An den Krankenbetten des Kapitalismus – Ansätze sozialdemokratischer Medizinreform in Hamburg 1919 – 1933

(1) Der Hamburger Arzt und Gesundheitspolitiker Andreas Valentin Knack in den 1920er Jahren
(1) Der Hamburger Arzt und Gesundheitspolitiker Andreas Valentin Knack in den 1920er Jahren

„Es ist außerordentlich bedauerlich, dass gerade die Ärzte, die doch Tag für Tag das unselige Elend unserer minderbemittelten Bevölkerung sehen, in ihrer überwiegenden Mehrheit heute noch den reaktionären Parteien angehören. Das ist für mich stets ein Problem gewesen, das ich kaum habe verstehen können.“

Andreas Valentin Knack[1]

(Der Beitrag ist zuerst auf der Website „Harbuch – Harburger Geschichte und Geschichten“ erschienen. Die Vorbemerkung hat Christian Gotthardt im März 2015 verfasst. Der Artikel selbst wurde 1990 von Sabine Reh und Christian Gotthardt geschrieben.)

Vorbemerkung

Der nachstehende Text entstand vor 25 Jahren, im Sommer 1990. Es bestand eine Absprache mit der Redaktion der Zeitschrift „1999“ (sie erschien als Organ der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte 1986 – 2003) zu seiner Veröffentlichung. Im letzten Moment wollte die Redaktion allerdings Streichungen durchsetzen, die unsere Perspektiven und Bewertungen drastisch verzerrt hätten. Sie zielten, um es kurz zu sagen, auf einen Generalverriss der sozialdemokratischen Medizinpolitik bei gleichzeitigem Verschweigen ihrer positiven Akzente. Darauf gingen wir nicht ein, der Text blieb in der Schublade.

1996 wurde er wieder herausgezogen. Mein Vater hatte in der Endphase seines Krebsleidens, in der Hospizabteilung des damals noch städtischen Allgemeinen Krankenhauses Barmbek, eine ruhige, verständige und tröstende Pflege erfahren. Als Dankesgeste schickte ich den Text an den ärztlichen Direktor des Hauses, der wie mein Vater sozialdemokratischer Gesundheitspolitiker in Hamburg war und ihn auch seit Jahren gut kannte. Er reagierte prompt und interessiert, wollte einen Vortrag veranstalten und eine Möglichkeit der Veröffentlichung anbahnen. Doch dann geriet das Vorhaben in den Strudel der sozialdemokratischen Krankenhauspolitik. Nun war es die SPD selbst , die den Text nicht recht verdauen wollte – eine positive Wertung der kommunalen Gesundheitsvorsorge passte schlecht zur brachialen Privatisierung der Krankenhäuser, die just in jenen Monaten begann: mit der Umwandlung des Hamburger Landesbetriebs Krankenhäuser in eine Anstalt öffentlichen Rechts und mit der Auflegung eines Kaputtsparprogramms und der Streichung von 2000 Stellen.

Ist der Text veraltet? Ich glaube nicht. Sicher, die in seiner Einleitung noch angekündigte Trendwende zur Medizinreform hat sich nicht weiter entfaltet. Im Gegenteil, mit der Privatisierung erst der DDR-Medizin und dann vieler westdeutscher kommunaler Krankenhäuser sind die Grundlagen einer sozialpolitisch inspirierten medizinischen Versorgung geradezu untergepflügt worden. Aber manche der „alten“ Themen sind längst wieder in neuer Gestalt aufgetaucht, z.B. als medizinethische Konflikte, als kriminelle Machenschaften wie Organhandel, als Sozialdumping-Vorwurf der Beschäftigten, als Rekommunalisierungsforderung etc. Leider fehlt in den entsprechenden Debatten der eigentliche sozialmedizinische Zugang, wie Knack ihn fruchtbar zu machen verstand. Insofern hat der Text noch durchaus seinen Wert. Wertvoll ist schließlich auch sein dokumentarischer Ertrag. Über die „Hamburger Medizinreform“ ist bislang nur wenig Literatur erschienen. Ich gebe am Ende im Nachtrag aktuelle Hinweise hierzu. CG.

Eigentlich, so möchte man in der Tat meinen, steht gerade der Arztberuf in enger Nachbarschaft zur humanistischen Grundlage linker Weltanschauung. Aber in der Regel ging die Bewusstseinsentwicklung bei den Ärzten, zumal bei ihren deutschen Vertretern, andere Wege. Heutzutage haben wir uns daran gewöhnt, die Ärzteschaft vornehmlich als konservative, ständische und egoistisch über ihre Besitzstände wachende Berufsgruppe einzustufen.

Seit ein paar Jahren allerdings sind Tendenzen spürbar geworden, die diesem Bild die Schärfe nehmen: Man denke etwa an die wachsende Bedeutung der gewerkschaftlichen Organisierung bei Krankenhausärzten,[2] ferner an die Bildung oppositioneller Vertretungsstrukturen in den Zwangskorporationen der Ärztekammern.[3] Offenbar drängt eine neue Ärztegeneration nach, die sich nicht fraglos in den überkommenen Ritualen der berufsständischen, vor allem an Einkommensmaximierung orientierten Interessenvertretung wiederfindet.

Ein wesentlicher Aspekt bei diesen oppositionellen Phänomenen ist, dass sie zumeist unmittelbar mit einer umfassenden Kritik am gesamten Gebäude der Schulmedizin verbunden sind: an der Haltung und dem Selbstbild der Ärzte, an ihren Methoden. Das Chefarztsystem, die Chemisierung, der Apparatewahn in den fachärztlichen Praxen wird nicht mehr widerspruchslos als der Weisheit letzter Schluss hingenommen. Von dieser Haltung zeugt v.a. die „Gesundheitsladenbewegung“. Es ergeben sich hier gewisse Parallelen zur verbreiteten Unsicherheit unter Patienten, die ebenfalls schon seit längerem nicht nur zu einem Boom eher randständiger Diagnose- und Heilverfahren, etwa der Homöopathie, der Akkupunktur, psychotherapeutischer Ansätze usw., geführt hat, sondern auch zur Gründung von Patienten-Selbsthilfegruppen. Ein geschlossenes, programmatisch fixiertes Konzept alternativer Medizin, eine kraftvolle Bewegung der Medizinreform hat sich aus diesen Ansätzen allerdings noch nicht entwickelt. Insbesondere hinsichtlich der Frage, wie das Verhältnis von freien Ärzten und staatlicher medizinischer Primärversorgung zu gestalten sei, besteht noch große Unsicherheit.[4] Gerade diese Frage aber bedarf wegen der durch den DDR-Anschluss aufgeworfenen Probleme dringend der Klärung.[5]

Vielleicht kann in dieser Situation eine historische Identitätssuche weiterhelfen. So verdient der Umstand nähere Betrachtung, dass nach dem Ende des Ersten Weltkriegs nicht nur eine ganz ähnliche Lage in der Medizin entstanden war, sondern dass darüber hinaus damals die Alternativkonzeptionen – aufgrund der besonderen Stärke der Arbeiterbewegung und der mit ihr verbundenen Lebensreformbewegung – zu einem erstaunlichen Reifegrad gedeihen konnten. Die medizinhistorische Forschung hat sich diesem „Schatz“ erst in allerjüngster Vergangenheit zugewandt, angespornt gerade von der um Alternativen ringenden jüngeren Ärztegeneration. Bekannt ist schon einiges über die Organisationen und Programme linkssozialistischer Ärzte in Berlin zur Zeit der Weimarer Republik. In der vorliegenden Studie soll nun eine andere, reformistische Variante linker Medizinreform der Weimarer Zeit beleuchtet werden, und zwar am Beispiel der Gesundheitspolitik in der sozialdemokratischen Hochburg Hamburg. Im Zentrum der Darstellung steht dabei das Lebenswerk des Hamburger Arztes und Gesundheitspolitikers Andreas Valentin Knack.

Knacks Biographie: Sozialer Aufstieg und Politisierung

In dem Maße, in dem sich das deutsche Bürgertum nach 1871 von der liberalen Emanzipationsidee verabschiedete und in den monarchischen Obrigkeitsstaat eingliederte, gewannen die bürgerlichen Professionen ein unpolitisches Selbstbild. Die Ärzteschaft, 1848/49 und 1859/66 noch erheblich an demokratischen bzw. liberalen Bewegungen beteiligt, machte hierbei keine Ausnahme. In der Folgezeit erlebte sie herausgehobene Politisierungswellen nur noch aufgrund besonderer Bedingungskonstellationen: zur Jahrhundertwende infolge sprunghaften Anstiegs der Ärztezahl und massenhaften „Einbruchs“ ehedem unterprivilegierter Schichten in diesen bürgerlichen Prestigeberuf, in der Weimarer Republik infolge nachhaltiger Beeindruckung durch Macht und Standpunkte der Arbeiterbewegung. In dem Lebenslauf des Arztes Andreas Valentin Knack spielten beide Phänomene eine gewichtige Rolle. Er war damit zum „politischen Arzt“ prädestiniert.

Knack wurde am 12.9.1886 in Aachen als Sohn eines Lokführers geboren.[6] Er besuchte dort das Gymnasium und legte 1905 die Reifeprüfung ab. Bis 1907 studierte er Medizin in Berlin, bis 1911 in München. Hier machte er 1911 die Staatsprüfung und das Doktordiplom. Nach einem Jahr als Praktikant an der Universitätskinderklinik Heidelberg und an der Inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses Mannheim wurde er Ende 1912 in München approbiert (Note: sehr gut) und Anfang 1913 mit der Arbeit „Geburt und Gebärmutterkrebs“ zum Dr. med. et chir. promoviert (Note: magna cum laude).

Anschließend trat Knack eine Assistenzarztstelle am Pathologischen Institut des Städtischen Krankenhauses Mannheim an. Mit dessen Leiter, Prof. Fahr, wechselte er noch im selben Jahr an die Pathologisch-anatomische Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses Barmbek in Hamburg, wiederum als Assistenzarzt. Kurz darauf ging er an die I. medizinische Abteilung in Barmbek, als Assistenzarzt von Prof. Rumpel, der zugleich ärztlicher Direktor des AK Barmbek war.

Schon 1913 als wehruntauglich ausgemustert, blieb Knack von der Einziehung und der Beteiligung an den Kampfhandlungen im Ersten Weltkrieg verschont. Wie die meisten Krankenhausärzte jener Jahre konnte er sich allerdings, zumal als Pathologe, den Zwängen und Verlockungen der „wehrmedizinischen“ Forschung nicht entziehen. Einige seiner frühen, rein medizinischen Veröffentlichungen fallen in dieses Genre.

1917 erfolgte die Beförderung Knacks vom Assistenz- zum Sekundärarzt. Nach dem Krieg, im Mai 1919, wechselte er auf die Stelle des Chefs (Prosektor) der Pathologischen Abteilung des Hafenkrankenhauses Hamburg, damals unter der Leitung von Prof. Nocht. Bedingt durch die Arbeitsschwerpunkte und Zuständigkeitsbereiche seiner neuen Wirkungsstätte, v.a. aber durch die sozialen, speziell medizinischen und hygienischen Notstände der unmittelbaren Nachkriegszeit, wandte Knack sich nun Fragen der öffentlichen Gesundheitspflege, insbesondere dem Kampf gegen TBC und Geschlechtskrankheiten zu.

Bereits im März 1919 für die SPD in die Hamburger Bürgerschaft gewählt, avancierte er bald zum Gesundheitsexperten seiner Fraktion. Hier eröffneten sich ihm große Wirkungsmöglichkeiten, da die SPD seit der Revolution in Hamburg zur Regierungspartei geworden war. Obgleich er sich auch in der gesamten Sozialpolitik und ferner in der Bildungspolitik engagierte,[7] blieb das Gesundheitswesen sein politischer Schwerpunkt von 1919, als er Vorsitzender des Bürgerschaftsausschusses zur „Schaffung einer Behörde für das Gesundheitswesen“ wurde,[8] bis 1933. Daneben übernahm er Funktionen in der staatlichen Gesundheitsverwaltung, etwa ab November 1919 als Schularzt, ab März 1920 als „bürgerliches Mitglied“ der neuen Gesundheitsbehörde, ab Anfang 1923 als Physikus (Gerichtsarzt). Die Hamburger Physikatsprüfung, Voraussetzung für letztere Stelle und nicht gerade mühelos zu nehmen, hatte er 1921 abgelegt, wiederum mit der Note sehr gut.

Auch als Lehrkraft trat Knack in Erscheinung.: 1916/19 im Rahmen des „Allgemeinen Vorlesungswesens“, das der Hamburger Universität den Weg bereitete, 1917/18 als Vortragender über militärärztliche Sachverständigentätigkeit, 1923/24 als Leiter eines Kursus „Soziale Medizin“ für die Distriktsärzte des Gesundheitsamtes.[9]

Wann Knack sich an der SPD zu orientieren begann, wann er der Partei beitrat, ist nicht überliefert. Dass er während seiner Berliner Studienzeit durch den Zirkel sozialdemokratischer Ärzte um Ignaz Zadek, der den Hintergrund für die Gründung des „Sozialdemokratischen Ärztevereins“ im Jahre 1913 abgab, beeindruckt wurde, ist möglich, aber nicht nachweisbar.[10] Sein zunächst recht „politikferner“ Lebenslauf und der Zeitpunkt seines ersten politischen Auftretens lassen allerdings die Vermutung zu, dass es vornehmlich die große Politisierungswelle von 1918/19 und die sich im Anschluss eröffnenden Chancen unmittelbarer politischer Gestaltung waren, die Knack ins Lager der Politik führten. Er gehörte nicht zu den partei- und kampferfahrenen Altsozialisten in Fraktion und Regierung, sondern verkörperte einen anderen, durchaus neuen Politikertyp: den Fachmann, der sich in sozialer Verantwortung und preußischer Pflichtauffassung in den Dienst der guten Sache stellen lässt – den gouvernementalen Sozialdemokraten.

