. Freilich nur, wenn für alle (siehe Punkt 3) die gleichen Rechte und Pflichten gelten. Etwa auch für Lettland und Estland, wo selbst die russischen Minderheiten – trotz ihrer enormen relativen – Größe diskriminiert werden.

5. PEGIDA ist FÜR eine Senkung des Betreuungsschlüssels für Asylsuchende (Anzahl Flüchtlinge je Sozialarbeiter/Betreuer – derzeit ca.200:1, faktisch keine Betreuung der teils traumatisierten Menschen)

Wenn auf die dezentral Untergebrachten nur eine hinreichend große Zahl von „Betreuern“ aufpasst, können die uns nicht mehr islamisieren, sich dafür aber umso besser integrieren. Am besten: der Sozialarbeiter kommt zur freiwilligen Feuerwehr gleich mit.

Werner Jurga, 14.12.2014

… die Fortsetzung folgt morgen …

Fragmentarische Überlegungen zur Bedeutung des Zinsverbots für den modernen Antisemitismus

WordleAntisemitismus(Der vorliegende Beitrag von Dr. Werner Jurga erweitert den gestern erschienenen Artikel „Auf schmalem Grat: Antisemitismus im Briloner Anzeiger?“ um einige allgemeine Erläuterungen, Überlegungen und Hinweise.)

Die Theokratie wollte den Siegeszug des Kapitalismus von Beginn an verhindern und ist mit ihm – bei aller Kumpanei – bis heute nicht so richtig warm geworden. Wäre es ihr gelungen, die Herausbildung eines Bankensystems zu verhindern, Kreditketten erst gar nicht entstehen zu lassen: der Kapitalismus hätte sich nicht herausbilden können. Eine moderne Welt wäre verhindert worden. Hätte, hätte, Fahrradkette? Ein theoretisches Hirngespinst?

In einem Sechstel der Welt sehen wir, dass dies tatsächlich so funktioniert. In der islamischen Welt. Das Zinsverbot „gilt“ – jedenfalls theologisch. Wie gesagt: es führte zu weit, dies im einzelnen zu analysieren. All die „Umgehungstatbestände“ und Sonderfälle. Die Türkei, ein so gut wie entwickeltes kapitalistisches Land – in dem westliche Konzerne sogar Autos bauen lassen. Die ölreichen Theokraten auf der arabischen Halbinsel. Das vorübergegangene Erblühen des Libanon.

Insgesamt kann aber gesagt werden, dass das in der islamischen Welt (irgendwie) existierende Zinsverbot zu einer umfassenden und verheerenden ökonomischen Entwicklungsblockade geführt hat und führt. Ein gigantisch großes sozialistisch-kommunistisches Staatensytem mit einem de-facto-Zinsverbot nach innen bricht trotz wenig zimperlicher polizeistaatlicher Führung zusammen, weil die wenig attraktive säkulare Herrschaftsideologie nicht die ökonomische Entwicklungsblockade zu legitimieren vermag. „Fragmentarische Überlegungen zur Bedeutung des Zinsverbots für den modernen Antisemitismus“ weiterlesen

Ein Thema fürs Gemüt: Fracking …. „Da kommen diese Romantiker angewackelt und machen sich Sorgen um ihr Leitungswasser“

Sie interessieren sich also nicht so sehr für das Thema Fracking, weil Sie nicht in einem potenziellen Abbaugebiet wohnen. Ich verstehe. Darf ich fragen, ob Sie nördlich oder südlich der Ruhr zuhause sind? Ach so, linke Rheinseite. Dann müssen Sie sich die Ruhr einfach linksrheinisch weiterdenken …

(Ein Beitrag von Werner Jurga, Duisburg. Crossposting)

Mittwoch, 13. Februar 2013. Aschermittwoch. Jetzt ist alles vorbei. Schluss mit Spaß und Schabernack. Wer jetzt noch zurücktritt, kommt eindeutig zu spät. Höchsten Respekt und Anerkennung gibt es für Schummeln oder Gebrechlichkeit nur in der Karnevalszeit. Höchste Zeit, dass diese Albernheiten jetzt ein Ende haben! Zurück in den Ernst des Lebens, vorwärts ins Wahljahr! Jawohl, dieses Jahr wird gewählt, und zwar richtig gewählt, also der Bundestag. Nun fragen Sie mal nicht: „Wieso?“ Nehmen Sie das doch bitteschön einfach mal so hin! Am 22. September wird gewählt. Ende der Durchsage.

