Ein Präsident von Facebooks Gnaden? Trump, Zuckerberg und Thiel

Trumps Tweet vom 20. September 2019: „Nice meeting with Mark Zuckerberg  of  @Facebook in the Oval Office today.“ (Screenshot: Chris Klein)

Mark Zuckerberg trifft sich mit Donald Trump.  Über den Inhalt des Gesprächs schweigt er.

Der Facebook Erfinder wird nicht gegen Lügen und Unwahrheiten in politischer Werbung auf Facebook vorgehen. Auch erlaubt die Plattform Werbung, die kleine Gruppen gezielt anspricht (micro-targeted Facebook ads). Die Wahlkampfmaschine von Trump soll bereits jetzt 1000 neue Kleingruppenanzeigen täglich schalten.

Während Donald Trump seine Wahlkampfkasse für die kommende Auseinandersetzung gefüllt hat und die sozialen Medien mit personalisierter Werbung nutzen wird, erklärt der führende Kandidat der Demokraten Joe Biden, er werde sich auf Fernsehwerbung konzentrieren. Klingt, als würde bei den US-Präsidentschaftswahlen das 20. gegen das 21. Jahrhundert antreten.

Trotz Kritik an dem laxen Umgang mit Lügen, bewegt sich Facebook nicht. So verbreitete die Plattform im vergangenen Oktober die Falschmeldung, Joe Biden habe der Ukrainischen Regierung $1 Milliarde Dollar angeboten, wenn sie die Untersuchung der Firma seines Sohnes beenden würden. Es werden viele weitere Lügen folgen.

Dieser kreativen Umgang Facebooks mit der Wahrheit wird von Peter Thiel maßgeblich vorangetrieben. Thiel, ein Trump-Unterstützer, ist Milliardär und Mitglied im Aufsichtsrat von Facebook. Gestern meldete die New York Times, Thiel sei Finanzier eines Start-Ups, welches Fotos aus dem Internet mit dem Ziel sammelt, jeden und jede zu identifizieren. Das Ende der Privatsphäre, so die NYT. Bisher habe die Firma drei Milliarden Fotos aus dem Netz gesaugt.

Doch zurück zu Facebook: Peter Thiel soll Zuckerberg überzeugt haben, politische Werbung nicht auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Trump habe vor drei Jahren gewonnen, weil er die beste digitale Werbekampagne geführt habe, so Thiel laut einer Memo von Facebook-Führungskraft Andrew Bosworth. Facebooks Grundsätze können, so Thiel weiter, Trump einen weiteren Wahlsieg ermöglichen.

Facebook sieht sich nicht in der Verantwortung, man biete das Material lediglich an. Manipulierte Werbung und Algorithmen können hysterische, lügnerische und widerliche politische Diskurse fördern, so der Vorwurf. Doch für Facebook werden damit lediglich die Sehnsüchte der Menschen offengelegt. Die Nutzer sollen ihre eigenen Entscheidungen treffen und nicht von Facebook bevormundet werden.

Soweit das Verantwortungsgefühl eines der mächtigsten Unternehmen der Erde.

Facebook könnte und möchte bei den kommenden Wahlen den Königsmacher spielen und Donald Trump zu einer zweiten Legislaturperiode verhelfen. Dies würde dem Konzern aus dem Silicon Valley auch in eigener Sache nützen, denn die Demokratischen Kandidaten haben eine stärkere Regulierung und sogar die Zerschlagung von Facebook auf die Agenda gesetzt.

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Informationen für diesen Artikel kommen aus:
https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/jan/20/trump-election-facebook
https://www.inputmag.com/tech/facebook-executive-andrew-bosworth-could-make-trumps-reelection-harder-but-he-wont
https://www.nytimes.com/issue/todayspaper/2020/01/19/todays-new-york-times

Sie wissen es schon lange. Die Zeitleiste der Klimaleugner.

Raffinerie
Raffinerie in Louisiana 1994 (foto: zoom)

Vergangenen Monat erschien im britischen Guardian eine Zeitleiste der Klimakrise von Jonathan Watts. Sie zeigt im Detail, dass Öl- und Gasindustrie sowie die Politik seit 50 Jahren die Risiken der Nutzung fossiler Brennstoffe kennen und wie und wann sie die Öffentlichkeit hintergangen haben.