In Knacks Auftreten in der Bürgerschaft trat häufig, als seine persönliche Note, die kämpferische, asketische, unerbittlich kritische Attitüde des Aufsteigers und Außenseiters hervor. Grundlage dieser Haltung waren die Erfahrungen als „Kleine-Leute-Kind“ in einem ständisch und hierarchisch verfassten, weitgehend reaktionären und dünkelhaften Berufsmilieu. Eine grundlegende Demokratisierung des Gesundheitswesens, speziell des Arztberufs, war für ihn nicht lediglich politisches Programm, sondern persönliche Herzenssache. Wiederholt verwies er auf einerseits reaktionäre Umtriebe unter den bürgerlichen Studenten der neuen Hamburger medizinischen Fakultät, andererseits auf die unseligen gesellschaftlichen Verhältnisse, die es „gutartigen und ehrlichen Elementen“ nicht erlauben würden, den Arztberuf zu ergreifen. Aus diesem Grunde galt der Gestaltung der Ärzteausbildung und dem Stipendienwesen sein besonderes Engagement.[11]

Als im August 1923 durch den Tod von Prof. Rumpel die Stelle des ärztlichen Direktors am AK Barmbek frei wurde, wollte die damals linke Majorität in der Gesundheitsbehörde (eine Interessenkoalition aus den Vertretern der SPD, KPD und Demokraten) um jeden Preis die Chance nutzen, endlich einen fortschrittlichen Kandidaten in den oberen Rängen der ansonsten konservativ-völkischen Ärztehierarchie zu plazieren. Knack war für einen solchen Versuch nicht nur in politischer Hinsicht der geeignete Mann, er war zudem hinlänglich öffentlich bekannt und bot auch ausreichende medizinisch-wissenschaftliche Kompetenz. Wiewohl Widerstand sich regte und speziell die Brüskierung des Mitkandidaten Reye (Spross einer eingesessenen Hamburger Ärztefamilie und Chef-Dermatologe in Eppendorf) beträchtliche Wellen schlug, gelang die Inthronisation: Knack konnte sich bis 1933 auf dem Posten des ärztlichen Direktors halten.[12]

(2) AK Barmbek - nach Eppendorf das zweitgrößte Krankenhaus  Hamburgs (Teilansicht: einer der typischen "Pavillons")
(2) AK Barmbek – nach Eppendorf das zweitgrößte Krankenhaus
Hamburgs (Teilansicht: einer der typischen „Pavillons“)

In seiner Barmbeker Zeit machte Knack sich in der Bürgerschaft rar. Die praktische Krankenhausreform nahm ihn ganz ein, wobei er aber nie vergaß, seine Barmbeker Ideen und Lösungen in die Öffentlichkeit zu tragen und ihnen den Anstrich des Exemplarischen zu geben. Darüber hinaus eroberte er sich die Bühne der nationalen Ärztepolitik: Schon 1920/22 Mitglied der Programmkommission „Gesundheitspolitik“ der SPD (neben den „Parteigrößen“ Max Quarck, Ignaz Zadek und Alfred Grotjahn),[13] wurde er Vorstandsmitglied des „Vereins sozialistischer Ärzte (VSÄ)“[14] und – von der SPD beauftragt – Kommentator des „Reichsgesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ von 1927, eines Gesetzes, um dessen Realisierung er seit 1920 energisch gerungen hatte.[15]

Seine Arbeit wurde im März 1933 durch die Repression der Nazis auf allen Ebenen jäh abgebrochen. In Hamburg verband sich dabei der Aspekt politischer Säuberung mit persönlicher Revanche. Als Knack am 13. März 1933 mit sofortiger Wirkung vom Posten des ärztlichen Direktors in Barmbek beurlaubt wurde, nahm Reye, der Übergangene von 1923, der mit NSDAP und SS in bester Verbindung stand, seinen Platz ein. Er amtierte bis 1945.[16]

Knack flüchtete sich zunächst in die äußerst unsichere und auch materiell wenig zukunftsträchtige Stelle eines „Volontärarztes“ am Krankenhaus Lippstadt, „zwecks gynäkologischer und chirurgischer Fortbildung“, wie sein Lebenslauf vermerkt. Offenbar trug er sich mit dem Gedanken, sich als Arzt niederzulassen. Ein entsprechendes Gesuch reichte er im September 1933 bei der Gesundheitsbehörde in Hamburg ein. Als die Nazis ihn im Einklang mit der Hamburger Ärztekammer im Februar 1934 aus dem Ärzteverzeichnis entfernten, war ihm diese Existenzmöglichkeit allerdings genommen.

Knack sah sich schließlich genötigt, Deutschland zu verlassen. Noch im Februar 1934 ging er zunächst nach Genf, dann, auf Vermittlung des dort ansässigen Hygiene-Kommittees des Völkerbundes, als Deputy-Direktor an des Central-Hospital in Nanking, China. Hier konnte er wahrscheinlich Verbindungen nutzen, die er in den zwanziger Jahren zu Ärzten und Gesundheitspolitikern in England geknüpft hatte.[17] Eine sichere Heimstätte fand Knack in China allerdings nicht. Er musste auch hier häufig seinen Standort wechseln. 1935 wirkte er kurz als beratender Arzt am belgischen Missionshospital in Kweisui, südliche Mongolei. Von 1936 bis 1937 war er praktischer Arzt in Peking, von 1938 bis 1948 praktischer Arzt in Mukden, im Sommer 1948 schließlich ärztlicher Berater des „International Relief Committee of China“, Shanghai.

Knack, der sich als Emigrant seinen Platz kaum frei wählen konnte, hatte tragischerweise in China durchweg auf verlorenem Posten gestanden. Als Anhängsel humanitärer, aber auch als imperialistisch eingestufter Organisationen musste er permanent zwischen die Fronten des seit Jahren schwelenden chinesischen Bürgerkrieges sowie des nationalen Unabhängigkeitskrieges gegen die japanischen Okkupanten geraten. Mit der strategischen Offensive der Volksbefreiungsarmee unter Mao Zedong seit 1947 und ihrem sukzessiven Vormarsch nach Süden war seine Existenz wiederum gefährdet. Im Dezember 1948 kehrte er mit Unterstützung der „International Refugee Organisation“ auf einem dänischen Dampfer nach Hamburg zurück.

Im April 1949 wurde Knack, an dessen Konstitution die Emigration nicht spurlos vorübergegangen war,[18] das Amt des Präsidenten der Hamburger Gesundheitsbehörde übertragen.[19] Hierbei mögen Überlegungen der sozialdemokratischen Stadtregierung eine Rolle gespielt haben, einem verdienten und schwer geprüften Genossen das Auskommen zu sichern. Es hieße aber, Knack zu unterschätzen und wichtige strukturelle gesundheitspolitische Pläne zu übersehen, wollte man hierin die wesentliche Motivation dieser Berufung erblicken. Einiges spricht dafür, dass die Hamburger Arbeiterparteien nach dem Kriege eine gewisse Zeit lang die Verstaatlichung des gesamten Gesundheitswesens ins Auge fassten und sich dafür mit einem versierten „Kämpfer“ gegen die rechtslastigen bis profaschistischen ärztlichen Standesvertreter versehen wollten.

Diese Aufgabe allerdings war eine Sisyphusarbeit, und für den geschwächten Knack zu schwer. 1952, ein halbes Jahr nach seinem 65. Geburtstag, ging er in den Ruhestand. Große Schlagzeilen waren ihm in seiner Amtszeit nicht mehr zuteil geworden, und auch sein Tod am 3.5.1956 bewegte die Öffentlichkeit nur noch am Rande. Es war nicht mehr seine Zeit. Resignation hatte auf der Linken Einzug gehalten, und insbesondere die Kompromissbereitschaft gegenüber der bürgerlichen Besitzstandspolitik war gewachsen. In den Köpfen vieler Sozialdemokraten begann zudem die harmonistische Mentalität des Wirtschaftswunders die Erinnerung an nicht eingelöste gesellschaftspo­litische Konzepte zu verdrängen.

Ein Portrait des jungen Arztes als Sozialpolitiker

In einem der klassischen Werke zur Geschichte der Sozialpolitik in der Weimarer Republik – dem Werk von Ludwig Preller,[20] selbst sozialpolitischer Akteur dieser Zeit – fehlt eine Darstellung der Gesundheitspolitik vollständig.[21] Das scheint nicht zufällig zu sein. Entwickelte sich auch das Gesundheitswesen aus der Armenpolitik heraus und ist dessen „professionalisierte und semiprofessionalisierte Lobby (…) zwar mit dem Sozialstaat groß geworden“,[22] wusste sie sich gleichwohl deutlich ideologisch von diesem abzusetzen. Dieses konnte gelingen, indem im Gesundheitswesen eine vertikale Trennung in Sektoren – medizinischer Bereich einerseits und Bereich der Finanzierung andererseits – institutionalisiert wurde.[23] Endgültig durchgesetzt wurde diese sektorale Trennung im Verlaufe der Weimarer Republik, anders ausgedrückt: Die Geschichte der Gesundheitspolitik der Weimarer Republik ließe sich schreiben als eine Geschichte der Durchsetzung von Sozialstaatlichkeit bei gleichzeitiger Gewinnung größtmöglicher Autonomie für einen Bereich und eine Profession gegenüber sozialstaatlicher Intervention.[24]

Sozialdemokratische Gesundheitspolitiker versuchten in der revolutionären Nachkriegsphase zunächst, die Weichen anders zu stellen. Ihre formelhafte Forderung nach einer „Sozialisierung“ des Gesundheitswesens mutierte in der konkret-praktischen Politik allerdings schnell zum Ziel, eine Zentralisierung und weitgehende staatliche Kontrolle im gesamten Gesundheitsbereich anzustreben. Knack kritisierte auf dem Parteitag der SPD 1920 unter Hinweis auf die Diskussion im Verein für öffentliche Gesundheitspflege 1919, der es nicht gelungen war, die Frage der Sozialisierung des Gesundheits­wesens einmütig zu klären, die Sozialisierung als „Schlagwort“ und machte vor dem Hintergrund seiner Hamburger Erfahrungen deutlich: „Ich kann mir nur eine Verstaatlichung des Gesundheitswesens und eine Durchdringung desselben mit sozialem Geist vorstellen.“[25]

Die „Verstaatlichung des gesamten Gesundheitswesens“, die also letzten Endes das Ziel einer Neuordnung sein musste,[26] stellte Knacks sich folgendermaßen vor:

1. Zentralisierung und damit auch Effektivierung und Rationalisierung der Gesundheitsverwaltung

2. Ausweitung staatlicher Befugnisse und Interventionsmöglichkeiten

3. Schließlich: eine „Verstaatlichung des Ärztestandes“.[27]

An der Zentralisierung des Gesundheitswesens in Hamburg war Andreas Knack, der – auch in der Bürgerschaft – die Gesundheitspolitik der Hamburger Sozialdemokratie bestimmte, wesentlich beteiligt. Am 1. April 1920 trat in Hamburg das „Gesetz über das Gesundheitswesen“ in Kraft.[28] In der mit diesem Gesetz neu geschaffenen Behörde, der Gesundheitsbehörde, wurden die bisher durch das Medizinalkollegium, das Krankenhauskollegium und die Polizeiärzte wahrgenommenen Aufgaben zusammengefasst.[29] Der Gesundheitsbehörde unterstanden nun alle staatlichen Krankenanstalten, das Institut für Geburtshilfe, das Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten, das Hygienische Institut, die Staatsimpfanstalt, der hafenärztliche, stadtärztliche, der polizei-, gerichts- und schulärztliche Dienst, das Desinfektionswesen, die Krankenpflegeschulen, das Hebammenwesen, der gesundheitliche Fürsorgedienst, das Veterinärwesen, der ärztliche und tierärztliche Dienst bei anderen Behörden und das Apothekenwesen.[30] Die Zentralisierung der Gesundheitsverwaltung war Knack Bedingung für deren Politisierung, für die Schaffung erst von „Gesundheitspolitik“, die identisch mit staatlicher Politik und gleichzeitig auch Garantie für die Durchsetzung des sozialen Aspektes war: „Nur wenn der politische Geist sich Schulter an Schulter mit dem ärztlichen Sachverstand stellt, können wir eine soziale Durchdringung des Gesundheitswesens leisten“.[31] Folgerichtig bedauerte Knack immer wieder – so auf den Parteitagen der SPD 1920, 1925 und 1929[32] -, dass kein Reichsgesundheitsministerium geschaffen worden war,[33] sondern – wie Grotjahn sich ausdrückte: – „ein Riss durch die zentralen Ge­sundheitsbehörden des Reiches“ ging,[34] in dem das soziale Versicherungs- und Versorgungswesen dem Reichsarbeitsministerium, das Reichsgesundheitsamt jedoch dem Reichsministerium des Innern unterstellt war.

Die Ausweitung der Aufgaben einer zentralen Gesundheitsverwaltung sollte nach Meinung Knacks auch die Gewerbe-, Nahrungsmittel- und Wohnungshygiene betreffen. So schwebte Knack die Bestellung eines Landesgewerbearztes vor, der nicht die Krankheitsfolgen behandeln, sondern präventiv tätig werden und die Arbeitsplätze auf neue und noch unbekannte Gesundheitsgefährdungen hin untersuchen sollte.[35] Den Schulärzten, deren Zahl erhöht werden sollte, mussten nach Meinung Knacks „Schulschwestern“ zur Seite gestellt werden, die die Befolgung der ärztlichen Anordnungen kontrollieren konnten.[36] In Zusammenarbeit mit der „Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens“ forderte Knack schließlich eine Verbesserung der oberflächlichen schulärztlichen Untersuchungen durch die Einrichtung eines Schulärztlichen Ambulatoriums.[37] Auch in der 1918 entstandenen Hamburger Arbeitsverwaltung müssten Ärzte für die Berufsberatung und die Eignungsprüfungen eine zentrale Rolle spielen.[38] Die bisherigen Polizeiärzte sollten zu Bezirksärzten, eine Art allgemeiner Gesundheitskommissare, werden. Das Bild einer alle Zweige der Sozialverwaltung umfassenden Behörde, eine vollständige gesundheitspolizeiliche Kontrolle und Befürsorgung der Bevölkerung mittels dieser Zentralverwaltung, dies war in den Anfangsjahren der Weimarer Republik die leitende Idee der Knackschen Gesundheitspolitik.

Dass die von Knack vorangetriebene sozialstaatliche Modernisierung auch ihre Tücken hatte, beweisen Knacks Aktivitäten im Bereich eines seiner politischen Schwerpunkte, der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Max Quarck, mit dem Knack in dieser Frage zusammenarbeitete, wies darauf hin, dass seit dem Weltkrieg die Syphiliserkrankungen zugenommen hätten. Tatsächlich waren genaue Zahlen nicht zu gewinnen; es existierten lediglich Schätzungen, so vermutete Quark aufgrund bestimmter Hochrechnungen, dass in den Großstädten etwa 10-12% der Einwohnerschaft an Geschlechtskrankheiten – vor allem Syphilis und Tripper – litten.[39] In der Begründung zum Entwurf eines Gesetztes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten von 1920 wurden als Gründe für die schnelle Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten die Verwilderung der Sitten Jugendlicher im Weltkrieg, die Rückkehr der Truppen und die feindliche Besatzung genannt.[40] Knack führte 1921 in seiner Physikatsarbeit[41] aus, dass bisherige Maßnahmen in Hamburg, die sich beschränkten auf polizeiliche und gesundheitliche Kontrolle der registrierten Prostituierten in den Bordellen, das Aufgreifen nicht-registrierter (und damit illegaler) Prostituierter und – bei festgestellter Krankheit – Einweisung auf die Polizeistation des Allgemeinen Krankenhauses Barmbek, keinen Beitrag zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten leisten konnten. Das Problem der sich ausweitenden Geschlechtskrankheiten sei nicht ursächlich eines der Prostituierten, sondern eines des sich überhaupt ausweitenden außerehelichen Geschlechtsverkehrs. Knack verweist in seiner Untersuchung auf die hohen Prozentzahlen von Geschlechtskranken unter Soldaten, Seeleuten, Studenten und Kellnerinnen.[42] Eine moralische Bewertung dieses Phänomens ist für den Gesundheitspolitiker Knack nicht nur überflüssig, sondern auch nutzlos. Das Konzept, das Knack vorschlägt, umfasst mehrere Schritte:

  • Aufhebung der Bordelle, d.h. der Reglementierung der Prostitution,
  • Verhinderung ihrer verdeckten Fortsetzung,
  • Durchführung sozialer Maßnahmen für Prostituierte, die „aussteigen“ wollen,
  • Aufhebung der Bestimmungen, die den freien Verkauf von empfängnisverhütenden und vor Ansteckung schützenden Mitteln einschränken,
  • Durchführung von großen Aufklärungskampagnen für die Benutzung von Schutzmitteln, z.B. Kondomen, und – Voraussetzung dafür – die Erziehung zu einer „freien geschlechtlichen Auffassung“, die Sexualität als naturgegeben und selbstverständlich ansieht,
  • Einführung hygienischer Mindeststandards, z.B. Ausstattung von Hotelzimmern mit Waschbecken usw.,
  • Melde- und Behandlungszwang für alle Geschlechtskranken, d.h. für Frauen und Männer.