Ich gebe zu: so richtig Stimmung, also Wahlkampfstimmung, ist bislang noch nicht aufgekommen. Aber warten Sie mal ab! Es sind ja noch fünf Monate hin. Was nicht ist, kann ja noch werden. Okay, so Sachen wie früher, der Wettkampf zwischen der Freiheit und dem Sozialismus, so etwas ist ein für allemal vorbei. Thema erledigt: heutzutage ist soziale Gerechtigkeit angesagt. Ja nicht: dafür oder dagegen. Soziale Gerechtigkeit, basta! Für die ganz Schlauen vielleicht noch, wenn es hoch kommt: wie? Also: soziale Gerechtigkeit – wie sollen wir es machen? Das ist aber mehr so ein Minderheitenthema; da fehlt der Faktor Gefühl. „Ein Thema fürs Gemüt: Fracking …. „Da kommen diese Romantiker angewackelt und machen sich Sorgen um ihr Leitungswasser““ weiterlesen

Aus Anlass des Netanjahu-Besuchs: Zweistaatenlösung oder Krieg

israelpalaestinazeichenDonnerstag, 6. Dezember 2012. Am Montag hatte ich noch einmal einen Artikel vom 20. September 2011 zum Nahostkonflikt gepostet und auf meine Homepage gestellt. Das Problem bei Texten „aus dem Archiv“: Zusammenhänge, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung allgemein präsent waren, erschließen sich mit der Zeit nicht mehr so ohne weiteres. Ein Freund und Kollege hat mich in Frageform auf diesen Umstand hingewiesen. Im Folgenden meine Antwort an ihn – in geringfügig modifizierter (anonymisierter) Form.

Vor 15 Monaten, also im September letzten Jahres, erschien es mir nicht nötig zu erwähnen, worauf sich Merkel frühzeitig festgelegt hatte. Heute erscheint diese Unterlassung verständlicherweise als ein Fehler.

Also: Merkel hatte sich und damit die Bundesregierung und damit die Bundesrepublik Deutschland früh auf ein Nein zum Antrag der PA, also Abbas´ Fatah (PLO), festgelegt. Im Text hatte ich erwähnt, dass es sich um einen Antrag auf Vollmitgliedschaft in der Vollversammlung der Vereinten Nationen handelte. „Aus Anlass des Netanjahu-Besuchs: Zweistaatenlösung oder Krieg“ weiterlesen

Gelesen und empfohlen: „Packen wir’s an! – Gegen Mobbing und Gewalt in der Schule. Was Eltern und Lehrer/-innen wissen sollten“.

Dr. Werner Jurga rezensiert Detlef Träberts Leseheft (foto: jurga)
Dr. Werner Jurga rezensiert Detlef Träberts Leseheft "Gegen Mobbing und Gewalt in der Schule". (foto: jurga)

„Gewalt in der Schule ist seit vielen Jahren ein `Dauerbrenner´. Dabei wird immer wieder die Frage gestellt, ob sie denn tatsächlich ein bedeutsames Thema sei, ob sie zugenommen habe oder ob sie eher ein Modethema und nur deswegen so im Gespräch sei, weil die Medien sie bei geeigneten Anlässen immer wieder hochspielten.“

So beginnt der Klappentext zu Detlef Träberts Leseheft Nr. 3: „Packen wir’s an! – Gegen Mobbing und Gewalt in der Schule. Was Eltern und Lehrer/-innen wissen sollten“.* Träbert, Bundesvorsitzender der Aktion Humane Schule (AHS), ist seit Jahren in der Elternarbeit sowie in der Fortbildung für Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher, für Therapeutinnen und Therapeuten tätig. Mit dieser Anti-Mobbing-Broschüre liefert er eine gut lesbare Handreichung für Lehrer, Eltern und alle anderen mit dem Problem „Gewalt in der Schule“ Befassten.