1959 Der Physiker Edward Teller informiert das Amerikanische Erdöl Institut (API), dass ein 10%er Anstieg von CO2 in der Atmosphäre die Polkappen abschmelzen werde. „Ich denke, dass diese chemische Verschmutzung viel bedrohlicher ist, als die meisten Leute glauben wollen,“ zitiert der Guardian den Naturwissenschaftler.

1965 Das Wissenschaftliche Beratungskomitee des US-Präsidenten Lyndon B. Johnson schreibt, dass die Luftverschmutzung in großem Maßstab den Anteil von Kohlenstoffdioxid in der Luft verändert habe. Dies könnte schädliche Folgen für die Menschen haben. Der Vorsitzende der API warnt die Industrie: Die Zeit wird knapp.

1970 Shell und BP finanzieren wissenschaftliche Forschung in Großbritannien, um die Klimaauswirkungen von Treibhausgasen zu untersuchen.

1977 In einem kürzlich begonnen gerichtlichen Verfahren wird behauptet, Wissenschaftler von Exxon hätten 1977 das Management informiert, dass es einen überwältigenden Konsens gebe, dass fossile Energieträger verantwortlich für den Anstieg von CO2 in der Atmosphäre seien.

1981 Ein internes Memorandum von Exxon warnt, dass es eindeutig möglich sei, dass CO2 Freisetzungen, die aus dem 50-Jahres Plan der Firma resultieren, später katastrophale Auswirkungen haben werden (zumindest für einen erheblichen Teil der Erdbevölkerung).

1988 NASA-Wissenschaftler James Hansen sagt vor dem Senat aus, dass der Treibhauseffekt festgestellt wurde und dass er bereits feststellbar das Klima verändere. US-Präsidentschaftskandidat George Bush Sr verspricht während seines Wahlkampfes, er als Präsident werde etwas gegen den Treibhauseffekt unternehmen: As a president, I intend to do something about it.

1988 Ein vertraulicher Bericht für Shells Environmental Conversation Committee kommt zu dem Ergebnis, dass CO2 die Temperaturen in den kommenden 40 Jahren um 1°C oder 2°C ansteigen lassen könnte. Die daraus resultierenden Veränderungen wären möglicherweise die größten in der bisher dokumentierten Geschichte und ein schnelles Handeln der Energie-Industrie sei nötig.

1989 In den USA wird die Global Climate Coalition (GCC) als Lobbygruppe der Industrie gegründet, welche wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel in Frage stellt und Maßnahmen zur Reduzierung von Emissionen verhindert. Exxon, Shell und BP treten 1993-94 bei.

1990 Exxon finanziert die beiden Wissenschaftler Dr. Fred Seitz und Dr. Fred Singer, welche den Konsens über den Klimawandel in der Wissenschaft in Frage stellen. Beide haben vorher für die Tabakindustrie gearbeitet und die gesundheitlichen Schäden des Rauchens in Frage gestellt.

1991 Shells Werbefilm „Climate of Concern“ gibt zu, dass Veränderungen schneller als zu jedem anderen Zeitpunkt seit der letzten Eiszeit möglich seien und dass sich diese Veränderungen schneller vollziehen als sich Lebewesen unbeschadet anpassen können.

1992 UN-Weltklimakonferenz in Rio: das erste Abkommen über Emissionen von Treibhausgasen und das Verhindern gefährlichen menschlichen Eingreifens in das Klima wird verabschiedet. US-Präsidente George Bush verspricht, dass die USA vorhaben, hervorragender Weltführer in der Verteidigung der globalen Umwelt zu werden.

1997 Zwei Monate vor der Weltklimakonferenz in Kyoto:
Mobil (später Fusion mit Exxon) schaltet eine Anzeige in der New York Times in der es heißt: Die Klimawissenschaft ist zu ungenau, um Beschlüsse zu fasse, die die Wirtschaft ins Chaos stürzen können.

1998 Nach intensiver Opposition von Ölgesellschaften und der GCC, weigern sich die USA, das Abkommen von Kyoto zu ratifizieren.

2009 US Senator Jim Inhofe, zu dessen größten Geldgebern die Öl- und Gasindustrie gehören, führt eine Desinformationskampagne gegen Wissenschaftler am Eröffnungstag der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen an. Die Konferenz endet ohne gemeinsame Beschlüsse.