In der Diskussion um die Schließung der Bordelle in Hamburg in der Bürgerschaft 1921 führte Knack noch einmal unmissverständlich aus, dass für ihn die notwendige Aufhebung der Kasernierung der Prostituierten und deren Reglementierung einhergehen müsse mit „schärfsten Zwangsmaßnahmen“ gegen Kranke, die leichtsinnigerweise ihre Krankheit auf andere übertrügen.[43]

Knack fand es nicht nur peinlich, dass Hamburger Ärztinnen gegen den freien Vertrieb von empfängnisverhütenden Mitteln protestiert hatten,[44] sondern hielt selbst vor allem Präservative für eine wirksame Prophylaxe und forderte deren offensive öffentliche Verbreitung: „Eine wirksame Verbreitung von Prophylaktika kann nicht durch Belehrung oder Aushändigung von Traktätchen, sondern nur durch praktische Heranbringung der Mittel an die gefährdeten Personen erreicht werden.“[45]

Diese vom Gesichtspunkt einer Effektivierung gesundheitspolitischer Maßnahmen geleiteten und durchaus positiv zu bewertenden Freizügigkeit stand die Vorstellung einer Art von Gesundheitsdiktatur zur Seite: Die polizeiliche Kontrolle sollte durch die gesundheitliche ersetzt werden, die federführende Gesundheitsbehörde sollte mit geradezu diktatorischen Vollmachten hinsichtlich der Registrierung und Behandlung geschlechtskranker Personen ausgestattet werden. Dem Technokraten einer solchen Gesundheitsbürokratie waren alle Menschen gleich und gleich zu behandeln: Männer, Frauen, arm und reich.

Am 17. Juni 1921 wurden nach einem Beschluss der Bürgerschaft in Hamburg sämtliche Bordelle aufgelöst.[46] Knack, der sich für diese Maßnahme stark gemacht hatte, erwartete allerdings flankierend die Verabschiedung des schon im März 1920 im Entwurf vorgelegten Reichsgesetzes zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten, das die ärztliche Meldepflicht und Zwangsbehandlung für Geschlechtskranke vorsah. Erst dann hätte in Hamburg entsprechend seiner Programmatik gehandelt werden können. Immer wieder forderte Knack die Verabschiedung dieses Gesetzes; die SPD-Reichstagsfraktion handelte seiner Ansicht nach in dieser Frage – wie auch in der einer Abschaffung des Paragraphen 218 – nicht konsequent genug.[47]

(3) Auch eine Intervention: die schulzahnärztliche Abteilung im AK Barmbek
(3) Auch eine Intervention: die schulzahnärztliche
Abteilung im AK Barmbek

Nachdem das Reichsgesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 1927 endlich verabschiedet worden war,[48] wurde in der Hamburger Bürgerschaft erneut diskutiert, wie den Geschlechtskrankheiten am erfolgreichsten zu begegnen sei. Knack machte nun allerdings deutlich, dass für ihn entsprechend dem englischen Modell auch „freie Polikliniken“, ohne direkten Zwang und Polizeiaspekt denkbar seien.[49] Es waren solche Lernprozesse für Knack persönlich wie für die gouvernementale Strömung in der Sozialdemokratie überhaupt sehr typisch: „Von Hause aus“ war man gewissermaßen Preuße und als solcher zu obrigkeitlicher Diktatur der Einsicht geneigt – im Austausch mit liberaleren Auffassungen, wie sie sich etwa in der Politik englischer oder holländischer Sozialdemokraten verkörperten, zeigte man sich durchaus aufnahmebereit. Zum Kämpfer für Liberalität wurde Knack darum noch lange nicht: Das GBG, das im Grunde nichts anderes war als ein Freibrief für Zwangsbehandlung, galt ihm uneingeschränkt als ein „Kulturgesetz“.[50]

Die von Knack angestrebte Ausweitung gesundheitspolitischer Interventionen ging einher mit einer Art „Medizinalisierung“ sozialer Probleme. Immerhin aber bedeutete dies bei seinem Verständnis von Medizin, das immer soziale Aspekte einschloss, zunächst eine Zurückweisung strafrechtlicher Verfolgung bestimmter Erscheinungen. So etwa ist Knack die Homosexualität zwar „abartige Veranlagung“ oder Krankheit, doch genau deshalb eben nicht strafrechtlich zu verfolgen: „Es ist eine Kulturfrage für uns Sozialisten, ob man einen Abartigen, vielleicht auch als Kranken zu bezeichnenden Menschen zum Verbrecher stempelt oder ob man diesen Menschen, sozial bzw. ärztlich richtig anfasst. Dann wird er auch kein Schädling der Gesellschaft sein; Schädlinge sind auch bisher nur diejenigen, die auf Grund des herrschenden Gesetzesparagraphen Erpressungen und der­gleichen an diesen armen Menschen begehen.“[51] Mit der biologistischen Sichtweise von Homosexualität stand Knack unter sozial­demokratischen und sozialistischen Ärzten nicht allein.[52] Hier war ein Pfad gelegt, dessen hochproblematische Richtung in Knacks Ansichten über Bevölkerungspolitik und über Verbrechertum und Verbrechen noch schärfer erkennbar wurde.

Knack hielt eine „planmäßige Bevölkerungspolitik“ für eine der zentralen gesundheitspolitischen Aufgaben der Sozialdemokratie. Ein gesundes Volk als Grundlage einer sozialistischen Gesellschaft bedürfe des bewussten Eingriffes in die Natur, die Vererbung krankhafter Veranlagung müsse vermieden werden.[53] Auch wenn Knack sich hier Beratungs- und Überzeugungsarbeit vorstellte, ist hinreichend deutlich, wie diese Position im Faschismus zur Politik der „Ausmerze“ führte.[54]

Notwendig erschien Knack prinzipiell eine Mitwirkung des medizinischen Sachverstandes im Strafrecht und der Strafverfolgung. Der Verbrecher war für ihn ein Psychopath, Verbrechen nicht als soziale Krankheit, sondern als Krankheit überhaupt, die dem einzelnen nicht anzulasten sei. „Vom ärztlichen Standpunkt aus fordern wir Schutz der Gesamtheit vor der krankhaften Anlage des Verbrechers, aber keine Strafe des einzelnen“.[55] Der Strafvollzug habe eigentlich vom Arzt auszugehen, der beurteilen müsse, welcher Grad „sozialer Minderwertigkeit“ bei dem „eingelieferten Patienten“ vorliege. Er sei – wenn möglich – zu einem „sozial brauchbaren Mitglied der Gesellschaft“ zu erziehen; wichtig seien Ausbildungsmaßnahmen im Gefängnis und angemessene Entlohnung der Gefängnisarbeit.[56] Es verwundert wenig, dass für Knack Sozialpädagogik „immer ein schlimmes Wort“ war, bringt es doch das Prinzip der spezialisierten Professionalisierung in der Sozialpolitik zum Ausdruck, dessen Parallele der sich keiner sozialen Verantwortung bewusste Mediziner ist. Dieses widerspricht der von Knack ange­strebten Integration medizinischer, sozialer und pädagogischer Aspekte in der Sozialpolitik, sozialpolitische Intervention in seinem Sinne hatte behördliche und fachliche Grenzen vielmehr zu überschreiten.

Die dritte der Aufgaben im Rahmen einer Verstaatlichung des Gesundheitswesens schien Knack 1919 nur in weiter Ferne erreichbar: die „Verstaatlichung des Ärztestandes“.

Vorderhand wichtiger war Knack etwas anderes: eine Änderung der Einstellung der Mediziner. Seine Vision war die eines „Sozialarztes“, eines Arztes, der aus ärztlicher Sicht Sozialpolitik treibt: „Es ist meine Hoffnung, dass durch die veränderten Verhältnisse, die unser ganzes politisches und wirtschaftliches Leben durch die Revolution erfahren hat, auch aus unseren Ärzten sich immer mehr Kräfte zur sozialärztlichen Tätigkeit entwickeln, denn die Sozialärzte können viele Krankheiten verhindern, vielen Gesundheitsschäden vorbeugen, während die die Krankenbehandlung treibenden Ärzte doch immer nur die schon entstandenen Leiden heilen können.“[57]

Eine Etappe auf dem Weg, die Ärzte stärker in die soziale Pflicht zu nehmen, konnte seiner Ansicht nach die Umwandlung der Standesvertretung der Ärzte in eine Berufsvertretung sein. Es lag ihm daran, die Ehrengerichtsbarkeit der Ärztekammer abzuschaffen und stattdessen die Kompetenzen der Gesundheitsbehörde zu erweitern und dieser Strafbefugnis zu erteilen.[58] Aber dieses Ziel musste mit dem Erlass der neuen Ärzteordnung vom 8.10.1923, mit der die Reorganisation der Gesundheitsverwaltung abgeschlossen wurde, zurückgeschraubt werden. Durchgesetzt wurde lediglich die Aufnahme von Vertretern der Bevölkerung in die Ehrengerichte der Ärztekammer; für Knack war dies gleichwohl schon die „Verwandlung der Standeskammer zu einer Interessenvertretung der Gesamtbevölkerung gegen die Schädlinge des Ärztestandes“.[59] Ein weiterer Ansatzpunkt für Knack war die Einführung des Verhältniswahlrechts in der Ärztekammer, das er – wie insgesamt die SPD – forderte,[60] und das in Par.15 der Ärzteordnung von 1923 auch verankert wurde.[61]

Von seinem mühsamen Kampf gegen ärztliches Profitinteresse und Standesdenken zeugen Knacks Äußerungen und Handlungen in der Bürgerschaft und verschiedenen Ausschüssen immer wieder. So kritisierte er, dass der Senat die hohen Gehaltsforderungen der Eppendorfer Professoren akzeptierte,[62] so stritt er sich mit Vertretern der medizinischen Fakultät bei der Ausarbeitung eines Hochschulgesetzes um Vertretungsrechte des akademischen Mittelbaus,[63] so gibt er nur mit Bedenken seine Zustimmung zur Einführung des Titularprofessors[64] – eines Titels, mit dem viel Missbrauch getrieben werde, da es den ernannten Privatdozenten oft nicht um eine Beteiligung am wissenschaftlichen Prozess ginge, sondern lediglich um eine einträgliche Praxis.[65] Bedenkt man, dass gerade Knack sich für die Einrichtung einer medizinischen Fakultät an der 1919 neu gegründeten Hamburger Universität eingesetzt hatte,[66] wundert seine aggressiv-enttäuschte Haltung den vor allem ihre Standesinteressen wahrenden Hochschulprofessoren der medizinischen Fakultät gegenüber wenig („…unsere geistige Führung ist nicht damit gemacht, dass unsere Hochschulprofessoren in Villen in Harvestehude wohnen und dass unsere Studenten, geschmückt mit bunten Kappen und Bändern und Zierstöckchen, auf dem Jungfernstieg hin- und her spazieren“).[67]Eine Verbesserung erhoffte sich Knack schließlich durch neue, aus anderen Bevölkerungskreisen kommende Studenten; er setzte – so sicherlich nicht nur in biographischer Reminiszenz begründet – Stipendien für unbemittelte Studenten in der Bürgerschaft trotz schon zu diesem Zeitpunkt beginnender Teuerung durch.[68]

Knacks Perspektive, der politische als der sozial verantwortliche Arzt müsse geradezu natürliches Resultat der Revolution sein, wurde also beständig durch negative Erfahrungen dementiert. Es mutet aus heutiger Sicht fast naiv an, dass Knack trotzdem immer wieder das fehlende Interesse der Ärzte an einer „Neuorientierung“ bedauerte und vermisste, dass es keine Impulse im Hinblick auf die Wahrnehmung sozialer Aufgaben durch die Ärzte gebe.[69]

Knacks Hoffen und Bangen in dieser Frage war die Kehrseite seiner Hilflosigkeit. Die Landespolitik war gegenüber einer großen Gruppe der Ärzteschaft, den niedergelassenen Ärzten, weitgehend machtlos; die Regelung ihrer Stellung – d.h. vor allem ihr Verhältnis zu den Krankenkassen – war der Zentralgewalt anheim gegeben.

Das Verhältnis von niedergelassenen Ärzten und Krankenkassen war seit Gründung der Krankenkassen gemäß der Reichsversicherungsordnung immer brisant geblieben. Die Kassen (und mit ihnen die Arbeiterparteien, nachdem sie sich mit der Existenz der Zwangskassen abgefunden hatten) strebten nach Ausweitung der Versicherungspflicht für alle, nach Selbstverwaltung und nach autonomer Gestaltung der Ärztevergütung, letzteres möglichst in Form von Einzelverträgen mit freien Ärzten oder in Form von Angestelltenverhältnissen. Die Interessenorganisationen der freien Ärzte hingegen forderten

  • – Begrenzung der Versicherungspflicht auf einige wenige Bevölkerungsgruppen (um den Anteil der privaten Liquidation groß zu halten);
  • – Kollektivverträge zwischen kassenärztlichen Vereinigungen und Ärzten (um selbst über die Zahl der Kassenärzte und die Arzt-Patient-Relation verfügen zu können);
  • – Vertretung der kassenärztlichen Vereinigung in der Kassenverwaltung (um Einfluss auf die Vergütungssysteme nehmen zu können).

In diesem Interessenkonflikt stellte sich die Reichsregierung durchweg eher auf die Seite der freien Ärzte. Die Möglichkeiten, der freien Ärzteschaft durch medizinische Versorgungsinstanzen der Kassen (Arzneimittelausgabestellen, Ambulatorien etc.) Konkurrenz zu machen, hielten sich in sehr engen Grenzen; der Berufsstand und seine profitorientierte Interessenstruktur blieb Realität und stellte eine grundlegende Änderung des gesamten Gesundheitssystems von vornherein in Frage. Auch aus diesem Grunde operierte sozialdemokratische Gesundheitspolitik auf Landesebene nach der beschränkten Formel „Ausbau des staatlichen Krankenhauswesens plus Aufbau präventiver Medizin im Rahmen eines sozialpolitischen/sozialhygienischen Gesamtapparates“.