Die Grauzone zwischen Voyeurismus und Tabu bietet den idealen Nährboden für das Gedeihen von Unsinn aller Art
Einerseits ein Modethema, das bei entsprechendem Anlass von den Massenmedien reißerisch hochgekocht wird, handelt es sich gleichzeitig um ein Tabuthema, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Verantwortlichen davor „zurückschrecken, die reale Situation an der eigenen Schule öffentlich werden zu lassen“. Die Grauzone zwischen Voyeurismus und Tabu bietet den idealen Nährboden für das Gedeihen von Unsinn aller Art. Allein schon deshalb gebührt Träbert Dank und Anerkennung dafür, die Probleme nüchtern benannt und Wege zur ihrer Lösung aufgezeigt zu haben. Sein Leseheft gegen Mobbing und Gewalt in der Schule – mannigfach angereichert mit Lesetipps – sollte Pflichtlektüre zumindest für alle Lehrer und Elternvertreter sein.

Träumen in einer Welt, die ratlos zwischen Begaffen und Verschweigen taumelt
Dies gilt auch dann, wenn man Träberts pädagogisch-politischen Standpunkt nicht umstandslos zu teilen vermag. Dass er zum Ende des Heftes sich offen als Alt-68er bekennt, ist dabei durchaus sympathisch, gehört es sich doch, offen darzulegen, „wo man steht“. Träberts Schlussbemerkungen zur gewaltfreien Schule und zu einem menschlicheren Schulsystem, seine Hommage an Robert Jungk, an dessen Begriff der „strukturellen Gewalt“ mögen etwas aus der Zeit gefallen erscheinen, sie nehmen dem Leseheft jedoch nichts von der Kraft, die Dinge offen anzusprechen, wie sie sind. Im Gegenteil: vielleicht ist Träumen in einer Welt, die ratlos zwischen Begaffen und Verschweigen taumelt, ein ganz nützlicher Weg zur Realität.

Mobbing, Gewalt, Amok – „Kinder stark machen!“
Träbert befasst sich in der 32seitigen Broschüre mit ganz unterschiedlichen Phänomenen. Grob ließe sich zwischen drei verschiedenen Dingen unterscheiden: 1. Mobbing, 2. Gewalt, 3. Amok. Drei Phänomene, die bei trotz ihrer Unterschiedlichkeit – wie ich finde: zu Recht – von Träbert mit ein und demselben pädagogischen Leitmotiv angegangen werden: „Kinder stark machen!“ Denn: „Persönlichkeitsstarke Kinder sind wesentlich seltener Opfer von Gewalthandlungen als angepasste, brave und schwache“.

Mit demokratischen und offenen Unterrichtsformen stärken
Träberts Appell, „stark zu machen“, richtet sich dabei gleichermaßen an Eltern und Lehrer. „Leider unternehmen die meisten Eltern nichts“, berichtet Träbert, „wenn ihre Kinder berichten, dass sie in irgendeiner Weise drangsaliert werden. So erleben die Kleinen nicht nur ihre eigene Machtlosigkeit, sondern auch das Fehlen des starken Erwachsenen“. Wobei er hier freilich von einem aufgeklärten „Stärke“-Begriff ausgeht. Es ist keine 68er-Romantik, sondern fast schon eine Binsenweisheit, wenn Träbert schreibt: „Kinder stark machen zu wollen bedeutet auch, in der Schule die entsprechende Pädagogik zu praktizieren. Man kann Kinder nicht mit Frontalunterricht, übertriebenem Leistungsdruck und Disziplinierungsmaßnahmen stärken, sondern nur mit demokratischen, offenen Unterrichtsformen.“

