Schwere und Leichtigkeit: Mit meinem Tod endet mein Ich. Wie geht ihr mit dem Gedanken an eure eigene Sterblichkeit um?

Prof. Christian Spannagel aka Dunkelmunkel (fotos: dunkelmunkel)
Prof. Christian Spannagel aka Dunkelmunkel (fotos: dunkelmunkel)

Unser Gastautor Christian Spannagel ist Professor für Mathematik an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg. In seinem Blog „CSPANNAGEL, DUNKELMUNKEL & FRIENDS“ erläutert Professor Spannagel aka Dunkelmunkel sein Verhältnis zum Tod.

In den letzten Monaten haben mich verschiedene Dinge gedanklich beschäftigt, ohne bislang zu “mentalen Blogartikeln” herangereift zu sein. Dazu zählen unter anderem die Themen Menschenbild, Persönlichkeitsentwicklung und Reflexion.

Demnächst werde ich ein paar Artikel dazu schreiben, und beginnen möchte ich heute mit einem Thema, das wunderbar zur Atmosphäre des Wave-Gotik-Treffens passt.

Das Thema lautet: Tod.

Das Thema Tod ist für mich eine ganz wesentliche Grundlage, weil die eigene Sterblichkeit letztlich alles bedingt. Denn: ich bin Atheist. Ich glaube an keinen Gott. Ich habe ein stofflich geprägtes Weltbild, eine Seele gibt es nicht. Meine eigene Gehirnaktivität und damit auch mein Denken und Fühlen enden mit meinem Tod. Mich selbst gibt es nur bis zu diesem Zeitpunkt. Mit meinem Tod endet mein Ich.

Der Moment meines Todes wird mein ganz persönlicher Moment sein, in dem ich vollkommen auf mich selbst zurückgeworfen sein werde. Die Welt und das ganze Drumherum wird in diesem Moment vermutlich vollkommen irrelevant für mich sein. Ich und nur ich werde in diesem Moment die Schwelle ins Nichts überschreiten. Welch ein Moment!

Kleiner anekdotischer Exkurs: Als ich Darmstadt als Tutor bei der Klausuraufsicht unterstützen durfte, erzählte eine wissenschaftliche Mitarbeiterin, die alleine Aufsicht in einem anderen Raum gemacht hat, eine kleine Begebenheit. Der Professor lief von Raum zu Raum, um nach dem Rechten zu sehe. Als er bei ihr in den Raum kam, stellte er fest, dass außer ihr niemand Klausuraufsicht machte. Sie bemerkte seine Irritiation und sagte: “Ich bin alleine.” Er antwortete: “Sind wir das letzten Endes nicht alle?” Damals hab ich kurz gelacht, einfach weil’s witzig war. Es gibt aber kaum eine Aussage mit mehr Tiefe als diese. Letzten Endes bin ich allein auf der Welt. Und insbesondere gehen werde ich alleine.

Mein Leben ist endlich. Anschließend kommt unendlich lange nix. Was ist – zeitlich gesehen – ein endliches Leben gegen die Unendlichkeit des Nicht-Seins? Oh man! Ein endliches Leben, dann unendliches Nichts. Unendlichkeit ist verdammt viel länger, und gesamtzeitlich gesehen ist mein eigenes Leben eigentlich nur ein Wimpernschlag oder ein Furz oder so (halt was sehr kurzes). Wie kostbar ist also die eigene Lebenszeit!

Wenn ich im Sterben liegen werde (und aus oben genannten Gründen dauert das hoffentlich noch recht lange), dann will ich mir nicht vorwerfen, mein Leben nicht gelebt zu haben. Das will ich mir am Ende nicht vorwerfen! Das bedeutet aber: Ich kann das Leben nicht herausschieben. Jede Minute Lebenszeit ist kostbar. Der Gedanke ans Sterbebett hat Konsequenzen auf: jetzt.

Also: es ist mein Leben, jede Minute ist kostbar, und ich muss mich darum bemühen, mein Leben so zu gestalten, wie ich mein Leben leben möchte. Das bedeutet also: nicht vor sich herdümpeln in seinem Leben, nicht faul sein, sondern loslegen mit der bewussten Lebensgestaltung. Darin steckt eine große Radikalität!