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(4) Hygiene-Erziehung mit Sport - im Krankenhaus geht das!
(4) Hygiene-Erziehung mit Sport – im Krankenhaus geht das!

Hatte Knack noch 1922 im Rahmen der Auseinandersetzung um die Arbeit der Kommission, die den Vorschlag für ein Gesundheitsprogramm der SPD entwickelte, deutlich zum Ausdruck gebracht, dass ihm die „Neuordnung eines einzelnen Standes“ zwar nicht unwesentlich schien, aber „nur das Anschneiden einer Detailfrage“ bedeute,[70] änderte sich offensichtlich seine Einschätzung über die Wichtigkeit dieser Frage in späteren Jahren. 1929 schätzte er ein, dass es keine einheitliche Krankenversorgung geben werde – und solange müsse eigentlich noch von Klassenmedizin gesprochen werden[71] – solange es freiberufliche Ärzte gebe. Er hielt die Verstaatlichung des Ärzteberufes für zwingend geboten, sah aber keinen Weg, wie dieses geschehen solle.[72]

Die Politik der „Verstaatlichung“ des gesamten Gesundheitswesens scheiterte also an dem Widerstand konservativer Professionspolitik der Ärzte; ob dies ein großer Verlust war, ist allerdings fraglich, zeigen doch gerade Knacks Bestrebungen besonders ausgeprägt auch das hässliche Gesicht aller sozialstaatlichen Modernisierung: Normalisierungsbestrebungen, wie sie sozialpolitische Reform in den 1920er Jahren darstellte, gehen einher mit dem Aufspüren fremder Lebensweisen und -normen, mit Disziplinierung und einer Ausweitung von Kontrollinstanzen und Kontrollmöglichkeiten.[73]

Das in Knacks Anschauungen sich durchweg Positives mit Problematischen vermengte, wird vollends deutlich, wenn man sie mit den Positionen der anderen „politischen Ärzte“ in der Bürgerschaft vergleicht.

Da gab es den Arzt Prof. Dr. Rudolf Hahn, Chef der Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten am AK Barmbek seit dessen Gründung.[74] Er vertrat von 1924 bis 1927 die Deutschnationale Volkspartei in der Bürgerschaft. Hahn war der große Gegenspieler Knacks auf der Rechten. Er vertrat stets die bürgerlich-konservative Auffassung der Gesundheitspolitik. So votierte Hahn für die Aufrechterhaltung der Bordellstraßen, für eine exzessive Handhabung der Polizeigewalt gegen mutmaßlich geschlechtskranke Besucher „verdächtiger“ Lokale, gegen den Achtstundentag für Krankenschwestern usw. Hahn war für Knack insofern ein gefährlicher Gegner, als er etwa in der Frage der Geschlechtskrankheiten tatsächlich als Kenner der medizinischen, sozialen und polizeilichen Aspekte der Prostitution gelten konnte. Überdies war Knack seit 1923 der direkte Vorgesetzte Hahns, ein Umstand, der einerseits ihrem Streit besondere Brisanz verlieh, andererseits Knack oft auch zu zähneknirschender Zurückhaltung veranlasste. Als z.B. 1927 die Gesundheitsbehörde – auf Betreiben des Jugendausschusses des ADGB-Hamburg – beim AK Barmbek anfragte, inwieweit bei den im Krankenhaus befindlichen geschlechtskranken jungen Prostituierten Erwerbslosigkeit als Ursache der Prostitution in Betracht zu ziehen sei, musste Knack die Angelegenheit an Hahn zur Beantwortung weiterleiten. Hahns Gutachten, nicht die Erwerbslosigkeit an sich sei schuld an der Prostitution der Mädchen, sondern ihre Bummelei und ihr schlechter Umgang, richtete Knack dann kommentarlos an die Gesundheitsbehörde weiter, obwohl er sich in anderen Fällen zustimmender oder ablehnender Bemerkungen zu den Darlegungen seiner Chefärzte durchaus nicht enthielt.[75]

Einen weiteren Gegenspieler besaß Knack auf der Linken, und zwar in dem Naturheilkundigen Walter Fließ, der von 1920 bis 1921 die USPD in der Bürgerschaft vertrat, dann mit der Gruppe um Thälmann zur KPD wechselte und bis 1924 deren Abgeordneter war.[76] Fließ‘ Auffassungen waren allerdings weit mehr als nur bloße Kontrapunkte – in der Frageperspektive, was linke Medizin beinhalten könnte, stellten sie gewissermaßen eine dialektische Ergänzung der Knackschen Linie dar. Die Person Walter Fließ und ihr Auftreten in der Bürgerschaft verdienen daher eine nähere Betrachtung.

Fließ war als Naturarzt notgedrungen eine schillernde Figur. Die außerordentlich scharfe Ablehnung „natürlicher“ Heilmethoden durch die zeitgenössische Schulmedizin, aber auch das enthusiastische Sektierertum der Lebensreformbewegung selbst, die den Hintergrund der Naturheilkunde darstellte, schließlich die materiell unsichere Position eines Naturarztes ließen Fließ in seiner Arbeit oft in dubiose Gefilde vordringen. Mit seinen Vorträgen über Magnetismus und Parapsychologie etwa stand er mit mehr als einem Bein im Lager des Obskurantismus, und seine aggressive Werbung für seine Anstalt trug mehr als einmal deutliche Züge medizinisch unverantwortlicher Quacksalberei.[77]

Im Zentrum seiner Tätigkeit standen allerdings Bemühungen, die noch heute als verdienstvoll gelten können: die Behandlung von Magen-, Darm, Haut- und Geschlechtskrankheiten auf der Basis pflanzlicher Medikamente, ferner der Verkauf und die Erläuterung hygienischer Artikel, insbesondere solcher zur Empfängnisverhütung und zur Prophylaxe der Geschlechtskrankheiten. Auch mit solchen Be­strebungen befand man sich damals, dies sollte nicht vergessen werden, am Rande der Legalität.

In politischer Hinsicht stand Fließ, wie bei Lebensreformern üblich, auf der Seite der Sozialdemokratie – als aufklärerischer Intellektueller, für den die Aufgabe der Sozialdemokratie in erster Linie in einem Kulturkampf bestand.[78]

Fließ‘ Auftreten in der Bürgerschaft war vor allem durch drei Motive gekennzeichnet. Zum ersten agierte er als Interessenvertreter der Naturheilkunde-Bewegung und forderte deren Verankerung in den Institutionen der Gesundheitsbehörde, der ärztlichen Selbstverwaltung (Ärztekammer) und der Universität (z.B. durch einen Lehrstuhl). Obwohl Knack in der Regel diesen Ambitionen beisprang, blieb der gesetzgeberische Ertrag doch gering.[79] Zum Zweiten zeigte er ein tiefes Verständnis für die Vielschichtigkeit staatlicher Gesundheitspflege, beteiligte sich überaus konstruktiv an den entsprechenden Beratungen in Parlament und Ausschüssen und scheute auch nicht die Übernahme verantwortlicher Positionen im Gesundheitsapparat oder in freien Organisationen wie etwa dem Arbeiter-Samariter-Bund. Auch in dieser Hinsicht stand er Knack recht oft sehr nahe, weswegen dieser Fließ bei aller Verschiedenheit der Lebenswege und Auffassungen als volkstümlichen Sozialarzt und Bruder im Geiste akzeptierte, ja sogar schätzte.[80] Zum Dritten aber erwies sich Fließ als kompromissloser Verteidiger bürgerlicher Grundrechte und damit als Gegner Knacks, dessen „Befürsorgungs“-Konzepte eben nicht selten von staatlicher Allmacht-Phantasie getragen waren. So war die von Knack geplante Zwangsbehandlung Geschlechtskranker in Fließ‘ Sicht völlig indiskutabel: aus medizinischen Gründen, da die hierfür einschlägigen chemischen Präparate (das von Paul Ehrlich und Sahachiro Hata 1910 auf den Markt gebrachte Salvarsan, eine organische Arsenverbindung; ferner pures Quecksilber als Salbe und das sog. Sublimat, d.i. Quecksilberchlorid) milde gesagt umstritten seien, den Kennern aber als lebensgefährlich gelten müssten, darüber hinaus auch aus prinzipiellen Erwägungen, denn man könne Menschen nicht nach Methoden behandeln, die diese ablehnten. In Hamburg gebe es z.B. tausende Anhänger der Naturheilkunde; sie zwangsweise mit allopathischen Mitteln zu behandeln, bedeute zumindest Vergewaltigung.[81] Fließ ging es v.a. darum, solchen Mediziner-Terror zu brechen: Dies könne auf dem Wege einer Sozialisierung der Medizin, wie sie den Sozialdemokraten vorschwebe, durchaus geschehen, eine Sicherheit gebe dies Konzept dafür allerdings nicht. Genauso erwägenswert sei eine völlige Liberalisierung der medizinischen Versorgung, gewissermaßen die Erklärung der Gesundheit zur Privatsache.[82]

Als anklagender Volkstribun, jene in der kommunistischen Parlamentsarbeit übliche Rolle, wollte Fließ sich nicht verstehen. Diese Funktion übernahmen für den Gesundheitsbereich die Abgeordneten Urbahns und von Borstel. Ab 1924, nach dem Austritt Fließ‘ aus der KPD,[83] verlagerte sich der Schwerpunkt der kommunistischen Gesundheitspolitik dann ganz auf Interessenvertretungs-Kampagnen der Patienten und des Pflegepersonals gegen reaktionären Ärztedünkel und sozialdemokratische Sparpolitik. Letzteres richtete sich sehr häufig gegen Knack, der als profilierter sozialdemokratischer Krankenhausdirektor für Entlarvungsversuche eine ideale Zielscheibe bot.

Der Chef von Barmbek

1910 war mit dem Bau des Allgemeinen Krankenhauses Barmbek begonnen worden. Ende 1913 hatte das Krankenhaus seinen Betrieb aufgenommen. Der umfangreiche Gesamtkomplex setzte sich aus verschiedenen Teilen zusammen, den in massiver Weise erbauten Gebäuden der Hauptanstalt und einem Barackenkrankenhaus. Zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme für 2000 Betten ausgelegt, ist das AK Barmbek – 1928 mit 2400 Betten – nach dem Allgemeinen Krankenhaus Eppendorf, das Raum für 2770 Betten bot, das zweitgrößte Hamburgs.[84] 1928 waren 1481 Personen im AK Barmbek beschäftigt, davon nur 67 Ärzte, 175 Schwestern und 406 Pflegekräfte.[85]

Als Ärztlicher Direktor dieses Krankenhauses hat Knack versucht, einige Reformen hinsichtlich der Organisation, der Patientenbehandlung und des Personals ins Werk zu setzen.

(5) AK Barmbek: Ein Großkrankenhaus aus einem Guss  - dabei offen für Innovationen
(5) AK Barmbek: Ein Großkrankenhaus aus einem Guss
– dabei offen für Innovationen

Knack verstand das Krankenhaus – wie es seiner Auffassung von „sozialer Medizin“ entsprach – nicht nur als einen Betrieb, der ärztliches Fachwissen und ärztliche Behandlung bereitzustellen hatte, sondern als einen Betrieb der umfassenden Gesundheitsfürsorge. Ein Blick auf die soziale Zusammensetzung der Patienten – 60% unterlagen der Versicherungspflicht, 30% wurden von der Wohlfahrtsbehörde betreut und 10% waren „Selbstzahler“, also Privatpatienten[86] – lässt ahnen, dass mit der Aufnahme in das Krankenhaus nicht alle Probleme der Patienten gelöst waren – oft begannen neue erst mit dem Krankenhausaufenthalt: „Die Fürsorge für einen Arbeiter, der nach einem Unfall von der Arbeitsstelle direkt ins Krankenhaus geschafft wird, dessen Frau herzleidend ist oder sich in einem vorgerückten Monat der Schwangerschaft befindet, ist nicht damit erledigt, dass er selbst in einer Krankenstation untergebracht wird und die Familie durch ein Telegramm oder einen Boten von dem geschehenen Unglück in Kenntnis gesetzt wird. Ein anderer Arbeiter, der eine vielköpfige Familie zu ernähren hat, ist keinesfalls aller Sorge behoben dadurch, dass er in einer Tuberkulosestation untergebracht wird und seine Familie das ihr zustehende Hausgeld seitens der Krankenkasse erhält. Einer Frau, die infolge einer plötzlichen Unterleibsblutung aus ihrem Haushalt herausgerissen wird, ist nicht nur mit einer Operation geholfen. Ein junges Mädchen, das wegen einer Geschlechtskrankheit aufgenommen wurde, kann nicht nach eingetretener Heilung stellen- und obdachlos entlassen werden. (…). Das allen gemeinsame ist, dass bei männlichen wie weiblichen, jugendlichen wie älteren Patienten nicht nur auf die Heilung oder auf die Betreuung der Erkrankung allein geachtet werden darf, sondern dass auch die Beziehungen des einzelnen Patienten zur Außenwelt sorgsamst geprüft werden müssen.“[87] Knack setzte sein besonderes Bemühen seit 1924 daran, die soziale Krankenhausfürsorge am AK Barmbek auszubauen.[88] Diese Fürsorge – 1917 in Hamburg auf Initiative „mildtätiger“ bürgerlicher Frauenkreise entstanden,[89] vorher jedoch schon u.a. an der Berliner Charite eingeführt[90] – wurde vom Landesverein des Roten Kreuzes betrieben. Die Fürsorgerinnen arbeiteten nach Knacks Amtsantritt eng mit der Krankenhausverwaltung zusammen; ihnen war beispielsweise ein Raum für die Beratungsstunden bereitgestellt, ein Angestellter aus der Krankenhausverwaltung nahmen ihnen organisatorische Arbeit ab, sie konnten die Patienten auf den Stationen besuchen. Ihre Arbeit bestand in der Vermittlung von „Verschickungen“, in der Beschaffung der notwendigen orthopädischen Hilfsmittel für die Patienten, der Unterbringung unversorgter Angehöriger und generell in der Abwicklung vielfältiger Behördengänge – insgesamt hatte die vom Roten Kreuz organisierte und finanzierte Fürsorgetätigkeit einen erheblichen organisatorischen und finanziellen Umfang.[91] 1926 wurde Knack Mitglied in der „Deutschen Vereinigung für soziale Krankenhausfürsorge“, 1927 wurde er in den Vorstand gewählt.[92] Als im Zuge der ökonomischen Krise 1931 der „Vereinigung“ keine ausreichenden Mittel mehr zur Verfügung standen, bemühte sich Knack, die staatliche Finanzierung zu erhalten. Nach 1933 wurde aus der Beratungsstelle der sozialen Krankenhausfürsorge übrigens eine solche für Erbgesundheitspflege und Zwangssterilisation.[93]