Mobbing-Täter streben nach Macht und Überlegenheit, um ihre Schwächen zu übertönen.
Wer zu Opfern erzieht, wird sich nicht wundern dürfen, wenn er Opfer erhält. Dies gilt im Übrigen für Lehrer und Eltern gleichermaßen. Oder eben auch Täter. Mobbing-Täter“, so Träbert, „streben nach Macht und Überlegenheit, um ihre Schwächen zu übertönen.“ Also: Kinder stark machen! „Wer sich stark fühlt, hat es weder nötig, seine Macht angeberisch zu demonstrieren, noch strahlt er Angreifbarkeit aus.“ So weit, so einsichtig. Ganz anders liegen die Dinge allerdings, wenn es nicht um Erpressung auf dem Schulweg oder um alltägliche Hänseleien und Pöbeleien geht, sondern um einen Amoklauf. Wenn ein martialisch Maskierter mit Maschinenpistolen das Schulgebäude durchkämmt, nutzt einem auch das gesündeste Selbstbewusstsein in aller Regel nicht viel.

Vor einem Amoklauf wie in Erfurt oder Winnenden kann es keinen unmittelbaren Schutz geben.
Träbert widmet ein eigenes Kapitel dem „Schulleben im Angesicht der Amoklauf-Gefahr“. Zunächst: „Die Berichterstattung in den Medien lässt leicht den Eindruck aufkommen, dass Gewalttaten wie die von Erfurt, Emsdetten oder Winnenden in den letzten Jahren zugenommen hätten. Die Kriminalstatistik kann das allerdings nicht bestätigen.“ Und klar ist auch: „Vor einem Amoklauf wie in Erfurt oder Winnenden kann es keinen unmittelbaren Schutz geben.“ Aber dennoch: beides vermag letztlich nicht zu beruhigen. Weder die geringe statistische Wahrscheinlichkeit noch die Einsicht in die Unvermeidlichkeit eines „Restrisikos“ können bedeuten, sich dem schlimmsten Fall der Fälle gänzlich unvorbereitet ausliefern zu müssen.

Was aber tun? Auch Träbert bietet hier keinen „Königsweg“ an. Er erwähnt positiv das Beispiel einer Schule in Recklinghausen, „wo die Polizei erst das ganze Kollegium in einem Workshop trainiert, bevor ausgewählte Lehrer als Mitglieder des Krisenteams noch eine spezielle Schulung erhalten“ hatten. Nicht schlecht, jedenfalls mehr als nichts – Weiterdenken erlaubt! Klar geworden ist jedoch, was und wie man es nicht machen sollte.

Träbert: „Die Schulleitungen zweier Schulen in Plettenberg und Winterberg (beide Sauerland) haben das im Schuljahr 2010/11 zum Anlass genommen, einen unangekündigten Probealarm durchzuführen. Weder Schüler- noch Lehrerschaft waren vorab informiert worden – ein Vorgehen, das Polizei, Innen- und Schulministerium strikt ablehnen. Diese Übungen führten zu großer Panik und Angstzuständen bei allen Beteiligten.“

Groteske wie unmenschlichen Maßnahmen einiger deutscher Beamter
Es ist unfassbar, zu welchen ebenso grotesken wie unmenschlichen Maßnahmen sich offenbar einige deutsche Beamte hingerissen sehen, wenn sie im Unklaren darüber verbleiben, wie genau nun ein ministerieller Ordner umzusetzen sein könnte. Auch sie sind, als sie noch Schüler gewesen waren, gewiss nicht stark gemacht worden. So reproduzieren sich Untertanengeist und Opferkult einfach so immer weiter fort, wenn man nicht aktiv etwas dagegen unternimmt.

Unternehmen wir also etwas dagegen! Für den Schulalltag ist dabei Träberts Anti-Mobbing-Leseheft eine wertvolle Anregung. Ein Füllhorn voller Denkanstöße und Impulse für die Praxis.

* (Das Heft, 32 Seiten, DIN-A 4 kostet € 5,- (zzgl. Versand) und kann bestellt werden per E-Mail: info@traebert-materialien.de oder telefonisch unter 0 22 08 / 90 19 89.)

Bildung und Schule: Sind die Sozialkundelehrer der kapitalistischen Wirtschaftsordnung gewachsen?