Neben Radikalität steckt außerdem das ungute Gefühl darin, dass man diesem Anspruch vielleicht nicht gewachsen ist. Schaffe ich das denn? Was, wenn ich zu viel Zeit für Sinnloses verschwende? Oh, und wenn ich über so etwas nachdenke: wieder eine Minute weg! Die Zeit stoppt nie, gnadenlos läuft sie weiter. Tick – tack – tick – tack – …

Ich glaube, ich habe einen ganz guten Weg für mich gefunden, damit umzugehen. Eine Metapher für diesen Weg ist der Schalksnarr. Warum? Er steht für eine wunderbare Kombination aus Ehrlichkeit und Humor. Ehrlichkeit zu sich selbst ist wichtig, damit man seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse zunächst einmal wahrnehmen und dann auch ernst nehmen kann. Man muss sein Wesen kennen, wenn man sein Leben sich selbst gemäß gestalten möchte. Die Frage lautet letztlich: Wer bin ich? Was ist meine Wahrheit? Meine persönlichen Themen, die ich für mich über einen längeren Zeitraum herausgearbeitet habe, sind beispielsweise Atheismus, Identität und Polyamorie. Das war zum Teil sehr hart und schmerzhaft. Die Beschäftigung mit bislang ignorierten persönlichen Wahrheiten ist nie angenehm – so lange hat man sie für sich totgeschwiegen! Man hat aber die Wahl: bequem sein und irgendwie leben (so wie man aufgewachsen ist und so, wie alle um einen herum leben, unreflektiert halt) oder Aufwand treiben und sein eigenes Wesen verwirklichen. Nur letzteres würde mich glücklich machen. Nur bei letzterem Weg würde ich am Ende (siehe oben) sagen können: gut gemacht! Also: ehrlich zu sich selbst sein und sich mit seinen eigenen Wahrheiten befassen.

Neben Ehrlichkeit ist Humor die zweite wichtige Komponente des Schalksnarren. Vieles im Leben kann man nicht beeinflussen, und die Tragik der eigenen Endlichkeit wäre unerträglich, wenn es sie hier nicht geben würde: Humor, Spaß, Witz. Die tragischen Dinge sehen, Wahrheiten ehrlich auf den Punkt bringen, aber bitte mit einer Prise Humor. Und damit ist nicht schwarzer Humor gemeint, auch nicht Zynismus. Es ist mehr die Aufforderung zur Leichtigkeit: Lasst uns Spielen! Lasst uns Party machen! Lasst uns tanzen!

Neulich hab ich ein Wort aus der Jugendsprache gelernt (uaaah, wenn ich das schon lese: “Jugendsprache”): YOLO! Das bedeutet: “You only live once!” Und sagen tut man es, wenn man irgendwas tut, was man normalerweise nicht tut. Und wenn ihr mal eine YOLO-Aktion macht und irgendjemand fragt euch, was für einen Sinn das hatte, dann antwortet: Es muss nicht alles Sinn machen, Hauptsache, es hat Spaß gemacht.

Der Schalksnarr schafft es, unbequeme Wahrheiten so zu verkaufen, dass sie mit Humor akzeptiert werden. Genau so sollte man sich selbst seine eigenen Wahrheiten vermitteln. Schwere durch Leichtigkeit leichter machen.

dunkelmunkelhut
Der Schalksnarr schafft es, unbequeme Wahrheiten so zu verkaufen, dass sie mit Humor akzeptiert werden.

“Gut gemacht! ” kann ich schon heute zu mir sagen. Ich bin zufrieden, wie ich selbst mit mir und meinem Leben in den letzten Jahren umgegangen bin. Das fühlt sich gut an. Wenn es so weiter geht und wenn sich diese Einschätzung nicht ändert, dann werde ich am Ende vielleicht das gleiche Gefühl haben wie heute, und damit könnte ich glücklich gehen. Und genau das will mich mir zum Ziel setzen: Jeden Tag dieses Gefühl zu haben, dass alles so wie es ist, genau richtig ist.

Wie sind eure Gedanken dazu? Wie geht ihr mit dem Gedanken an eure eigene Sterblichkeit um?

5 Gedanken zu „Schwere und Leichtigkeit: Mit meinem Tod endet mein Ich. Wie geht ihr mit dem Gedanken an eure eigene Sterblichkeit um?“

  1. Wir hatten ja kürzlich über den Anfang, das Ende, den Sinn des Lebens überhaupt geschrieben. Und da kommt Ihr Artikel gerade recht. Ich hatte ja schon Sir Peter Ustinov bemüht…

    Ich will es noch einmal versuchen – meine, relativ festgefügte Meinung ist:

    Vielleicht besteht der Sinn des Lebens darin, es weiterzugeben.

    Und ich habe es erfolgreich getan.

    1. „Vielleicht besteht der Sinn des Lebens darin, es weiterzugeben.“

      Mmh, und diejenigen die keine Kinder haben, leben „Sinn“los? Meiner Meinung nach gibt es keinen Sinn, es ist einfach wie es ist.

  2. Der Sinn des Lebens I:

    „Kilgore Trout schrieb einmal eine Kurzgeschichte, die aus einem Dialog zwischen zwei Hefe-Kreaturen bestand. Während sie Zucker aßen und in ihren eigenen Exkrementen allmählich erstickten, diskutierten sie über den möglichen Sinn des Lebens. Wegen ihrer beschränkten Intelligenz blieb ihnen verborgen, daß sie dabei waren, Champagner herzustellen.

    Kurt Vonnegut, „Breakfast of Champions“

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