2014 Eine Studie von Richard Heede enthüllt, dass 90 Firmen für den Ausstoß von zwei Drittel des CO2 , welches seit dem Beginn der Industriellen Revolution in der Mitte des 18. Jahrhunderts in die Atmosphäre gelangt ist, verantwortlich sind.

2016 Die Amerikanische Ölindustrie (API) entfernt die Behauptung, der menschlicher Einfluss auf den Klimawandel sei ungewiss, von ihrer Website.

2017 Exxon, Chevron und BP spenden jeweils $500.000 für die Amtseinführung des US-Präsidenten Donald Trump.

2019 Mohammed Barkindo, Generalsekretär der OPEC, die Saudi Arabien, Kuweit, Algerien, Iran und zahlreiche andere Ölstaaten repräsentiert, ist der Meinung, dass Klima Aktivisten die größte Bedrohung der Industrie seien und behauptet, sie würden die Öffentlichkeit mit unwissenschaftlichen Warnungen über die Erderwärmung in die Irre führen.

TUIfly – oder: Krankmeldung als letztes Mittel? Wir melden uns dann mal ab.

krankmeldung20161007Kolleginnen und Kollegen seien überfordert, ihre Ausbildungszeit wurde verkürzt, die Anforderungen erhöht und das Studium bereite sie fachlich immer schlechter auf ihre zukünftige Tätigkeit vor, so eine Ausbilderin kürzlich im Gespräch.

Viele Beschäftigte lavieren sich durch den Alltag und erleben zahlreiche Frustrationen sowie häufiges Scheitern. Die Reaktion? Sie melden sich krank.

Krankmeldung als Notbremse in einem überfordernden Umfeld?

Das Gespräch machte mich sehr nachdenklich. Handelt es sich tatsächlich um eine generationenbedingte Exitstrategie? Mein Vater war stolz darauf, dass er in seinem gesamten Berufsleben nicht einen Tag gefehlt hatte. Egal ob Schnupfen, Fieber oder Trauer, seine Erziehung erlaubte ihm kein Fernbleiben.

Die Mitarbeiter von TUIfly melden sich in so großer Zahl krank, dass der Betrieb zusammenbricht. Sie seien in großer Sorge um ihre berufliche Zukunft, die innerbetriebliche Kommunikation funktioniere kaum, berichten die Medien.

Die Qualität von Leitungen oder Management wird bislang zu selten am Krankenstand gemessen – leider. Die Erkrankung trifft den einzelnen, sich krank melden ist eine sehr individuelle Entscheidung, die bei längerfristiger Erkrankung durch „den gelben Schein” objektiviert wird. Was können Firmenleitungen dafür, wenn Kollegen massenhaft einzeln krank werden?

Ist es eine  jüngere, eine andere Generation, die das einzige Mittel wählt, welches sie anscheinend für sich sieht?

Leider werden durch die Krankmeldung die Anliegen der Betroffenen unsichtbar, sie individualisieren ihr Problem, welches gar kein individuelles ist.

Seit Jahren werden Abläufe optimiert und Strukturen verschlankt. Immer weniger Mitarbeiter arbeiten immer mehr. Krankenstände steigen und dadurch nimmt die Belastung für die noch gesunden KollegInnen weiter zu. Verschärft wird dieses Problem durch zahlreiche unfähige Leitungen, die in der Zeit des Optimierungswahns Karriere machen und gemacht haben und ihre Aufgabe darin sehen, diese Entwicklung noch weiter voranzutreiben.

Offenbar stößt die Durchrationalisierung der Arbeitswelt langsam an ihre Grenzen. Die Beschäftigten sind nicht länger bereit oder in der Lage, optimal zu funktionieren. Sie können und wollen nicht mehr. Sie greifen zu ihrem scheinbar einzigen Mittel: sie melden sich ab.

Über Hierarchien, Demokratie und soziale Medien

Großstadtdschungel um 1990 (foto: chris)
Lebendes Grün (foto: chris)

Mein Arbeitgeber ist im Internet. Meine Firma hat eine eigene Website, auf der sie sich vermarktet, ihre Produkte anbietet und für sich wirbt.

Auf dieser Website gibt es natürlich keine Kommentarfunktion, denn eine Diskussion über Qualität und Auswahl der Waren ist auf der betriebseigenen Seite nicht erwünscht.