Dr. Werner Jurga (foto: jurga)
Dr. Werner Jurga (foto: jurga)

„Die kapitalistische Wirtschaftsordnung“, heißt es in einem Schulbuch für Realschüler in den Fächern Erdkunde, Geschichte und Politik, „setzt auf Leistungs- und Produktionssteigerung.“ Das ist erstens richtig und zweitens zunächst einmal eine ziemlich gute Sache.*

In der Schule freilich kann man sich nicht mit dem allzu Offensichtlichem begnügen, man muss weiterdenken. Denn was bedeutet das denn: kapitalistische Produktionssteigerung? Die Antwort gibt das Schulbuch auf der Stelle: „Das bedeutet einen verstärkten Einsatz von Maschinen …“ – auch richtig, aber immer noch nicht alles – „… zur Rationalisierung der Arbeit“.

„Rationalisierung der Arbeit“ eine Verminderung des Beschäftigungsvolumens?
Halten wir fest: „Die kapitalistische Wirtschaftsordnung“ tendiert zur „Rationalisierung der Arbeit“, was irgendwie richtig ist, irgendwie aber auch wieder nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn mit „Rationalisierung der Arbeit“ eine Verminderung des Beschäftigungsvolumens gemeint sein sollte, mithin eine höhere Arbeitslosigkeit. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Schulbuchautoren genau dies gemeint haben dürften, nämlich dass der Kapitalismus die sog. „technologische Arbeitslosigkeit“ produziere.

Leute fliegen raus
Es ist ja auch so: wenn ein Unternehmen „verstärkt Maschinen einsetzt“, heutzutage also Computer bzw. computergestützte Systeme, einsetzt, dann, um Arbeitskräfte „einzusparen“, d.h.: die Leute fliegen raus.

Der Fall scheint klar
Und so läuft das schon seit Beginn der “kapitalistischen Wirtschaftsordnung“, verstärkt aber seit den 1980er Jahren. Das war die Zeit, als die Schulbuchautoren studiert hatten und die Computer auf ihrem Siegeszug keinen Halt vor der Arbeitswelt machten, nicht einmal vor den deutschen. Der Fall schien klar: die Arbeit schien auszugehen.

Das Ende der Arbeitswelt?
André Gorz stellte schon einmal “Sinnfragen am Ende der Arbeitsgesellschaft“ und nannte sein Buch dazu ganz offensiv “Kritik der ökonomischen Vernunft“. Die Jahre vergingen, eine Generation später sah Jeremy Rifkin “das Ende der Arbeitswelt“ kommen, komisch war nur: aus schier unerklärlichen Gründen gingen immer noch ziemlich viele Leute zur Arbeit. 1980 waren es in der alten Bundesrepublik 27,9 Millionen Erwerbstätige, 2010 gab es in den alten Ländern (freilich ohne Berlin) 33,0 Millionen Erwerbstätige. Zugegeben: viele davon in prekären Beschäftigungsverhältnissen – Minijobber, „Aufstocker“; rechnet man die raus, ist der Beschäftigungszuwachs wieder weg.

Die Erwerbsarbeit ist aber immer noch da
Die Erwerbsarbeit ist aber immer noch da – trotz „kapitalistischer Wirtschaftsordnung“ und “technologischer Arbeitslosigkeit“. Es wurde nämlich übersehen, dass durch den “verstärkten Einsatz von Maschinen“ die Produktion von Gütern und Dienstleistungen billiger erfolgen konnte. Wird dieser Preisvorteil an die Kunden weitergegeben, entsteht gesamtwirtschaftlich betrachtet zusätzliche Nachfrage an anderer Stelle, die dort neue Arbeitsplätze schafft. Würde der besagte Preisvorteil nicht weitergegeben, könnte der Zusatzprofit im Unternehmen investiert werden.

Die kompensatorische Nachfrage auf dem Binnenmarkt greift
Dann entstehen ebenfalls neue Arbeitsplätze, wenn es sich um Erweiterungsinvestitionen handelt. Bei Rationalisierungsinvestitionen wären wir wieder im Thema dieses Textes. Die kompensatorische Nachfrage auf dem Binnenmarkt greift. Handelt es sich dagegen um Produktion für den Export, dürfte unmittelbar einsichtig sein, dass technologische Innovationen Arbeitsplätze keineswegs vernichten, sondern sichern bzw. schaffen.