Zur Zeit der Tätigkeit Knacks waren die Patienten in der Regel in großen Krankensälen mit bis zu 30 oder mehr Patienten untergebracht, als kleine Einheiten galten schon solche mit 12-20 Betten. Knack war der Auffassung, dass diese Unterbringung nicht mehr zeitgemäß sei, da die Patienten den Wunsch nach einer „individualisierenden Behandlung“ hätten, dem in kleineren Räumen eher nachgekommen werden könne: „Der große Krankensaal ist sowohl in ärztlicher wie in sozialer Beziehung nicht mehr zu empfehlen“.[94] Knack verwandelte schon bald nach seiner Amtsübernahme eine der „Kostgängerstationen“, die durch viele 1-3-Bett-Zimmer ausgezeichnet war und eigentlich für die Aufnahme von Privatpatienten gedacht und eingerichtet war, in eine Station für Kranke der normalen Kassen. Dieser Schlag gegen das Privatpatiententum war damals durchaus revolutionär; Knack meinte ihn daher noch besonders legitimieren zu müssen, indem er auf die mangelnde Auslastung und die unwirtschaftliche Betriebsführung in reinen Kostgängerstationen hinwies.[95]

(6) Radiokopfhörer für Kassenpatientinnen
(6) Radiokopfhörer für Kassenpatientinnen

Knacks Sorge für eine seiner Auffassung nach gute medizinisch-soziale Versorgung der Kranken[96]zeigte sich immer dann, wenn – im Zuge der Teuerungswelle bis 1923 und mit Einsetzen der großen Krise seit 1929 – Sparmaßnahmen drohten. Er, der durchaus selbst bei anderen Gelegenheiten in der Bürgerschaft die sozialdemokratische Sparpolitik unterstützt hatte und viel von einer wirtschaftlichen Krankenhausführung hielt, sah immer bei der Versorgung der Patienten die Grenzen für Einsparungen erreicht.[97] Krankenhäuser seien nun einmal nicht Profit erwirtschaftende Unternehmen: „Wenn trotzdem immer wieder große Summen für die Krankenhäuser gefordert werden, müssen wir uns klar darüber sein, dass die Krankenhäuser niemals wirtschaftliche Betriebe sein können, sondern soziale Be­triebe sind, und dass diese sozialen Betriebe, die der Gesundheit der Bevölkerung dienen sollen, natürlich einen großen Aufwand an ärztlichen und pflegerischen Hilfeleistungen, an Nahrungs- und Arzneimitteln, an Stoffen, Kleidung und dergleichen mehr erfordern, und dass die Krankenhäuser niemals billig arbeiten können (…).“[98]

Auch Knacks 1928 verfasstes Plädoyer für das Großpavillonsystem im Krankenhausbau gründete in seinen Vorstellungen von einer umfassenden Behandlung der Patienten. Auch wenn – so Knack – die modernen, mehrgeschossigen, zusammenhängenden Großgebäude nach US-amerikanischem Vorbild zweckmäßig sein könnten, seien die räumlich weiten Anlagen des Großpavillonsystems eher geeignet, Sportplätze, Turn- und Schwimmhallen für die Rekonvaleszenz der Kranken zu beherbergen.[99] In Barmbek richtete Knack 1927 eine Sportabteilung ein, im Frühjahr 1928 wurde ein Sportplatz angelegt. Hier fanden vormittags, geleitet durch einen sportlich vorgebildeten Arzt bzw. eine solche Ärztin, für Männer und Frauen getrennte Übungsstunden statt.[100] Knack hielt diese Art der Leibesübungen – deutlich von der Physikalischen Therapie zu unterscheiden – für besonders geeignet, den Heilungsprozess von Krankheiten, aber vor allem auch das „Gesundheitsverhalten“ der Patienten zu verbessern: „Das Vorhandensein einer solchen Abteilung wird sich sehr bald dahin auswirken, dass der Sinn für naturgemäße Lebensweise bei den Kranken gehoben wird und so das Krankenhaus mehr noch als bisher als hygienischer Erzieher wirkt.“[101]

Diesen Bemerkungen über das Krankenhaus als Erziehungsanstalt für die Patienten fügte Knack einen weiteren Absatz hinzu, der verdeutlicht, worin eine Schwierigkeit vieler seiner Bemühungen in Barmbek lag: „Angestrebt werden muss natürlich, dass auch die Ärzte wie das gesamte Krankenpflegepersonal von der Bedeutung sportlicher Betätigung durchdrungen sind und selbst in ganz anderem Maße aktiv mitarbeiten als bisher.“[102] Ärzte, z.T. aber auch die Pflegekräfte, waren nämlich von Knacks Neuerungen nicht immer unbedingt überzeugt.[103] Knack bemühte sich daher, ihnen nahe zu bringen, was sein Verständnis von dem Krankenhaus als einem Ort der „Gesundheitserziehung“ und der allgemeinen Befürsorgung war: „Die soziale Befürsorgung der Kranken nimmt einen immer größeren Raum in der ärztlichen Tätigkeit ein. Die Zeiten, in denen der Arzt nur Fachmann war – d.h. seine ganze Arbeit nur auf die Erkennung und Behandlung von Krankheiten konzentrieren konnte – sind vorüber. Die ärztliche Tätigkeit ist heutzutage auf eine viel breitere Basis gestellt; der Arzt bedarf zur Durchführung der ihm als Fachmann gestellten Aufgaben eingehender Kenntnis der mannigfachen Grenzgebiete des Gesundheitswesens.“[104] Knack begrüßte die Änderung der „Prüfungsordnung für Ärzte“ von 1924, mit der die Sondergebiete der sozialen und gerichtlichen Medizin stärker berücksichtigt wurden, vermutete jedoch, dass dafür im Studium, da der Prüfungsstoff insgesamt stark ausgeweitet wurde, keine Zeit bleibe, der „Kandidat also gezwungen ist, die Quantität seiner Ausbildung auf Kosten der Qualität zu steigern“. Als besonderes sozialmedizinisches Ausbildungsfeld der Ärzte schlug Knack daher das Großkrankenhaus – Zentrum der Aufgaben im Bereich der sozialen Medizin – bzw. die Assistenzarztzeit vor. In Barmbek schuf Knack mit einer „Sozialärztlichen Auskunftsstelle“ mit angeschlossener Bibliothek hierfür erste Voraussetzungen; ihr Leiter wurde der Verwaltungsoberinspektor des Krankenhauses. Dieser entwickelte sich mit der Zeit zu einem Fachmann für Fragen der Sozialversicherung und verwandter Fachgebiete Die Ärzte des Krankenhauses Barmbek konnten und sollten diesen Fachmann bei allen diesbezüglichen Fragen zu Rate ziehen, vor allem beim Verfassen der ärztlichen Gutachten, deren Qualität aufgrund mangelnder Kenntnisse der Ärzte – so Knack – zu wünschen übrig ließ. Zusätzlich wurden Unterrichtskurse bzw. Vorträge zu Fragen der Sozialmedizin angeboten.[105] Diese hatten unter Knacks Leitung eine starke Wissenschaftsorientierung; bei Reye, seinem Nachfolger, der die Kurse weiterführte, degenerierten sie zur allgemeinen Belehrung von Praktikern auf populärem Niveau.

Ein großes Problem in Hamburger Krankenhäusern war die Differenzierung zwischen Schwesternschaft und Pflegepersonal. Die Schwestern, die vom 1895 gegründeten Erika-Verein ausgebildet und beschäftigt wurden, waren nur im mittelbaren Staatsdienst, hatten pro Tag eine Stunde länger zu arbeiten und wohnten im Schwesternheim, also eigentlich im Krankenhaus. In der Mehrzahl waren diese Schwestern von bürgerlicher Herkunft. Da es immer nur eine kleine Anzahl ausgebildeter Schwestern gab, wurden zusätzlich zu diesen Hilfskräfte, sogenannte Pfleger und Pflegerinnen, eingestellt, die eine praktische Unterweisung seitens der Schwestern erhielten und schließlich – die männlichen Kräfte schon vor 1914, die weiblichen erst ab 1919 – auch in Lehrgängen ausgebildet wurden.[106] Das Pflegepersonal, das eher aus Arbeiterkreisen kam und fast vollständig in der ADGB-Gewerkschaft „Verband der Gemeinde- und Staatsarbeiter“ organisiert war, forderte vor allem eine gleiche Ausbildung, gleiche Arbeit und gleiche Achtung für Schwestern und Pflegepersonal.[107] Mit der ab 1.1. 1930 gültigen „Neuregelung des Pflegerinnenberufs“ hießen alle geprüften Pflegekräfte „Schwestern“, die ungeprüften „Hilfsschwestern“.[108] Offensichtlich kam es zwischen Schwestern und Pflegepersonal immer wieder zu Reibereien, da die Schwestern sich nicht nur als die besser ausgebildeten Kräfte, sondern auch als vorgesetzt und weisungsbefugt ansahen und nicht selten das Pflegepersonal „ad libitum“, wie Knack sich ausdrückte, durch die Gegend schickten.[109]

Knack hatte im AK Barmbek schon 1924 den Versuch gestartet, die Arbeitsgebiete von Pflegepersonal und Schwestern zu trennen, indem er Stationen schuf, in denen nur Pflegekräfte arbeiteten. Seiner Erfahrung nach funktionierte ein reibungsloses Nebeneinanderarbeiten von Schwestern und Pflegerinnen kaum. Eine vollständige räumliche Trennung von Schwestern und Pflegepersonal war auch die Forderung des Angestelltenrates des AK St. Georg. Knack wies auf die guten Erfahrungen mit den Pflegekräften im AK Barmbek hin, diese seien keineswegs weniger qualifiziert als die Schwestern. Einige Ärzte – so beispielsweise Hahn – teilten diese Auffassung, wiesen aber daraufhin, dass die Schwestern aufgrund ihrer Herkunft in der Regel kultivierter und gebildeter seien, sie seien engagierter, weil mit ihrem Beruf ideell verbunden, außerdem seien sie billiger, da sie eine Stunde länger pro Tag arbeiteten und im Notfall eher abrufbar, da sie im Krankenhaus wohnten.[110] Knack, der sich für die völlige Gleichstellung des Pflegepersonals mit den Schwestern aussprach, plädierte allerdings ebenfalls dafür, nur „charakterlich geeignete Personen“ zu der Ausbildung zuzulassen[111]und diese möglichst professionell zu gestalten. In der Ausbildung, wie auch in der von Knack ebenfalls befürworteten Fortbildung des Pflegepersonals sollten Ärzte eingesetzt werden – Knack war immer wieder bereit, selbst solche Vorträge zu gestalten.[112] Es sollte das beiderseitige Verständnis gefördert werden, da Pflegekräfte und Ärzte darauf angewiesen waren, zusammenzuarbeiten.

(7) 1928: Ein Rechenschaftsbericht, mit Stolz und Selbstbewusstsein präsentiert
(7) 1928: Ein Rechenschaftsbericht, mit Stolz
und Selbstbewusstsein präsentiert

Insgesamt, so lässt sich resümieren, leistete Knack im Krankenhausbereich eine wegweisende Reformarbeit. Die Tatsache, dass das Hamburger Krankenhauswesen heute [1990] weniger wegen struktureller Defizite, sondern wegen der in ihm Platz greifenden Sparmaßnahmen in der öffentlichen Kritik steht, also gewissermaßen prinzipiell als medizinische Versorgungsinstanz in breiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert wird, ist wohl nicht unwesentlich seinem konzeptionellen Ideenreichtum zu verdanken. Dass manche seiner Ideen, speziell die „sozialmedizinische Öffnung“ der Krankenhäuser, sich gerade wegen der Sparpolitik immer noch erst am Anfang ihrer Verwirklichung befinden, steht auf einem anderen Blatt.

Nach 1945: Ein schwacher Neubeginn

Wie sich die Hamburger Medizin in den Jahren zwischen 1933 und 1945 als faschistische Musterdisziplin formierte, ist schon eindringlich und in großer Breite dargelegt worden.[113] Im Blick auf das hier hervorgehobene Dilemma der Janusköpfigkeit der Weimarer Medizinreform ist nun interessant, dass „faschistische Medizin“ sich nicht allein darin erschöpfte, an vorrevolutionäre Traditio­nen anzuknüpfen bzw. den sozialärztlichen Errungenschaften der Weimarer Zeit diametral entgegenzuwirken (so z.B. im Bereich der Psychatrie, der Hygiene, der Gewerbemedizin, der Geschlechtskrankheiten, der Abtreibungsfrage). Vielmehr ist festzuhalten, dass „faschistische Medizin“ sich auch darin äußerte, dass sie viele Elemente des linken medizinischen Forderungskataloges übernahm, mit anderer Funktion versah und mit der grausamen Konsequenz moderner Staatlichkeit erst wirklich ins Leben setzte (so z.B. die Eugenik-Konzeption in Gestalt der „Rassehygiene“; nicht zu vergessen ferner die Verwirklichung einer umfassenden und mit Zwangsmaßnahmen bewehrten Befürsorgung). Sogar an der Homöopathie und der Naturheilkunde fanden die Nazis Gefallen; die Einrichtung einer entsprechenden Abteilung in Barmbek, ein Steckenpferd des NSDAP-Innensenators Richter, konnte von Reye, dem das Projekt gänzlich suspekt war, nur mit äußerster Mühe verschleppt und zu Fall gebracht werden.[114]

Insofern stand die Hamburger Linke bei ihrer Machtübernahme 1945 nicht nur vor einem durch faschistische Maßnahmen weitgehend unmenschlich agierenden Gesundheitssystem, sondern zu einem gewissen Anteil auch vor der schrecklichen Verfremdung ihrer eigenen Ideale. Ihre gesundheitspolitischen Anstrengungen nach dem Kriege bieten daher generell weniger das Bild einer entschlossenen strategischen Neugestaltung, sondern eher das eines vorsichtigen, technokratischen Krisen-Managements zur Wiedergewinnung des status quo ante von 1933.

Die Maßnahmen der Gesundheitspolitiker konzentrierten sich dabei in der Hauptsache auf drei Ziele:

1. Der Wiederaufbau der öffentlichen medizinischen Versorgung unter dem Gesichtspunkt der Notlagen-Bekämpfung.

In den ersten drei Jahren nach der Befreiung ging es der Gesundheitsverwaltung – zunächst unter der Schirmherrschaft der Engländer, dann des kommunistischen Gesundheitssenators Fiete Dettmann – um die Bewältigung einer akuten Krisensituation. Wichtig war zum einen die Instandsetzung der weitgehend durch Bombentreffer zerstörten Krankenhäuser, ferner die Bekämpfung der spezifischen gesundheitlichen Gefahren der Nachkriegssituation: TBC, Geschlechtskrankheiten, Unterernährung, Lebensmittelvergiftungen, Typhus/ Paratyphus etc. Die Situation war in vielem der Lage nach 1918 vergleichbar, ein Anknüpfen an den damaligen Erfahrungen und Konzepten lag nahe. Die seinerzeit von Knack durchgesetzte Zentralisierung und Effektivierung der öffentlichen Gesundheitsverwaltung galt den Verantwortlichen daher als Geschenk des Himmels. Eine kritische Durchleuchtung ihrer Strukturmerkmale im Lichte der Erfahrungen des Faschismus fand nicht statt.[115] Die Verbrechen der faschistischen Medizin reduzierten sich, wenn sie überhaupt erwogen wurden, zu Verbrechen faschistischer Mediziner.