Meine Firma ist auch auf Facebook und Twitter. Auf Facebook liken Mitarbeiter und Freunde die Posts, diskutiert wird auch hier nicht.

Mein Chef twittert im Namen der Firma. Ich twittere auch, allerdings in meinem eigenen Namen. Mein Chef twittert über Fragen, die mich auch interessieren. Soll ich nun auf Twitter mit ihm diskutieren, vielleicht sogar kontrovers? Wo sollte das Problem liegen?

Nun, nehmen wir mal an, ein Herzensanliegen meines Chefs sei die optische Gestaltung unseres Arbeitsplatzes. Er liebt helle freundliche Räume und twittert darüber, beispielsweise so:

Heute wieder drei Räume in saftigem Gelb an die Belegschaft übergeben!

Auch ich mag helle Räume, aber ich mag z.B. auch grüne Pflanzen in freundlichen Arbeitsräumen. Soll ich nun twittern:

Prima, aber wo bleibt das Grün?

Sie sagen, darüber könnte man noch in einen freundlichen Austausch treten. Mag sein. Aber nun habe ich zufällig erfahren, dass mein Chef das Putzpersonal angewiesen hat, die Pflanzen im Gebäude nicht mehr zu gießen. (Ich weiß, dass Reinigungskräfte keine Pflanzen gießen, aber es handelt sich hier lediglich um ein Gedankenspiel.)

Das Pflegen und Gießen der Pflanzen verschwende wertvolle Arbeitszeit sowie teures Trinkwasser. Mein Chef mag keine Zeit- und keine Wasserverschwendung. Also gehen die Pflanzen ein.

Soll ich nun auf seinen Tweet antworten:

Gelb fördern während Grün stirbt?

oder

#ChefAB lässt Pflanzen auf dem Trockenen sitzen. #FirmaXY

Darüber würde sich mein Chef sicher nicht mehr freuen. Vielleicht fiele ihm in diesem Moment ein, dass er Chef und ich Untergebene bin und vielleicht würde er mir eine Abmahnung schicken: öffentliche Kritik am Arbeitgeber, Ausplaudern von Interna, Verletzung von Betriebsgeheimnissen usw.

Da verkneife ich mir wohl besser kritische Tweets, nehme die Gießkanne und spende den Pflanzen ein wenig Wasser.

Paul Krugman bezeichnet Finanzminister der Eurogruppe als Dummköpfe, deren Mangel an Weisheit erstaunlich und entsetzlich ist

Kreta
Irgendwo in Griechenland 1986 (foto: ho)

Paul Krugman macht die Finanzminister der Eurogruppe für das Scheitern der Gespräche mit Griechenland verantwortlich:

“ There was absolutely no way Tsipras and company could sign on to such a statement, which makes you wonder what the Eurogroup ministers think they’re doing.“

Krugman vermutet, die Minister der Eurogruppe seien “just fools” – Dummköpfe, die nicht verstehen, dass sie mit ihrem “Bullying” nicht ans Ziel kommen werden.

Oder, und das hält Krugman für wahrscheinlicher, sie wollen Griechenland in die Pleite treiben und anschließend vermutlich aus dem Euro. Dies soll allen anderen Staaten eine Lehre sein, die auf die Idee kommen könnten, um einen Schuldenerlass zu bitten. Die Finanzminister streben einen “Karthagischen Frieden” an, einen „Frieden“, der die Ökonomie Griechenlands dauerhaft zerstören wird.

Either way, the lack of wisdom is astonishing and appalling.

(So oder so, der Mangel an Weisheit ist erstaunlich und entsetzlich.)

http://krugman.blogs.nytimes.com/2015/02/16/athenae-delenda-est/

Schulden steigen trotz (oder wegen?) der Sparpolitik. – „Keiner versteht Schulden“, wirft Paul Krugman den Politikern vor

bundeskanzleramt
Bundeskanzleramt (archiv: chris)

Die New York Times International Weekly, eine Beilage der SZ, veröffentlichte heute einen Kommentar des Ökonomen Paul Krugman. Unter dem Titel „Keiner versteht Schulden“ (Nobody Understands Debt) erklärt Krugmann, warum er die Sparpolitik u.a. der deutschen Regierung für falsch hält. Aus dem Englischen übertragen von C.K.