Volksglaube an die “technologische Arbeitslosigkeit“
Allein schon die Annahme, mit einem Maschinenpark von Anno Tobak ließe sich ein hohes Beschäftigungsniveau sichern, gar Vollbeschäftigung anvisieren, ist an Absurdität kaum zu überbieten. Und doch hält sich der Volksglaube an die “technologische Arbeitslosigkeit“ hartnäckig in den Schulbüchern und, wie zu befürchten steht, in den Köpfen der mit ihnen arbeitenden Lehrer.

“Schulbücher diffamieren Kapitalismus“
Das Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) heißt nicht nur so, sondern ist auch eins – jedenfalls dann, wenn man unter Wirtschaft nicht „die Gesamtheit aller Einrichtungen und Handlungen, die der planvollen Deckung des menschlichen Bedarfs dienen“ (Wikipedia) versteht, sondern die relativ kleine Menschengruppe der Firmeneigner und ihrer Verwalter. Das IW hat jetzt in einer Studie entsetzt festgestellt: “Schulbücher diffamieren Kapitalismus“, so die Überschrift in der FTD.

Lehrerfortbildung zur ökonomischen Bildung intensivieren.
In der Studie selbst wird freilich ein der wissenschaftlichen Community etwas angemessenerer Sound angeschlagen. Der letzte Satz der Arbeit gibt die „Empfehlung“: “Um die Professionalisierung der aktiven Lehrer gesellschaftswissenschaftlicher Fächer zu fördern, gilt es, die Lehrerfortbildung zur ökonomischen Bildung nach dem aktuellen Stand der Wirtschaftsdidaktik und Wirtschaftswissenschaft zu intensivieren.“ Auch dies wäre erstens richtig und zweitens zunächst einmal eine ziemlich gute Sache.

Formung unkritischer Rekruten für die freie Wirtschaft
Doch man muss weiterdenken: dem IW geht es um nicht mehr und nicht weniger als um einen politischen Angriff auf die Unabhängigkeit des sozialkundlichen Unterrichts in den Schulen und der Lehrerausbildung an den Hochschulen. Im Grunde nicht neu, doch diesmal soll es auch ans Eingemachte gehen. Die Formung unkritischer Rekruten für die freie Wirtschaft soll frühstmöglich beginnen und auch an Schulformen Platz greifen, die nicht für die Produktion künftiger Vorgesetzter zuständig sind, sondern für die Bereitstellung der erforderlichen willfährigen Ergebenen.

Eine Gegenwehr ist nicht zu erkennen
Zurzeit ist nicht zu erkennen, wie sich das sozialkundliche Establishment in den Schulen, Universitäten, Schulverwaltungen, Ministerien, Schulbuchverlagen etc. dagegen zur Wehr setzen könnte. Eine Kapitalismuskritik, die der „kapitalistischen Wirtschaftsordnung“ vorwirft, „auf Leistungs- und Produktionssteigerung“ zu setzen, und deshalb ein technikfeindliches Ressentiment vermittelt, dürfte kaum zu halten sein. So gesehen gebührt dem IW eigentlich Dank dafür mitzuteilen, wo “die Wirtschaft“ jetzt anzusetzen gedenkt und wie bescheiden diejenigen aufgestellt sind, die die Aufgabe haben, unsere Kinder zu kritischen Staatsbürgern zu erziehen.

*Der Artikel ist ebenfalls gestern im sozialdemokratischen Vorwärts erschienen.

„Rechtsradikaler Unsinn“ bei Duisburger Linken „gelandet“

Werner Jurga
Dr. Werner Jurga (foto: jurga)

Am Mittwoch enthüllten die Ruhrbarone, dass sich auf der Website der Duisburger Linkspartei ein antisemitisches Flugblatt befindet, in dem Hakenkreuz und Davidstern ein gemeinsames Logo bilden. Gleichzeitig hatte Stefan Laurin, der verantwortliche Redakteur der Ruhrbarone, Strafanzeige erstattet. Die Duisburger Staatsanwaltschaft hat, wie Stern Online berichtet, am Donnerstag entscheiden, dass strafrechtliche Ermittlungen aufgenommen werden. Der Kreisverband der Linken hat das Flugblatt inzwischen gelöscht.

