Gefunden: Pisa und Co – die „perversen Effekte der Steuerung in Schulen“

standard20160121In einem Interview mit dem österreichischen Standard spricht Malte Brinkmann,  Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin, über „perverse Effekte der Steuerung in Schulen“.

Durch Pisa und Co gebe es keineswegs besseren Unterricht. LehrerInnen würden deprofessionalisiert, der eigentliche Unterricht würde zu technisch gesehen und in eine kurzatmige Abfolge von Sozialformen und Methoden zerlegt.

(Ich habe im Folgenden die für mich wichtigen Gedanken des Interviews paraphrasiert. „Aus Gründen“, wie man heute neudeutsch sagt. Das Thema interessiert mich und ich will es mir hier im Blog merken, um vielleicht später noch einmal darauf zurückzukommen.)

Sein Team, so Brinkmann im Interview mit dem Standard, untersuche in Berlin Unterricht mit Hilfe von Videoaufzeichnungen.

Im Rahmen der aktuellen Bildungsreform werde die Umstellung auf Bildungsstandards, Kompetenzen und Tests wie Pisa oder wie die in Österreich kürzlich angelaufene Überprüfung der Bildungsstandards mit dem Versprechen verbunden, dass damit mehr Qualität und mehr Gerechtigkeit erzeugt würden.

Dieses Versprechen von mehr Qualität und Gerechtigkeit werde aber nicht eingelöst. Ganz im Gegenteil würden perverse oder umgekehrte Effekte für Schüler und Lehrer erzeugt.

Der Unterricht werde nicht besser, denn durch eine technokratische Vorstellung vom Unterricht werde regelrecht Unaufmerksamkeit erzeugt. Gleichzeitig fände eine Deprofessionalisierung der Lehrer statt.

Es könne inzwischen auch empirisch nachgewiesen werden, dass der Unterricht in vielen Fällen nicht besser werde.  Lehrerinnen und Lehrer verfügten nur noch über wenig pädagogische Urteilskraft und könnten die Ursachen für schlechten Unterricht nicht erklären.

Das sei allerdings nicht die Schuld der Lehrerinnen und Lehrer. Ihre Aufgabe werde „im aktuellen Evaluationssystem und in der Ausbildung vielfach darauf reduziert, aufgrund der sogenannten „objektiven“ „Datenrückmeldungen“ „Datennutzung“ zu betreiben.“

Diagnostische Datennutzung, so Professor Brinkmann, ergebe nicht unbedingt guten Unterricht.

Zwei Aspekte seien für guten Unterricht wichtig.

Im Unterricht werde zum einen das lebensweltliche Wissen und Können der Schüler in symbolisches Wissen und Können transformiert. Sie sollten den Umgang mit Symbolsystemen wie Zahlen, Schriftzeichen oder dem Periodensystem lernen, aber auch den Umgang mit Anderen und Fremdem. Dieser Transformationsprozess müsse didaktisch inszeniert werden.

Dafür seien Fragen und Zeigen die wichtigsten pädagogischen Handlungsformen.

Weiterhin seien Zeit, Ruhe und Muße zentrale Bedingungen für guten Unterricht. Aufgrund der Beschleunigung, die die Schulen in der Dauerreform erfasst habe, sei ein Unterricht, in dem sich die Schüler über eine längere Zeit konzentriert und fokussiert mit einer Sache beschäftigen, kaum noch möglich.

Unterricht bestehe heute vielfach aus einer sehr kurzatmigen Sequentialisierung mit schnellem Wechsel von Sozialformen und Methoden. Diese Abfolge wirke wiederum pervers: Die Schüler lernten auf diese Weise Unaufmerksamkeit.

Aus internationalen Leistungsstudien, aber auch aus nationalen Tests, ließen sich keine kausalen Erklärungen ableiten, warum ein Wert besser oder schlechter gerankt werde. Es gebe keinen direkten Bezug zur Praxis.

Vielmehr funktioniere Pisa in Medien und Politik als „Legitimationsinstrument für unterschiedliche bildungspolitische Reform- und Strukturmaßnahmen“.

Die Grenzen der Aussagefähigkeit der Tests müssten gesehen werden. Der Unterricht dürfe nicht von Testaufgaben dominiert werden.

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Das ganze Interview lesen:
http://derstandard.at/2000029219680/Erziehungswissenschafter-Die-Schueler-lernen-so-Unaufmerksamkeit

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