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Die momentane Sparpolitik sei das Problem, denn:
„Meine Ausgaben sind Dein Einkommen, wenn also jeder zur selben Zeit seine Ausgaben kürzt, gehen die Einkommen auf der ganzen Welt zurück.“

Krugman zitiert hier die Vorsitzende der US-Notenbank Janet Yellen, die die zeitgleichen Bemühung vieler Schuldnerstaaten um die Reduzierung ihrer Verbindlichkeiten für die globalen wirtschaftlichen Probleme verantwortlich macht. 2009 sagte Frau Yellen: „Vorsichtsmaßnahmen, die für Individuen und Firmen klug sind und eine Voraussetzung für eine Rückkehr der Ökonomie zur Normalität wären, vergrößern die Not der Wirtschaft insgesamt.“

Krugman stellt fest, dass es bisher überhaupt nicht gelungen ist, die Wirtschaft zur Normalität zurückzuführen. Das Handeln von Politikern basiere auf einem falschen Verständnis von Schulden. Ihre Versuche, das Problem zu reduzieren, hätten das Gegenteil bewirkt.

Keine Nation hat das Verhältnis von Gesamtschulden zu Bruttoinlandsprodukt reduziert

Zunächst benennt Krugmann die Fakten: In einem Report stellte das McKinsey Global Institute fest, dass keine Nation das Verhältnis von Gesamtschulden zu Bruttoinlandsprodukt reduziert hat. In einigen Ländern sind die Schulden der privaten Haushalte gesunken, aber in anderen Ländern sind auch diese gestiegen. Und selbst dort, wo private Schulden abgebaut wurden, sind die Staatsschulden stärker angestiegen als die privaten Schulden gesunken sind.

Krugman empfiehlt, daraus auf keinen Fall zu schlussfolgern, dass mehr gespart werden müsse. Wir sehen momentan eine nie dagewesene Sparpolitik. Staatliche Ausgaben – abgesehen von Zinszahlungen – sind in reichen Nationen gefallen und es gab tiefe Einschnitte bei den Schuldnern in Südeuropa. Aber auch in Ländern wie Deutschland und den USA, die momentan zu historisch einzigartig niedrigen Zinsen Geld leihen könnten, wird gespart.

Die Austeritätspolitik mache alles nur noch schlimmer, denn die Forderung, alle sollten den Gürtel enger schnallen, basiere auf einem falschen Verständnis von der Rolle von Schulden in der Wirtschaft, so Krugman.

Immer wenn jemand fordere, man solle aufhören, zukünftige Generationen zu bestehlen, könne man diese falsche Verständnis erkenne:

Eine verschuldete Familie schuldet anderen Leuten Geld. Die Weltwirtschaft als Ganzes schuldet sich selbst Geld. Amerika würde momentan dem Ausland weniger Geld schulden als noch 2008, Europa sei Nettogläubiger gegenüber der übrigen Welt.

Daher sind unsere Schulden Geld, das wir uns selbst schulden. Es macht die Wirtschaft nicht direkt ärmer (und Schulden abzahlen macht uns im Umkehrschluss nicht direkt reicher). Schulden können tatsächlich die finanzielle Stabilität gefährden, aber die Situation verbessere sich nicht, wenn Einsparungen die Wirtschaft in eine Deflation oder Depression stürzten.

In der aktuellen Situation wirft Krugmann den Europäischen Staatschefs vor, sie klammerten sich an den Glauben, die ökonomische Krise sei durch zu viel Geldausgabe entstanden, durch Staaten, die über ihre Verhältnisse gelebt hätten. Angela Merkel habe darauf bestanden, dass der Weg nach vorn in einer Rückkehr zur Sparsamkeit bestehen müsse. Europa solle der sparsamen schwäbischen Hausfrau nacheifern.

Merkels Sparkurs sei das Rezept für eine Katastrophe in Zeitlupe.

Merkels Sparkurs sei das Rezept für eine Katastrophe in Zeitlupe. Eine gewisse Sparsamkeit der europäischen Schuldner war nötig, allerdings erwiesen sich die Sparmaßnahmen, die ihnen aufgezwungen wurden als „unglaublich grausam“, so Krugman. Gleichzeitig gingen u.a. Deutschland dazu über, weniger Geld auszugeben. Das Gegenteil wäre nötig gewesen.