Ein Kommentar zu diesem Vorgang von unserem Gastautor Werner Jurga*.

Die Linkspartei wolle, so die Kreisvorsitzende Ute Abraham gegenüber dem Tagesspiegel, mit diesem Flugblatt „nichts zu tun haben“. Das Flugblatt ist „antisemitisch“, stellt Frau Abraham zutreffend fest und sei „nicht unsere Position“. Doch wie konnte es nur auf die Internetseite des Kreisverbandes gelangen. „Wir rätseln noch“.

Und während die Kreisvorsitzende noch rätselt, beschleicht den Pressesprecher schon ein ganz bestimmter Verdacht. Horst-Werner Rook hält es nämlich für möglich, wie er dem WDR mitteilte, „dass sich ein Rechter in die Partei eingeschmuggelt und das Flugblatt eingestellt hat“. Horst-Werner Rook ist mir persönlich bekannt; daher halte ich es für möglich, dass er das tatsächlich für möglich hält. Wie auch immer: der wichtigste Satz aus dem Repertoire des Pressesprechers darf nicht fehlen: „Wir sind total empört.“

Alles nur Unsinn? (screenshot)
Alles nur Unsinn? (screenshot)

Und warum, wenn man fragen darf? „Das ist alles rechtsradikaler Unsinn“, sagt Rook. Das kann man wohl sagen! Muss man aber nicht; will sagen: man muss es nicht so sagen. „Rechtsradikaler Unsinn“, wann hat man so etwas schon einmal gehört? „Rechtsradikaler Unsinn“ – könnte man stattdessen auch „faschistische Albernheit“ oder „Nazi-Humbug“ sagen? Wer die Empörungskultur der Linksparteiler kennt, wird sich kaum daran erinnern können, dass das Objekt der Empörung mit einem Verdikt wie „Unsinn“ belegt worden ist.

Der rechtsradikale Text trägt den in der Tat wenig sinnigen Titel „Nie wieder Krieg für Israel“, ruft zum Boykott israelischer Waren auf und appelliert wörtlich: „Tretet der moralischen Erpressung durch den sogenannten Holocaust entgegen! Wahrheit macht Frei!“ „Frei“ groß geschrieben im Original, das die Linken-Kreisvorsitzende ein „Dokument“ nennt.

„Wahrheit macht frei“- diese kaum verhohlene Anspielung auf die zynische Toraufschrift an den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, auch am Vernichtungslager Auschwitz, wird also knallhart verurteilt als „rechtsradikaler Unsinn“.

Doch der Unsinn wird, um die Sprache des Linken-Pressesprechers aufzugreifen, noch alberner: direkt hinter „Wahrheit macht frei“ folgt ein Link, der ein 32-seitiges Pamphlet aktiviert – Titel: „Die verbotene Wahrheit“. Zu lesen gibt es 32 Seiten lang die Auschwitzlüge pur mit „Belegen“ wie der vermeintlich gefälschten Handschrift von Anne Frank, Agitation gegen das Holocaust-Mahnmal in Berlin und allerlei ähnlichen Unappetitlichkeiten.

Wohlbemerkt: zu dieser ausführlichen „verbotene Wahrheit“ genannten Auschwitzlüge befindet sich auf dem Flugblatt „nur“ ein Link. Doch das Flugblatt selbst liegt bzw. lag auf dem Server der Duisburger Linkspartei, offenbar schon seit Jahren und ist mit ihrem „Wahrheit macht frei“ – Hinweis gleichsam direkt auf die Propagierung der Auschwitzlüge zugeschnitten.