2. Die Besetzung der medizinischen Kommandohöhen durch linke Ärzte

Eine durchgreifende Entnazifizierung unter den hamburgischen Ärzten und Ordinarien wäre auch bei einer solchen Bewusstseinslage eine wichtige Maßnahme gewesen. Erste Versuche in dieser Richtung wurden von dem schon im Juni 1945 von den britischen Besatzern eingesetzten ersten Leiter der Gesundheitsbehörde, Prof. Rudolf Degwitz, auch durchaus unternommen.[116] Zu einer radikalen Abrechnung kam es allerdings nicht. Die Motive hierfür waren vielfältiger Natur; sie können an dieser Stelle nicht näher verfolgt werden.[117]

Dass diese Nachsichtigkeit von den Gesundheitssenatoren (bis 1947 Dettmann, dann der Sozialdemokrat Schmedemann) zumindest für problematisch erachtet wurde, zeigen ihre Bemühungen, wenigstens die Spitze der ärztlichen Hierarchie adäquat zu besetzen. 1947, als Degwitz in die amerikanische Pharmaindustrie wechselte, wurde der ausgewiesen linke Arzt Dr. Karl Eskuchen an seinen Platz gestellt.[118] Als Eskuchen Ende 1848 erkrankte, wurde Knack geholt;[119] zugleich wurde aus dem „Leiter“ der Gesundheitsbehörde wieder der „Präsident“, und zwar mit jenen weitergehenden Vollmachten, die er in der Weimarer Zeit schon besessen hatte.[120] Nach Knacks Ausscheiden im April 1952 wiederum wurde Dr. Kurt Glaser an diese Stelle gesetzt, auch er ein bekannter sozialistischer Ärztefunktionär.[121]

Mit Eskuchen, Knack und Glaser hatte man gewissermaßen die bedeutendsten nicht-berlinischen Führungskräfte des alten VSÄ nach Hamburg geholt. Sie hatten schon vor 1933 als sozialdemokratische Untergruppierung im Vorstand dieser überparteilichen Organisation eng zusammengearbeitet.[122]

3. Noch einmal: Versuch einer Verstaatlichung der gesamten medizinischen Versorgung

Inzwischen waren die medizinischen Notlagen der unmittelbaren Nachkriegsperiode weitgehend behoben. Indem nun nicht mehr nur reagiert, sondern auch agiert werden konnte, wuchs die Bedeutung strategischer Konzepte für den Gesundheitsbereich. Von Degwitz, Eskuchen und Knack waren in dieser Hinsicht nur wenige Impulse ausgegangen; Glaser hingegen trat schon bei seiner Amtsübernahme mit recht klaren Vorstellungen an die Öffentlichkeit. Seiner Auffassung nach stellte sich nun wieder die Frage der Verstaatlichung der medizinischen Versorgung; wenn er es auch nicht kopieren wollte, so sympathisierte er doch stark mit dem englischen Modell der staatlichen Gesundheitsfürsorge, das den Gesundheitsdienst aus dem Steueraufkommen der Allgemeinheit finanziert, um ihn für die Individuen kostenfrei zu halten. Anstelle der englischen Variante, durch staatliche Bezahlung vertraglich assoziierter Ärzte die Verstaatlichung auch auf die niedergelassenen Ärzte ausgreifen zu lassen, fasste Glaser allerdings eine andere strategische Weichenstellung ins Auge: den fortschreitenden Ausbau des Krankenhauswesens. In seiner Vorstellung war das Modell der Ambulatorien und Polikliniken als Konkurrenz und schließlich Ersatz des freien Ärztewesens offenbar noch nicht ganz verschwunden.[123]

Hiermit aber bewegte sich Glaser schon in utopischen Regionen. Denn zum einen strebten seine politischen Gestaltungschancen gegen Null, nachdem schon ab November 1953 mit dem „Hamburg-Block“ diejenigen Kräfte regierten, die sich die Verteidigung des freien Ärztewesens auf die Fahnen geschrieben hatten.[124] Mit dem bundesweiten Kassenarztgesetz von 1955, in dem den freien Ärzten das Monopol der ambulanten Krankenversorgung zugesprochen wurde, war dann die „offene“ Periode gesundheitspolitischer Gestaltung nach 1945 endgültig beendet.[125]

Zum anderen stand Glaser mit seiner Auffassung bereits außerhalb der sozialdemokratischen Programmdebatte. Schon in den ersten programmatischen Aussagen der SPD zur Gesundheitspolitik nach 1945 war von Sozialisierung, Verstaatlichung etc. keine Rede mehr gewesen. Die Tendenz der Verdrängung dieses Problems, schon nach 1918 spürbar und in den gesundheitspolitischen Leitsätzen des Görlitzer Parteitages 1925 zu einem unrühmlichen Höhepunkt getrieben, setzte sich ungebrochen fort. Lediglich eine „Beseitigung des reinen Profitstrebens“ bei Apothekern und Pharmakonzernen wagte man anzumahnen, wobei völlig unklar blieb, wie dies geschehen solle. Ab Mitte der 1950er Jahre gewann dann das Einkommensinteresse der niedergelassenen Ärzte in der Programmdebatte eine ausschlaggebende Bedeutung. Jener in der Öffentlichkeit ebenso lautstarken wie angesehenen Gruppe, so war auf Parteitagen zu hören, könne die Sozialdemokratie nicht als Feind gegenübertreten – ihr müsse vielmehr etwas geboten werden. Indem nun wesentliche Forderungen ärztlicher Standes- und Einkommenspolitik einfach als Programmpunkte übernommen wurden, war der Ambulatoriumsgedanke nicht mehr nur allein verdrängt, ihm war nun logisch die Grundlage entzogen. Zudem hatte sich jetzt die sozialdemokratische Gesundheitspolitik einen völlig neuen archimedischen Punkt konstruiert: Das freie Ärztewesen wurde zur conditio sine qua non, und konnte durch Forderungen nach Ausbau der Krankenhäuser und Verbesserung des Versicherungsschutzes nur noch flankiert werden.[126]

Die niedergelassenen Ärzte hatten sich also nicht nur behauptet (ihre Stellung gestaltete sich summa summarum besser als in der Weimarer Republik und nur unwesentlich schlechter als im Faschismus), sondern auch für eine immer weitergehende Interessenspolitik die gesundheitspolitische Weihe erhalten. Wie sehr dies sowohl eine problematische Kostenentwicklung im Gesundheitswesen als auch die Herausbildung eines bestimmten, keineswegs nur positiven Medizintyps beförderte, war einleitend angedeutet worden.

Es ist deutlich geworden: Jene zwei Wege humaner Gesundheitspolitik, die Walter Fließ 1921 noch recht naiv propagiert hatte, die totale Liberalisierung einerseits und die totale Verstaatlichung andererseits, bergen jeweils für sich genommen nicht unerhebliche Gefahren. Wie etwa kann man Liberalität in der medizinischen Versorgung gewährleisten, ohne Profitstreben zu erwecken und Klassenmedizin zu etablieren? Und wie etwa lässt sich demokratische Kontrolle über das Gesundheitswesen gewinnen, ohne dass es zu schulmedizinischer Verengung, zu bevormundend-gewalttätiger Befürsorgung und zum Diktat der Sparpolitik kommt?

Die adäquate Annäherung an diese Problemkreise ist ohne Zweifel durch ein spezifisch deutsches Dilemma behindert. Die faschistische Medizin wirkt nicht nur in direkter Weise nach, als noch immer nicht abgeschüttelte Tradition, sondern auch indirekt: Uns fehlt die gesellschaftspolitische Kompetenz, die in den dreißiger und vierziger Jahren aus den positiven Ansätzen der zwanziger Jahre hätte entstehen können. Was sich nach 1945 herausbildete, führte entweder hinter erreichte Standards zurück (BRD) oder war waghalsiger Entwurf auf allzu schwankendem Grund (DDR).[127]Bevor ein strategisches Konzept humaner Gesundheitspolitik sich programmatisch abzuzeichnen beginnt, werden wohl noch manche historische und international vergleichende Studien zu erstellen sein.

 

 

Anmerkungen

[1] Protokoll über die Verhandlungen des Parteitags der Sozialdemokratischen Par­tei Deutschlands, abgehalten in Kassel v. 10. bis 16. Oktober 1920, Ber­lin/Bonn-Bad Godesberg 1973, S.214.

[2] Vgl. Michael Krausz: „Nichts bleibt so wie es war.“ Gesundheitswesen und Ge­werkschaften im gesellschaftlichen Umbruch, in: Fritzsch, R./Liersch, H. (Hg): Zukunft des öffentlichen Dienstes, Hamburg 1989, S.135-146.

[3] Vgl. Beck, W./Deppe, H.U./Jäckle, R./Schagen, U. (Hg): Ärzteopposition, Neckarsulm-München 1987.

[4] Vgl. die diesbezüglichen Leerstellen im Programm des „Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VDÄÄ)“ vom November 1986, Frankfurt/M o.J. Das Programm findet sich dargestellt und kritisiert bei Schillhabel, Uwe: Sozialistische Ärztevereine in Deutschland von 1913 bis 1933, Münster 1990. Deutlicher sind die gesundheitspolitischen Passagen im neuen „Sozialpolitischen Programm des DGB“ (in: Soziale Sicherheit 1988/Nr.11): Hier wird eine „Verzahnung von ambu­lanter und stationärer Diagnostik und Therapie“ entworfen, und zwar über ein Stufenmodell von allgemeinärztlicher Primärversorgung (z.B. durch Gruppenpraxen mit integrierter sozialpädagogischer und psychologischer Kompetenz) über zentrale Ambulanzen und vor- und teilstationäre Einrichtungen bis zu den herkömmlichen Krankenhäusern. Als Steuerungshebel für einen solchen gesundheitspolitischen Umschwung werden die staatlichen Organe und die Vergütungssysteme der Kassen gegenüber den niedergelassenen Ärzten ins Auge gefasst.

[5] Vgl. den Artikel „Kampf um günstige Startpositionen in der DDR“ in: „Die Neue Ärztliche“ v. 18.6.1990.

[6] Diese und die weiteren Angaben zur Person sind, soweit nicht gesondert ausgewiesen, den folgenden Akten entnommen: Medizinalkollegium/Gesundheitsverwaltung, Personalakte Dr. Knack (StAH, 352-10-253); Staatliche Pressestelle/Gesundheitsbehörde I (StAH, II 500-1).

[7] Knack wurde Mitglied des Kriegsversorgungsamtes, des Universitätsausschusses der Bürgerschaft, der Hochschulbehörde, der Oberschulbehörde und beratender Arzt des Arbeitsamtes. Ferner war er zeitweilig Vorsitzender des Werkbundes geistiger Arbeiter und des Eingabenausschusses der Bürgerschaft (Stenographische Berichte über die Sitzungen der Bürgerschaft zu Hamburg im Jahre 1920, S.494 f.; 1921, S.106; 1922, S.495, 1119; 1927, S.536; 1930, S.246).

[8] Medizinalkollegium/Reorganisation der Medizinalbehörde (StAH, I B 16).

[9] Das Allgemeine Krankenhaus Barmbek in Hamburg, Hamburg 1924, S.72 f.

[10] Vgl. Tennstedt, Florian: Arbeiterbewegung und Familiengeschichte bei Eduard Bernstein und Ignaz Zadek, in: IWK 1982, S.451-481. Der SÄV war eine Organisa­tion SPD-naher Ärzte; er geriet Anfang der 1920 er Jahre unter die Räder der Fraktionsauseinandersetzungen zwischen SPD, USPD und KPD und schmolz auf die der SPD assoziierte „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Ärzte (ASÄ)“ zusammen. Der Anspruch einer überparteilichen linken Ärzteorganisation wurde 1924 durch den neugegründeten „Verein sozialistischer Ärzte (VSÄ)“ wieder auf­genommen; Schillhabel, Ärztevereine, S.13-46.

[11] Sten. Berichte 1919, S.248 f., 1042 ff.; 1920, S.293, 990 f.; 1922, S.860.

[12] Vgl. Senat/Ernennung Dr. Knack zum ärztlichen Direktor des AK Barmbek (StAH, 111-1, Cl. VII Lit. Qb Nr.8 Vol.104 Fasc.3 Inv.14), Zeitungsausschnittsammlung Knack (StAH, A 760), Staatliche Pressestelle/Pers. Angelegenheiten der Ärzte (StAH, 135-1, I-IV, Nr.3019).

[13] Labisch, Alfons: Neue Quellen zum gesundheitspolitischen Programm der MSPD von 1920/22, in: IWK 1980, S.231-247.

[14] Der VSÄ war eine überparteiliche Organisation, die im wesentlichen Ärzte kommunistischer und sozialdemokratischer Orientierung vereinigte; Anfang der 1930 er Jahre reichte ihr Mitgliederspektrum von der SPD über SAP und KPO bis zur KPD und Parteilosen bzw. Ausgetretenen; Schillhabel, Ärztevereine, S.47-137.

[15] Knack-Quarck: Das Reichsgesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und seine praktische Durchführung, Berlin 1928.

[16] Staatliche Pressestelle, Personalia AK Barmbek (StAH, 135-1 Nr.3041).

[17]China hatte – ebenso wie die Sowjetunion – in den frühen 1930er Jahren namhafte Ärzte Westeuropas zu medizinischer Aufbauarbeit eingeladen (vgl. den Reisebericht des Wiener Anatomen Julius Tandler im Internationalen Ärztlichen Bulletin (IÄB) 1934, S.121 f.) Auch für Emigranten bot es relativ günstige Regelungen für die Niederlassung; 1934 waren allein 47 deutsche Ärzte namentlich bekannt, die dort praktizierten (IÄB 1934, S.169). Als sich der Faschismus in Europa ausbreitete, versuchte v.a. die englische Organisation „China Medical Aid Committee“, speziell die ärztliche Emigration auf direktem Wege nach China zu leiten (IÄB 1939, S.14 f.).

[18] Hamburger Echo v. 23.4.1949.

[19] Staatliche Pressestelle/Gesundheitsverwaltung (StAH, 135-1 I M I a).

[20] Ludwig Preller: Sozialpolitik in der Weimarer Republik, Kronberg/Taunus 1978; dieses Werk erschien erstmals 1949.

[21] Tennstedt weist im Nachwort zur späteren Ausgabe von Prellers Werk daraufhin, dass dieser selbst seine Definition von Sozialpolitik in dem 1970 erschienenen Lehrbuch veränderte und auch Gesundheitspolitik dazu rechnete; Preller 1978, S. 563.