In diesem Klima war es unmöglich, die Verschuldungsquote zu reduzieren:
Das reale Wachstum verlangsamte sich, die Inflationsrate fiel, bis es in den am schlimmsten betroffenen Nationen zu einer faktische Deflation kam.

Die Wähler hatte diese Katastrophenpolitik lange genug ertragen, glaubten sie zunächst an die Versprechen der Eliten, dass es bald eine Belohnung für die Entbehrungen geben würde. Aber als der Schmerz anhielt, so der amerikanische Ökonom, und sich kein Fortschritt zeigte, war die Radikalisierung unvermeidlich. Jeder, der jetzt über das griechische Wahlergebnis erstaunt ist oder wer sich über Anti-Establishment Kräfte in Spanien wundert, hat vorher nicht aufgepasst.

Keiner wisse, was als nächstes passieren werde, obwohl die Wahrscheinlichkeit wächst, dass Griechenland die Eurozone verlassen wird. Vielleicht wird der Schaden dort enden, aber Krugman glaubt, dass dieser Schritt das ganze Europrojekt bedrohen könnte. Wenn der Euro scheitert, sollte man auf seinen Grabstein schreiben:

„Starb an einer schlechten Analogie.“

Elbphilharmonie Hamburg – Traue keinem Führer

Kran
Echt nur mit Kran. Fassade der Elbphilharmonie. (foto: chris)

Bisher dachte ich, Reiseführer bilden Stadtansichten ab, die es tatsächlich gibt oder gab. Im Fall der Hamburger Elbphilharmonie ist dies jedoch nicht der Fall.

Die Elbphilharmonie in Hamburg, das ambitioniertes Konzerthaus in exponierter Lage im ehemaligen Freihafen, ist bekanntlich noch nicht fertig. Inzwischen sieht sie fast vollendet aus, die Eröffnung wurde jedoch kürzlich für 2017 angekündigt.

Neben dem künftigen Wahrzeichen der Stadt stehen mehrere Baukräne. Bis zu 127m ragten sie in den Himmel, 2014 wurden zwei von ihnen abgebaut, aber auch heute noch stehen dort drei Kräne. Ohne Kran existiert die Elbphilharmonie bisher allenfalls im Entwurf des Architekturbüros Herzog & de Meuron.

DK
Elbphilharmonie, Modell unter dem Foto des Chilehauses im DK-Reiseführer (S.35)

Im Reiseführer von Dorling Kindersley (DK) finden sich fünf Abbildungen des Architekturbüros Herzog & de Meuron. Lediglich bei einem Bild wird darauf hingewiesen, dass es sich nicht um ein Foto handelt: „Elbphilharmonie – digitales Model des Flaggschiffs der HafenCity“. Die übrigen Bilder werden nicht als „Modelle“ gekennzeichnet. Da die Entwürfe stets neben Fotografien angeordnet sind, kann der Leser leicht denken, es handle sich ebenfalls um Fotos.

ADAC
Entwurf der Elbphilharmonie, abgebildet im ADAC-Reiseführer. Direkt links daneben ein Foto der Hafen-City.

Der ADAC Reiseführer Hamburg jubelt uns das „digitale Modell“ mit der Bildunterschrift „Kühne Formen – die spektakuläre Elbphilharmonie setzt ein Ausrufezeichen“ unter. Auch diese Abbildung stammt aus dem Haus Herzog & de Meuron, es fehlt jeder Hinweis darauf, dass es sich nicht um ein Foto handelt.

Elbphilharmonie
Elbphilharmonie und Hafen-City (foto: chris)

Nur mit Kränen ist die Elbphilharmonie echt. Für mich gehören sie zum Prestigebau und das wird sich erst ändern, wenn die Kräne eines Tages abgebaut werden. Reiseführer, die mir einen computergenerierten Entwurf als Realität verkaufen, sind mit Vorsicht zu genießen. Wer weiß, wo sie noch schummeln…

Almosen statt Sozialleistungen: „Die Tafel“ als Symptom unserer Zeit.

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Weihnachtszeit ist Spendenzeit. Lebensmittel für „Die Tafel“. (foto: chris)

Weihnachtszeit ist Spendenzeit. Früher spendeten wir für Bedürftige in armen Ländern, Opfer von Naturkatastrophen und benachteiligte Kinder in Deutschland. Heute sollen wir zusätzlich die löchrige Sozialpolitik mit Spenden ausgleichen.