Inzwischen hat das Rätseln der Kreisvorsitzenden immerhin ergeben, dass „das Dokument (!) vor Monaten auf dem Server der LINKEN Duisburg gelandet“ ist. Nun gut, Monate, Jahre – egal, jetzt ist es ja gelöscht. Nachdem es zuvor dort „gelandet“ war. Womit Frau Abraham die von Herrn Rook angedeutete Möglichkeit der Verschwörung ausgeschlossen hat: das braune Zeug wurde nicht eingeschmuggelt, es ist auf dem Server gelandet. Möglich, dass die Parteijugend dahinter stecken könnte.

Wie dem auch sei: „Wir verwehren uns gegen jegliche Vorwürfe des Antisemitismus und distanzieren uns hier noch einmal ausdrücklich von dem fälschlich veröffentlichten Papier.“ Wie schön: ausdrücklich fälschlich veröffentlicht  – und als Konsequenz aus der Flugblatt-Affäre wird jetzt gar erwogen, nicht mehr sämtlichen Untergliederungen den Zugriff auf den Server zu gestatten. Trotz „unseres partizipativen Grundverständnisses“, wie die Duisburger Linke in einem Statement gegenüber den Ruhrbaronen mitteilt.

„Distanzierung vom Boykott-Aufruf“ haben sie über diese Stellungnahme geschrieben. Das ist aufschlussreich, begann doch mit dem Aufruf zum Kaufboykott israelischer Waren vor etwa zwei Jahren die unsägliche Geschichte der Linkspartei in Duisburg. In die Welt gesetzt hatte sie Hermann Dierkes, der Vorsitzende der Stadtratsfraktion, der daraufhin seinen Hut nehmen und seine OB-Kandidatur zurückziehen musste. Da Partei und Fraktion ihn inständig gebeten hatten, konnte er alsbald den Fraktionsvorsitz wieder antreten.

Dierkes hatte nie irgendetwas von seinen israelfeindlichen („antizionistischen“) Positionen zurückgenommen; im Gegenteil: ab und an legt er neue Tiraden gegen Israel nach. Der „bewaffnete Kampf“ ist ihm dabei ganz wichtig. Jeder in der Duisburger Linkspartei weiß das, und selbstverständlich ist dies auch den politischen Entscheidungsträgern bei seinen kommunalen Koalitionspartnern bestens bekannt. Antisemitismus-Vorwürfe weist der kompetente Kommunalpolitiker stets entschieden von sich, und selbstverständlich: niemals würde Dierkes solch offen faschistisches Gebräu von sich geben, wie es jetzt auf der Website seines Kreisverbandes „gelandet“ ist.

Und doch: jetzt so zu tun, als habe das eine (die permanente aggressive Agitation gegen Israel) nun rein gar nichts mit dem anderen (rechtsradikaler Unsinn“ inklusive Auschwitzlüge und Rassenwahn) miteinander zu tun, ist mehr als billig. Politisch wird es dem Duisburger Kreisverband kein Stückchen weiterhelfen. Selbst wenn, was das Mindeste wäre, der / die Täter ermittelt und aus der Partei geworfen würden (womit nicht zu rechnen ist), es würde nichts daran ändern, auf welches Milieu unter jungen Leuten man attraktiv wirkt.

Solange sich die Partei um eine aufrichtige Diskussion darüber drückt, wo zulässige linke Kritik an der Politik einer israelischen Regierung endet, und wo unter der Tarnung eines vermeintlichen „Antizionismus“ Hetze gegen Israel und gegen Juden schlechthin beginnt, solange wird sie Verschwörungstheorien über angebliche „Provokateure“ erfinden müssen.

Die Linke in Duisburg wird auf Dauer nicht um diesen Klärungsprozess herumkommen. Aber auch Sozialdemokraten und Grüne, die Koalitionspartner in Duisburg, werden sich langfristig nicht auf die Position zurückziehen können, dass außenpolitische Themen im Stadtrat nicht zur Debatte stehen. Antisemitismus ist keine Frage der Außenpolitik.

* Dr. Werner Jurga ist Mitglied der Duisburger SPD und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). Dort ist er stellv. Vorsitzender der DIG-Arbeitsgemeinschaft Duisburg-Mülheim-Oberhausen. Jurga ist zudem Autor bei den Ruhrbaronen.