[22] Arbeitsgruppe Sozialpolitik: Sozialpolitische Regulierung und die Normalisie­rung des Arbeitsbürgers, in: neue praxis 1986, H. 1, S. 1-21, hier: S. 14.

[23] Diesen Zusammenhang führen die Mitarbeiter des Forschungsschwerpunktes Reproduktionsrisiken, soziale Bewegungen und Sozialpolitik der Universität Bremen aus, Arbeitsgruppe Sozialpolitik 1986, S. 14-17.

[24] Ähnlich interpretiert auch Deppe in einem kurzen Überblick über die „Geschichte der Gesundheitspolitik“ die Zeit der Weimarer Republik, in dem er seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Auseinandersetzungen zwischen Ärzten und Kassen richtet; Hans-Ulrich Deppe: Krankheit ist ohne Politik nicht heilbar. Zur Kritik der Gesundheitspolitik, Ffm 1987, S. 21-27.

[25] Protokoll Parteitag SPD 1920, Ber­lin/Bonn-Bad Godesberg 1973, S. 214.

[26] Sten. Berichte 1921, S. 1349.

[27] Sten. Berichte 1919, S. 1214.

[28] Gesetzessammlung der Freien und Hansestadt Hamburg. Amtliche Ausgabe, 57. Band, Jg. 1920, Hamburg o.J., S. I 78-I 86.

[29] Hamburgische Gesetze und Verordnungen, hg. von Dr. Albert Wulff, Hamburg 1928/29, S.699-708.

[30] G.H. Sieveking: Die Behörde für das Gesundheitswesen in Hamburg, in: DMW 1923, S. 1473.

[31] Protokoll SPD Parteitag 1920, S. 214.

[32] Protokoll SPD Parteitag 1920, S.214; 1925, S. 202; 1929, S. 188.

[33] Vgl. zur Auseinandersetzung um die Einrichtung eines Reichsgesundheitsministeriums Kurt Nemitz: Die Bemühungen zur Schaffung eines Reichsgesundheitsministeriums in der ersten Phase der Weimarer Republik 1918-1922, in: Medizinhistorisches Journal 1981, S.424-445.

[34] Alfred Grotjahn: Ab- und Umbau der Gesundheitsfürsorge in Reich, Ländern und Kommunalverwaltungen, in: Soziale Praxis 1924, Sp. 142-144, hier: Sp. 142.

[35] Sten. Berichte 1927, S. 677.

[36] Sten. Berichte 1919, S. 1042 f.

[37] Sten. Berichte 1927, S. 677.

[38] Siehe den Bericht in der zur Übersee-Woche vom 17.- 27. August 1922 herausgegeben Broschüre „Die Behörde für das Arbeitsamt Hamburg, S. 18/19 (StAH Berufsschulbehörde II 361-8 II F III b3c); vgl. auch die Einleitung im dem Aufsatz Knacks: Die Ursachen beschränkter Arbeitsfähigkeit auf dem gegenwärtigen Arbeitsmarkte, in: Reichsarbeitsblatt, Nichtamtlicher Teil 1925, Nr. 2, S. 34-37 und Andreas V. Knack: Die Arbeitsvermittlung nach gesundheitlichen Gesichtspunkten, in: Soziale Praxis 1924, Sp. 169 ff.

[39] Max Quarck: Gegen Prostitution und Geschlechtskrankheiten, Berlin 1921, S. 8/9. Zur Problematik der statistischen Erhebung der Fälle von Geschlechtskrankheiten vgl. den Artikel „Geschlechtskrankheiten“ von A. Blaschko, in: A. Grotjahn/J. Kaup (Hrsg.): Handwörterbuch der sozialen Hygiene, Leipzig 1912, Bd. 1, S. 397-405.

[40] Abdruck der Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 10. März 1920 in: Quarck: Prostitution, S. 38-58, hier: S. 38.

[41] Groß-Hamburg im Kampfe gegen die Geschlechtskrankheiten und Bordelle. Von Dr. med. A.V. Knack, Hamburg 1921.

[42] Eine von Blaschko selbst aufgenommene Krankenkassenstatistik in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts hatte ergeben, dass der Anteil der Erkrankten unter Soldaten und Arbeitern eher niedrig war, während er am höchsten bei den von Blaschklo genannten „heimlichen Prostituierten“ und den Studenten lag. Seiner Ansicht nach waren die „besitzenden Klassen“ stärker betroffen, weil sie eine längere „voreheliche Junggesellenzeit“ hätten; Blaschko, Geschlechtskrankheiten, S. 400.

[43] Sten. Berichte 1921, S. 1041/1042.

[44] Sten. Berichte 1930, S. 382 ff.

[45] So Knack in einer Debatte über die Prophylaxe von Geschlechtskrankheiten zwischen dem Gesundheitsamt, Prof. Habermann (Eppendorf) und Knack, Delbanco, Haack (Barmbek) vom Oktober/November 1929, in: StAH AK Barmbek 352-8/5 Nr. 148, Geschlechtskrankenfürsorge.

[46] Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft im Jahre 1921, Hamburg 1922, S. 665.

[47] Siehe etwa Knacks Äußerungen auf dem Parteitag in Görlitz 1921; Protokoll Parteitag SPD 1921, S. 246-249.

[48] Das Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten (GBG) wurde am 18. 2. 1927 verabschiedet und trat am 1. 10. 1927 in Kraft.; Reichsgesetzblatt 1927 I, S. 59 ff.

[49] Vgl. dazu ausführlich Gerd Göckenjan: Kurieren und Staat machen. Gesundheit und Medizin in der bürgerlichen Welt, Ffm 19 85, S. 109-132; besonders zur Arbeit Pettenkofers S. 114/115.

[50] Vgl. Sten. Berichte 1927, S. 677. In England hatte man sich im I. Welt­krieg entschlossen, keine Meldepflicht bzw. Registrierung der Kranken einzuführen, da diese nicht mit Anonymität – als höchstem Gut – zu verbinden sei. Statt dessen wurden Polikliniken eingerichtet, die freiwillig aufgesucht werden konnten, und große Aufklärungskampagnen durchgeführt. Seit den 1920er Jahren wurden Sozialarbeiter eingestellt, die Kontaktpersonen Kranker überzeugen sollten, den damals üblichen Test (nach Wasermann) ebenfalls machen zu lassen. Während des 2. Weltkrieges wurde allerdings auch in Großbritannien eine Art Melde- und Behandlungszwang eingeführt; vgl. F.F. Cartwright: A Social History of Medicine, London/New York 1988 , S. 118-120.

[51] Protokoll Parteitag SPD 1929, S. 188.

[52] Vgl. die Hinweise auf Löwenstein, Hirsch, teilweise auch Hodann und Stöcker bei Paul J. Weindling: Die Verbreitung rassenhygienischen/eugenischen Gedankengutes in bürgerlichen und sozialistischen Kreisen der Weimarer Republik, in: Medizinhistorisches Journal 1987, S. 352-368.

[53] Protokoll Parteitag SPD 1925, S. 201; vgl. auch Knacks Kritik an Grotjahn, der für das Parteiprogramm 1922 zum Komplex der Bevölkerungspolitik aus taktischen Gründen keine Aussage machen wollte, während Knack dieses für eine der wichtigsten Fragen hielt; A. Knack: Ein Aktionsprogramm zum Gesundheitswesen, in: Die Neue Zeit, 40. Jg. (1922), Bd. 2, S. 173-180.

[54] Zum Zusammenhang von Eugenik und Sozialismus vgl.: Michael Schwartz: Sozialismus und Eugenik, in: IWK 1989, S. 465-489.

[55] Protokoll Parteitag SPD 1922, S. 94.

[56] Sten. Berichte 1927, S. 750 ff.

[57] Sten. Berichte 1919, S. 1042.

[58] Sten. Berichte 1919, S. 1241.

[59] So formuliert im Abschnitt „Gesundheitswesen“ der Wahlkampfbroschüre der SPD: Sozialdemokratische Staats- und Gemeindepolitik in Hamburg unter der Verfas­sung von 1921, Hamburg 1924, S. 107 ff.

[60] Sten. Berichte 1919, S. 518. Welche Rolle auch heute noch das Persönlichkeitswahlrecht bei der Unterdrückung einer Opposition in den Ärztekammern spielt, verdeutlichen u.a. die Beiträge in dem oben zitierten Band „Ärzteopposition“, insbesondere Gine Elsners Darstellung der Auseinandersetzungen in der Bremer Bürgerschaft bei der Einführung des Verhältniswahlrechtes für die Bremer Ärztekammer; Gine Elsner: Kandidatur gegen den Präsidenten der Bundesärztekammer. Liste Gesundheit und die Ärztekammer Bremen, in: Beck u.a. (Hrsg.), Ärzteopposition, S. 217-224, hier: S. 220/221.

[61] Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft im Jahre 1923, Hamburg 1924, S.819-827. Vgl. dazu den Kommentar zur Ärzteordnung von 1927, die das Verhältniswahlrecht immer noch enthielt; Hamburgische Gesetze und Verordnungen, hg. von Dr. Albert Wulff, Bd.2, Hamburg 1928/29, S.714 f., 730.

[62] Sten. Berichte 1920, S. 438.

[63] Sten. Berichte 1921, S. 106 ff.

[64] Sten. Berichte 1921, S. 254.

[65] Sten. Berichte 1921, S. 177.

[66] Sten. Berichte 1919, S. 68.

[67] Sten. Berichte 1920, S. 991.

[68] Sten. Berichte 1920, S. 293.

[69] Sten. Berichte 1919, S. 518.

[70] Andreas V. Knack: Ein Aktionsprogramm zum Gesundheitswesen?, in: Die Neue Zeit, 40.Jg. 1922, 2. Bd, S.173-180, hier: S. 176.

[71] Protokoll Parteitag SPD 1929, S. 187.

[72] Sten. Berichte 1929, S. 562.

[73] Peukerts Geschichte der Sozialpädagogik im Kaiserreich und der Weimarer Republik führt beispielhaft vor, wie sich Sozialgeschichte unter einem veränderten Paradigma schreiben lässt: nicht mehr allein die Verbesserung sozialpolitischer Leistungen – die Modernisierung – steht im Vordergrund, sondern die Widersprüchlichkeit der Durchsetzung von Sozialstaatlichkeit, die „Dialektik der Aufklärung“; Detlev J. K. Peukert: Grenzen der Sozialdisziplinierung, Köln 1986, S. 15-33.

[74] Rudolf Joachim Christian Hahn (1863-1934) war Abkömmling einer westpreußischen Gutsbesitzerfamilie, der in jungen Jahren gleichermaßen als Arzt und als Gutsherr tätig war. 1891 wechselte er in den Hamburger Krankenhausdienst. Er wurde zunächst Assistent am Hafenkrankenhaus, dann in der Dermatologischen Abteilung des AK St. Georg, später Oberarzt an einer Erziehungsanstalt für Mädchen. Anschließend als Oberarzt wieder auf der Dermatologie in St. Georg tätig, übernahm er dort auch die Leitung der polizeilichen Abteilung für Geschlechtskranke. Diese Abteilung wurde 1913 in großem Stil in Barmbek eingerichtet, weswegen Hahn an die dortige Dermatologie wechselte. Hier wirkte er als Chef bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 1929. Hahn war Initiator der 1913 in Hamburg eingerichteten ersten deutschen Fürsorgestelle für Geschlechtskrankheiten, ferner führendes Mitglied der Ärztekammer (StAH, Dc1 601).

[75] AK Barmbek/Geschlechtskrankenfürsorge (StAH, 352-8/5, Nr.148).

[76] Walter Gustav Fließ (1857-?) hatte in Berlin das Gymnasium bis zur Obersekunda durchgemacht und anschließend den Apothekerberuf erlernt. Nach der vermutlich auf eigene Angaben Fließ‘ zurückgehenden Abgeordnetenkartei der Bürgerschaft (StAH, DCI 601) „studierte er dann in den USA Medizin und erhielt von der Science of Rochester (New Jersey) den Professorentitel. Er bildete sich dann in Privatkliniken in London, Paris und Kopenhagen weiter aus, war 3 Jahre Assistent bei einem Berliner Naturarzt und Leiter einer Heilanstalt für Epileptiker in Grünau bei Berlin und siedelte 1896 nach Hamburg über, wo er eine Heilanstalt gründete.“ In Berlin erfreute sich Fließ, wie die Berliner Polizei ihren Hamburger Kollegen auf Anfrage mitteilte, eines guten Rufs (StAH, Pol.Pol.331-3, S 5463). Seine Hamburger Heilanstalt war im Adressbuch als „Verkaufshaus hygienischer Artikel, Naturheilanstalt, elektrische Lichtbäder, Loh- und Kiefernadel-Dampfbäder, elektrische Vibrationsmassage, Heilmagnetismus, Suggestion, Kräuterkuren“ vermerkt und bestand bis 1933. Ob Fließ dann eines natürlichen Todes starb, ob er emigrierte oder ob er von den Nazis ver­schleppt wurde, liegt völlig im Dunkeln.

[77] Fließ bekam mehrfach Ärger mit der Polizei, weil er sich entgegen der eindeutigen Gesetzesvorschrift nicht als „Anwender von Naturheilverfahren“, sondern als „Naturheiler“ anpries. Inwieweit er sich Anfang des Jahrhunderts im Falle eines akuten Gebärmutterkrebses tatsächlich der fahrlässigen Verschleppung durch Nichteinschaltung des behandelnden Arztes schuldig gemacht hatte, wie die Staatsanwaltschaft ihm vorwarf, ist dagegen eine äußerst komplizierte Frage, und mag schon damals kaum zu beantworten gewesen sein. Jedenfalls musste Fließ wegen dieser Sache für drei Monate ins Gefängnis (StAH, Pol.Pol.331-3, S 5463).

[78] Aus der politischen Wirksamkeit Fließ‘ vor 1920 ist nur wenig bekannt. Die Polizei bemerkte noch im Jahre 1899, Fließ sei bisher nicht politisch hervorgetreten. Dass er seine populären Vorträge über Naturheilverfahren vornehmlich in Arbeiterkreisen und teilweise sogar in Gewerkschaftsversammlungen hielt, verfolgte sie allerdings mit Misstrauen (ebenda). Im sozialdemokratischen Hamburger Echo v. 2.8.1903 wird dann „der Genosse Walter Fließ“ mit dem Antrag an die Hamburger Mitgliederversammlung der SPD zitiert, „unsere Presse möge in Zukunft unsere Gegner nicht mehr bürgerliche Parteien nennen, weil auch die Sozialdemokratie sich sehr stark aus bürgerlichen Elementen rekrutiere.“ Dieser etwas doppelbödige Antrag wurde nicht abgestimmt, sondern an die „Preßkommission“ überwiesen.

[79] Sten. Berichte 1920, S.1384-1393.

[80] Sten. Berichte 1921, S.1777; 1922, S.496; 1923, S.579.

