Kritik am Zentralabitur NRW und an den Mathematik-Prüfungen im Leistungskurs (LK)

Kritik am Zentralabitur

Nach den großen Aufregungen um die Prüfungen im Mathe-GK letzte Woche möchte ich nun kurz über den Mathe-LK, der in den meisten Fällen etwas untergegangen ist, berichten.

(Unser Autor hat in der letzten Woche die Mathe-Leistungskurs Klausur für das Abitur in NRW geschrieben)

Auch wir kamen in den Prüfungsraum und bemerkten bereits am Gesichtsausdruck unseres Lehrers, dass etwas nicht in Ordnung war. Viele von uns verzweifelten nicht nur an der Matrizen-Aufgabe, sondern auch an der Analysis-Aufgabe. Auch zeitlich wurde es bei vielen knapp, sodass einige Schüler letztlich aufgrund des Schwierigkeitsgrades nicht alle Aufgaben zu Ende bearbeiten konnten.

Kaum jemand sprach hinterher davon, dass er die Aufgaben gut oder zufriedenstellend lösen konnte. Die meisten Schüler waren genauso frustriert wie die Mitschüler nach den Prüfungen im Mathe-GK.

Nach der Prüfung erklärte uns auch unser LK-Lehrer, diese Aufgaben seien mit das Unmöglichste seit der Einführung des Zentralabiturs im Jahr 2007 gewesen.

Letztlich ärgert auch viele Prüflinge die Aussage des Schulministeriums: „Die Aufgaben waren korrekt und das ist die Hauptsache!“ Die „Hauptsache“ sollte es doch sein, dass Schüler jeden Jahrgangs eine vergleichbare Prüfung erhalten. Doch das war nicht nur in diesem Jahr nicht gegeben. Vergleicht man die Aufgaben der Abiturjährgänge 2010 bis 2013, so wird deutlich, dass der Schwierigkeitsgrad der acht Aufgabenteile sehr stark variiert. So sind die Voraussetzungen im Abitur für Schüler unter Umständen ganz verschieden.

Gerade aufgrund dieser Unterschiede und der oft starken Kritik an einzelnen Klausuren, ist das Gewicht der zentralen Prüfungen für das gesamte Abitur viel zu hoch. In NRW können im Abitur insgesamt 900 Punkte gesammelt werden, 600 davon innerhalb der Stufen Q1 und Q2 (ehemals Stufen 12 und 13).

300 Punkte können alleine durch die Prüfungen erreicht werden. Ein Drittel der Endnote wird also nur durch drei maximal 4 Stunden und 45 Minuten andauernde schriftliche Prüfungen und eine maximal 30-minütige mündliche Prüfung bestimmt. Für alle Schüler die nun eine Prüfung bekommen haben, die schlicht zu schwer oder nicht angemessen war, ist diese Regelung mehr als ärgerlich.

Auch mündliche Nachprüfungen sind da nur ein kleiner und wenig hilfreicher Trost, da diese nur ein Drittel der einzelnen Prüfungsnoten ausmachen.

Als Abiturient stelle ich mir manchmal die Frage, ob die zwei Jahre in der Oberstufe wirklich so unbedeutend waren, sodass man die Prüfungen so hoch ansetzen muss. Meiner Meinung nach sollten die Abiturprüfungen stark an Gewicht verlieren, noch wichtiger ist aber die Vergleichbarkeit die endlich gewährleistet sein muss.

Liebes Schulministerium: „Denn die Hauptsache ist, dass die Prüfungen vergleichbar sind und für die Schüler jedes Jahr die gleiche Chance auf das Abitur besteht!“, das sollte der Sinn eines Zentralabiturs schließlich vor einigen Jahren sein!

Das “Kernabitur” soll kommen. Sechzehn Bundesländer und „270 Minuten Einheit“.

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In Bildungsfragen sind uns die Briten immer schon einen Schritt voraus - mindestens. Herbstliches Cambridge (foto: chris)

Im Jahr 2018 ist es so weit. Dann werden deutsche Abiturientinnen und Abiturienten an einem nationalen Testtag in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch eine je 90 Minuten lange Prüfung ablegen. Alle zur selben Zeit, alle dieselben Aufgaben.

Dies fordern zumindest, so die Süddeutsche Zeitung in ihrer heutigen Ausgabe, “Experten” des “Aktionsrats Bildung”, ein von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft initiiertes Gremium.

Ankreuzaufgaben beim Abitur?

Zunächst soll das Kernabitur lediglich zu 10% in die Abiturnote einfließen. Die Aufgaben dieser neuen Prüfung orientieren sich am PISA-Test. Multiple-Choice nun auch im Abitur, das ist jetzt also der neueste Clou! Eine Frage, fünf mögliche Antworten, von denen nur eine richtig ist. Außerdem weitere „geschlossene“ Aufgaben, also Fragen, auf die es nur jeweils eine richtige Antwort gibt.

Bisher sehen die Richtlinien der verschiedenen Bundesländer solche Aufgabentypen in der Gymnasialen Oberstufe kaum oder gar nicht vor. Damit Tests jedoch schnell und möglichst von Maschinen korrigiert werden können, muss ganz eng abgefragt werden.

Britische Erfahrungen mit standardisierten Prüfungen

Angelsächsischer Länder verfügen bereits über langjährige Erfahrungen mit standardisierten Prüfungen: Der Unterricht orientiert sich zunehmen an den Tests, „Teaching To The Test“ heißt diese verdummende Unsitte. Das Niveau sinkt, gleichzeitig verbessern sich die Noten.

Dieses Zusammenspiel hat System: Die Politik will gute Ergebnisse, um ihre bildungspolitischen Bemühungen zu legitimieren. Schulen und Lehrer tun ihren Teil, um die Testergebnisse zu verbessern. Sie bereiten Schüler intensiv auf die zentralen Prüfungen  vor. Zunehmend wurden die Gehälter von Lehrern und deren Beförderungschancen an die Leistungen der Schüler, an deren „performance“ in den standardisierten Tests gekoppelt. Andere Fähigkeiten, die der Test nicht abfragt, werden zwangsläufig vernachlässigt, so die britische Erfahrung.

„Ranking“ in Deutschland

In Deutschland bieten sich große Verdienstmöglichkeiten für Schulbuchverlage:  Sie könnten ihre „Übungsmaterialien für das Kernabitur“ bundesweit absetzen. Politik und Wirtschaft erlangten weitere „Evaluationsmöglichkeiten“ von Schülern und Lehrern. Endlich könnten, neben dem „Ranking“ von Bundesländern, auch Regionen, Schulen, Lehrer, Schüler und Klassen „gerankt“ werden und so in direkte Konkurrenz zueinander treten.

Nationale Schülerrangliste

Im Königreich ist man – natürlich – schon weiter: Letzte Woche warf der britische Bildungsminister Michael Gove den Vorschlag einer nationalen Rangliste aller Schüler mit A-level (vergleichbar mit dem Abitur) in den Raum. Da kann dann jeder und jede sehen, ob sie auf Platz  1 oder Platz  23765 oder irgendwo dazwischen steht.  Schöne neue Welt.