„Die Tafel“ bittet vielerorts um vorweihnachtliche Gaben, sei es im Eingangsbereich der Supermärkte, sei es in Schulen oder Kirchen. Dennoch reichen die gespendeten Lebensmittel immer seltener, um alle Bedürftigen, die sich an „Die Tafel“ wenden, zu versorgen.

Wer sucht “Die Tafel” auf? – Es werden immer mehr Menschen: Obdachlose, Alleinerziehende mit ihren Kindern, Studenten und in letzter Zeit auch immer mehr Flüchtlinge. Ihnen fehlt Geld für Lebensmittel und so sind sie auf Almosen angewiesen.

Der Anspruch auf staatliche Leistungen stellte eine Errungenschaft des Sozialstaates im 19. Jahrhundert dar. Bismarck hatte Angst vor der erstarkenden Sozialdemokratie bekommen und führte die Sozialgesetze ein.

Heute muss niemand mehr Angst vor der SPD haben und die Sozialgesetze werden bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.

Staatliche Leistungen wurden in den vergangenen Jahrzehnten ganz gestrichen oder gekürzt, die Dauer ihrer Zahlung reduziert. Der Weg Arbeit – Arbeitslosigkeit – Armut ist atemberaubend kurz geworden.

Immer mehr Menschen in Deutschland sind auf Almosen der Tafel angewiesen. Politiker entziehen sich ihrer Verantwortung und loben stattdessen das ehrenamtliche Engagement und die Spendenbereitschaft.

„Die Tafel“ stopft sicherlich kurzfristig einige Löcher. Aber schon seit längerem wird deutlich, dass Almosen die staatlichen Leistungen nicht ansatzweise ersetzen können.

„Die Tafel“ verschafft der staatlichen Un-Sozialpolitik Spielraum,  Gelder können in andere Bereiche umgeleitet werden.

Die Reichen werden reicher und den Armen bleiben die Almosen von „Die Tafel“ – wenn diese nicht gerade zur Neige gegangen sind.

Hemingway, Hesse und Huckleberry Finn zu unanständig? In Dallas schon.

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Buchumschläge von „Huckleberry Finn“ und „Song of Solomon“.

Bevor Lehrer im Highland Park School District in Dallas Die Abenteuer des Huckleberry Finn von Mark Twain, The Scarlet Letter von Nathaniel Hawthorne oder In einem andern Land von Ernest Hemingway mit ihren Schülern lesen, holen sie die Erlaubnis der Eltern ein.

Erst wenn diese vorliegt, dürfen die Klassiker der amerikanischen Literatur im Unterricht behandelt werden, berichtete gestern die Dallas Morning News.

Die Vorgeschichte:

Eltern und Großeltern [sic!] hatten sich über Schullektüren empört. Diese enthielten “mature content”, erwachsenen Inhalt, an dem Schüler Anstoß nehmen könnten. Die Eltern und Großeltern von Highland Park kritisierten “Sex scenes, explicit language and references to rape, abortion and abuse”. Zu Deutsch: Sex, allzu deutliche Sprache, Andeutungen von Vergewaltigungen, Abtreibung und Missbrauch.

Empörte Eltern und Großeltern hatten eine Sitzung des Schoolboard, der Schulverwaltung, besucht und dort laut Sexszenen vorgelesen. Sie lasen Textstellen mit homosexuellem Inhalt, Beschreibungen von Kindesmissbrauch und Kapitalismuskritik. Nachdem zusätzlich hunderte Mails an die Schulaufsicht geschickt worden waren, handelte der Superintendent (eine Art Schulminister für einen Schulbezirk).

Superintendent Dawson Orr setzte sieben Titel auf den Index, darunter auch Siddhartha von Hermann Hesse. Hier die vollständige Liste:

  • „The Glass Castle: A Memoir“ von Jeannette Walls
  • „The Art of Racing in the Rain“ von Garth Stein
  • „The Working Poor: Invisible in America“ von David K. Shipler
  • „Siddhartha“ von Hermann Hesse
  • „The Absolutely True Diary of a Part-Time Indian“ von Sherman Alexie
  • „An Abundance of Katherines“ von John Green
  • „Song of Solomon“ von Toni Morrison

Nach einem Proteststurm von Schülern und Eltern, in den sich auch die Pulitzer Preis Siegerin Toni Morrison einmischte, zog Orr seine Entscheidung zurück.