[81] Sten. Berichte 1920, S.797, 833, 1038; 1922, S.484, 312 f. Zur damaligen Quecksilber- und Arsentherapie vgl. Schäfer, J.: Die Therapie der Haut- und venerischen Krankheiten, Berlin 1921, S.394-422. Zur naturheilkundlichen Gegenposition vgl. ausführlich: Silber, Erwin: Salvarsan? Quecksilber? Naturheilbehandlung? Berlin 1927. Die Naturheilbewegung in Hamburg war in der Tat recht umfangreich. Es gab mehrere Vereine der Naturheilkundigen, z.T. mit Fließ als Vorstandsmitglied. Es gab ferner Naturheilvereine, die über den Mitgliedsbeitrag ihre „Naturärzte“ finanzierten. Fließ selbst war in dieser Weise angestellt, neben ihm etwa fünf weitere „Praktiker“ und nochmals etwa fünf approbierte Ärzte mit naturheilkundlichem Schwerpunkt. Seine eigene Anstalt hatte Fließ ebenfalls als eine Art Patientenverein organisiert, in dem die Mitglieder über ihren Mitgliedsbeitrag den Anspruch auf Sprechstunden und Rabatt im Verkaufsladen erwarben (Sten. Berichte 1920, S.1384-1394).

[82] Sten. Berichte 1920, S.757.

[83] Über die Motive dieses Schrittes ist nichts bekannt; vielleicht entfernte sich Fließ wegen des reichsweiten Parteiverbots nach dem Hamburger Aufstand 1923, vielleicht wegen der linksradikalen Wende im KPD-Bezirk Wasserkante bzw. in dessen Ortsgruppe Hamburg.

[84] Andreas V. Knack: Das Allgemeine Krankenhaus Barmbeck in Hamburg, Düsseldorf 1928, S. 5.

[85] Knack, Barmbeck,1928, S. 48.

[86] Knack, Barmbeck, 1928, S. 49.

[87] Knack, Barmbeck, 1928, S. 49/50.

[88] Anschlag betr. Krankenhausfürsorge in Barmbek vom 20.6.1924, in: StAH AK Barmbek 352-8/5 Nr.14.

[89] StAH AK Barmbek 352-8/5 Nr. 14.

[90] J. Schwalbe: Soziale Krankenhausfürsorge, in: DMW 1915, S. 1578-1580.

[91] Siehe die Statistik über Krankenhausfürsorgetätigkeit in verschiedenen Städten in: StAH AK Barmbek 352-8/5 Nr. 35.

[92] StAH AK Barmbek 352-8/5 Nr. 35.

[93] Anni Tullmann. Ergebnisse einer Erhebung über den Fürsorgedienst im Krankenhaus, in: Zeitschrift für das gesamte Krankenhauswesen. 1937, H. 9/10.

[94] So Knack in einem Gutachten zur Krankenhausbauweise im Kontext der Diskussion um den Bau eines 4. Allgemeinen Krankenhauses in Hamburg vom 11. Januar 1928, in: StAH AK Barmbek 352-8/5 Nr. 8.

[95] Knack, Barmbeck 1928, S.16.

[96] Knack gehörte, wie er selbst sagte, eher zur Richtung der Naturheilkunde und verordne insofern wenig Medikamente; Knack in einer Sitzung am 19.11.1929 gegenüber Senator Eisenbarth, in der dieser eine rigorose Sparpolitik durchzusetzen versuchte; StAH AK Barmbek 352-8/5 Nr. 37.

[97] Protokoll der Sitzung der ärztlichen Direktoren und Verwaltungsdirektoren der großen Krankenhäuser am 19.11.1929, in: StAH SK Barmbek 352-8/5 Nr. 37.

[98] Sten. Berichte 1921, S. 953.

[99] StAH AK Barmbek 352-8/5 Nr. 8.

[100] Knack, Barmbek, 1928, S. 41.

[101] Andreas Knack: Leibesübungen als Therapie im Krankenhause, in: Klinische Wochenschrift, 1927, S. 1526/1257, hier: S. 1527.

[102] Ebd.

[103] Das Allgemeine Krankenhaus Barmbeck in Hamburg, Hamburg 1924, S. 70.

[104] Andras Knack: Die sozialärztliche Ausbildung in Krankenanstalten, in: DMW 1925, S. 614- 616, hier: S. 614.

[105] Es fanden regelmäßige Fortbildungskurse für Oberärzte, praktische Ärzte und Medizinalpraktikanten statt; StAH AK Barmbek 352-8/5 Nr. 72.

[106] Bericht des Ärztlichen Direktors des Allgemeinen Krankenhauses St. Georg, Prof. Dr. Deneke vom 26. Juni 1923, StAH AK Barmbek 352-8/5 Nr. 80.

[107] Sonderbeilage zum Hamburger Echo vom 17. Juni 1925 „Die freie Gewerkschaft“.

[108] Hamburger Nachrichten v. 5. 12. 1929.

[109] So Knack in einer Besprechung im Gesundheitsamt am 3. Juni 1925, deren Thema die Trennung der Arbeitsgebiete von Schwestern und Pflegern war; StAH AK Barmbek 352-8/5 Nr. 80.

[110] StAH AK Barmbek 352-8/5 Nr. 80.

[111] Knack berichtete am 24. Februar 1927 noch einmal über den gelungenen Versuch einer Trennung zwischen arbeitenden Schwestern und Pflegekräften; anschließend forderte er, nur solche Personen zur Ausbildung zuzulassen, die zu selbständiger Arbeit fähig seien und den Abschluss der I. (der obersten) Volksschulkasse hätten; StAH AK Barmbek 352-8/5 Nr. 80.

[112] Knack beteiligte sich an diesen Kursen etwa wie im Winter 1926/27 mit Vortrag zum Thema „Die Entwicklung des deutschen Krankenhauswesens“, StAH AK Barmbek 352-8/5 Nr. 76.

[113] Ebbinghaus, A./Kaupen-Haas, H./Roth, K.H.: Heilen und Vernichten im Mustergau Hamburg, Hamburg 1984.

[114] AK Barmbek, Erwägung einer homöopathischen Abteilung (StAH, 352-8/5, Nr.9). Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, das Reye sich dies nach 1945 als „Widerstand“ aufs Konto schrieb.

[115] Vgl. die Darstellung der Nachkriegsprobleme aus der Sicht der Gesundheitsbehörde: Das hamburgische öffentliche Gesundheitswesen, Hamburg 1953; Gesund leben in Hamburg, Hamburg 1963.

[116] Degwitz war in jüngeren Jahren völkischer Nationalist gewesen; er beteiligte sich als Freikorpskämpfer an der Niederschlagung der Münchener Räterepublik und stand schon 1923 an der Seite Hitlers. Seit 1932 amtierte er als Direktor des Kinderkrankenhauses in Eppendorf und als Ordinarius für Kinderheilkunde. Nach 1933 ging er in wachsende Distanz zum Faschismus; seit Anfang der 1940er Jahre trat er in Verbindung zum studentischen Widerstand der Weißen Rose. 1943 wurde er denunziert, verurteilt und ins Zuchthaus Celle eingeliefert. 1945 konnte er sich selbst befreien und kehrte kurz vor der Kapitulation nach Hamburg zurück (vgl. die ausführliche Würdigung Degwitz‘ bei Hochmuth, U./Meyer, G.: Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand, Frankfurt/M 1980, S.292-305).

[117] Vgl. hierzu Ebbinghaus, Heilen, S.134 f.

[118] Eskuchen war bis 1933 ärztlicher Direktor des staatlichen Krankenstiftes in Zwickau. Als „Sozialist und Vorkämpfer der Friedensbewegung“, wie das Hamburger Echo v. 14.2.1947 ihn kennzeichnete, wurde er des Amtes enthoben. Schon in der Weimarer Zeit Funktionär des VSÄ, war er 1947 Vorstandsmitglied der „Arbeitsgemeinschaft demokratischer und sozialistischer Ärzte“.

[119] Staatliche Pressestelle, Gesundheitsverwaltung (StAH, 135-1, IMIa).

[120] Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft 1949, S.87, 134; vgl. Hamburger Freie Presse v. 12.3.1952.

[121] Glaser wirkte bis 1934 als niedergelassener Spezialist für Hautkrankheiten in Chemnitz. Dann entzog er sich der faschistischen Polizeiaufsicht, der er als VSÄ-Aktivist unterworfen war, durch Flucht zunächst nach Paris, 1940 dann nach Marseille, schließlich nach New York. Während seiner gesamten Emigrationszeit war Glaser in deutschen politischen Exilorganisationen tätig. 1948 wurde er von der SPD nach Deutschland zurückgerufen und als leitender Regierungsdirektor dem Schleswig-Holsteinischen Gesundheitswesen vorangestellt (Staatliche Pressestelle, Gesundheitsbehörde; StAH, 135-1 VI, II 500-1).

[122] Vgl. Schillhabel, Ärztevereine, S.48.

[123] Hamburger Abendblatt v. 23.4.1952.

[124] Der „Hamburg-Block“ war ein Bündnis von CDU, FDP, DP und BHE; von der Bürgerschaftswahl im November 1953 bis zur nächsten Wahl im November 1957 hatte es für ein einziges Mal in der Hamburger Nachkriegsgeschichte die „strukturelle Mehrheit“ der SPD brechen können.

[125] Berger, Michael: Sozialversicherungsreform und Kassenarztrecht, in: Entwicklung und Struktur des Gesundheitswesens, Argument Sonderband 4, S.73 ff.

[126] Vgl. Kettler, Helmut: Die Entwicklung der gesundheitspolitischen Vorstellungen der deutschen Sozialdemokratie, Kiel 1978, S.51-62.

[127] Dass es unterhalb der Systemrevolution im sozialistischen Gesundheitswesen eine verdeckte Kontinuität unguter ärztlicher Traditionen gab, sei hier nur angemerkt. Offenbar wurde die Beseitigung des freien Ärztewesens in der DDR damit erkauft, dass sich Standesdenken und undemokratische Verkehrsformen in der ärztlichen Hierarchie, in der medizinischen Ausbildung und im Verhältnis zu den Patienten reproduzieren konnten.

 

A.V.Knack: Auswahlbibliographie

  • Geburt und Gebärmutterkrebs. Ein Beitrag zur Aethiologie, Prognose und Prophylaxe, München 1913 /Dissertation/
  • Über Briefdesinfektion, in: Zeitschrift für Krankenanstalten 1914, Nr. 28
  • Insektensichere Schutzkleidung, in: Deutsche Medizinische Wochen­schrift 1915, Nr. 31
  • Über das Fleckfieber, in: Verhandlungen der außerordentlichen Ta­gung des deutschen Kongresses für Innere Medizin in Warschau am 1.u.2. Mai 1916
  • Die Begutachtung von Nierenkrankheiten auf Grund der Kriegserfah­rungen, in: Vierteljahresschrift für gerichtliche Medizin und öf­fentliches Sanitätswesen Bd.60, T. 2
  • Die deutsche Urologie im Weltkriege, in: Zeitschrift für Urologie 1915-1919
  • Groß-Hamburg im Kampfe gegen die Geschlechtskrankheiten, Hamburg 1921 /Hausarbeit zur Physikatsprüfung, überarb. Fassung/
  • Ein Aktionsprogramm zum Gesundheitswesen? In: Die Neue Zeit 1921/22, Bd. 2
  • Die Arbeitsvermittlung nach gesundheitlichen Gesichtspunkten, in: Soziale Praxis und Archiv für Volkswohlfahrt 1924, Nr. 9
  • Die Ursachen beschränkter Arbeitsfähigkeit auf dem gegenwärtigen Arbeitsmarkte, in: Reichsarbeitsblatt 1925, Nr. 2
  • Die soziale Krankenhausfürsorge, in: Hamburger Echo v. 13.6.1925
  • Die sozialärztliche Ausbildung in Krankenanstalten, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 1925, Nr. 15
  • Soziale Fürsorge im Krankenhaus, in: Blätter des deutschen Roten Kreuzes 1926, Nr.8
  • Leibesübungen als Therapie im Krankenhause, in: Klinische Wochen­schrift 1927, Nr. 32
  • Das Allgemeine Krankenhaus Barmbek, Hamburg 1928
  • Das Reichsgesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und seine praktische Durchführung, Berlin 1928 /mit Max Quarck/
  • Der bürgerliche und der sozialistische Arzt, in: Der Kassenarzt 1931, Nr. 4
  • Erfahrungen mit der Flecktyphus-Schutzimpfung nach Weigl im nördlichen China, in: Bosslet, Karl Maria (Hg): Katholische missionsärztliche Fürsorge, Würzburg 1937
  • Die Pest droht, in: Bosslet, Karl Maria (Hg): Katholische missionsärztliche Fürsorge, Würzburg 1941
  • Die Empfängnisverhütung durch den praktischen Arzt, methodisch und kritisch gesehen, in: ÄM, Heft 23 (39), 1956

Nachtrag

Eine wichtige Aufarbeitung der sozialdemokratischen Eugenik leistete Mitte der 1990er Jahre der Aufsatz

Michael Schwartz: „Proletarier“ und „Lumpen“. Sozialistische Ursprünge eugenischen Denkens, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Heft 4 (1994)

Zwei Publikationen sind es vor allem, die sich in neuer Zeit ausführlich auch mit der Person und dem Wirken Knacks befasst haben:

Christine Pieper: Die Sozialstruktur der Chefärzte des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Barmbek 1913 bis 1945. Ein Beitrag zur kollektivbiografischen Forschung Münster 2003

Michaela Freund-Widder: Frauen unter Kontrolle: Prostitution und ihre staatliche Bekämpfung in Hamburg vom Ende des Kaiserreichs bis zu den Anfängen der Bundesrepublik, Münster 2003

Pieper verdanken wir darüber hinaus eine sorgfältige biographische Skizze über Knack mit Informationen über seine erste und seine zweite Ehefrau, die Sozialdemokratin Olga Brandt-Knack und die Kommunistin Edith Hommes:

Hamburgische Biographie, Personenlexikon, hg. von Franklin Kopitzsch und Dirk Brietzke, Bd 2, Göttingen 2003

Hommes, die wie Knack Mitglied der Hamburger Bürgerschaft war und mit ihm gemeinsam ins Exil ging, starb 1935 in China. Ihr gilt auch eine biographische Skizze in der Publikation

Hermann Weber: Deutsche Kommunisten, Berlin 2004

Olga Brandt-Knack wird in der Publikation 

Inge Grolle und Rita Bake: „Ich habe Jonglieren mit drei Bällen geübt.“ Frauen in der Hamburgischen Bürgerschaft von 1946 bis 1993, Hamburg 1995

und auf der Website http://www.garten-der-frauen.de/sonst.html gewürdigt.

Ergänzungen erwünscht!

 (8) Olga Brandt-Knack
(8) Olga Brandt-Knack

Bildnachweis

(1) Staatsarchiv Hamburg

(2) – (7) Hygiene und Soziale Hygiene in Hamburg, 1928

(8) Garten der Frauen