Die Liste werde überprüft und die Lehrer sichern sich nun offenbar ab, indem sie die Erlaubnis der Eltern einholen. Und so taucht wieder ein alter Bekannter auf: Mark Twain mit seinem Südstaatenroman Huckleberry Finn. Seit Erscheinen des Buches 1884 ist die großartige Abenteuergeschichte  immer wieder indiziert worden – und auch im Jahr 2014 darf sie in den USA nur mit Einschränkungen gelesen werden.

Geschenktipp zu Weihnachten: Deluxe-Socken von Falke

Falke
Falke kann mehr als unterschiedliche linke und rechte Sportsocken herstellen – Schaufensterdekoration bei Karstadt in Hamburg, Weihnachten 2013 (foto: chris)

Suchen Sie noch oder schon ein Geschenk für Ihren Mann, der sich immer alles selbst kauft, am liebsten direkt vorm Geburtstag oder am Tag vor Weihnachten?

Oder haben Sie noch keine Idee, was Sie Ihrem Vater, Schwiegervater oder vielleicht dem erwachsenen Sohn schenken können? Außerdem möchte sie ein Produkt aus der Region erwerben? Hier unser Tipp:

Die neuen Deluxe-Socken von Falke, der Sauerländer Strumpffirma aus Schmallenberg.

Die Herrensocken wirken zunächst sehr schlicht, allerdings sind sie werksseitig in einer Holzkiste verpackt, werden ausschließlich bei Selfridges in London verkauft und in limitierter Auflage angeboten. Es gibt lediglich zehn Paare. Limitierte Socken, das ist doch was. Verkaufspreis, das soll hier nicht verschwiegen werden: £495

Die Socken wurden der Londoner Presse vorgestellt. Der Luxussockenliebhaber des Guardian Dean Kissick war zu dieser PR-Veranstaltung Falkes im Warenhaus Selfridges eingeladen und berichtet in der heutigen Onlineausgabe der britischen Zeitung, wie er Falkes neue Luxussocken kennenlernen durfte.

Dean Kissick treibt die Frage um, ob die Ware den Preis von £495 rechtfertige. Zunächst riecht er an den Socken „und sie riechen erstaunlich, hölzern wie Zedernwald, wie eine Bergwiese in den Anden, wo sie vielleicht herkamen. Ich glaube, ich kann einen Anflug von Kamel oder Lama entdecken und wahrscheinlich habe ich mir das nur eingebildet. An superteuren Luxussocken zu riechen ist anmaßend und eigenartig, aber in dem ruhigen Ambiente einer PR-Veranstaltung mehr oder weniger akzeptabel.“

Die Socken fühlen sich weich an, sehr weich. Aber, so denkt sich Kissick, eigentlich könnten sie noch ein wenig weicher sein und noch etwas goldener aussehen – bei dem Preis.

Am besten gefällt Kissick, dass diese Socken Vicuña sind, das Nationaltier Perus, welches in den hochgelegenen Pässen der Anden lebe. Das Vicuña sei das Lama des Denkenden, es sei niemals domestiziert worden, immer würde es fliehen. Vicuñas durchstreifen die Berge und können nur alle paar Jahre geschoren werden. Ihre Schur sei somit sehr nachhaltig.

Gelegentlich sollen sie in einem archaischen Hochzeitsritual verehrt werden, bei dem zwei Tiere das Blut des jeweils anderen Tieres trinken müsse. Anschließend werden die Tiere, so Kissick, wieder in die Wildnis entlassen.

Bei dem Tier soll es sich um die Wiedergeburt eines jungen, wunderschönen Mädchens handeln, welches von einem alten, hässlichen König verführt wurde und dafür ein Goldenes Flies erhalten habe. Früher durften nur die Königliche Familie Vicuña tragen, aber nun sei die Wolle eben bei Selfridges erhältlich.

Der pragmatische Brite Dean Kissick hält diese Deutsch-Peruanische Frivolität für zu teuer. Aber der hohe Preis sei vermutlich der Punkt.

Sein Rat an die Leser: Sollte es jemand in Ihrem Leben verdienen, wie ein Inkakönig behandelt zu werden, dann sei ein Paar Socken sehr viel akzeptabler als beispielsweise ein Menschenopfer, denn:

“They are nice socks, and vicuña are very cool animals”.