Marion bei den Mexis, Teil 33: „Sprechen Sie Deutsch?“ Die Wahl zwischen Oppenheimer Krötenbrunnen, Liebfrauenmilch und den Zeugen Jehovas.

Dieser Artikel ist der 32. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute begegnen wir den Zeugen Jehovas und wählen zwischen Oppenheimer Krötenbrunn und Liebfrauenmilch.

Auf dem Berg Tepeyac soll im Dezember 1531 -zehn Jahre nach der Eroberung der Aztekenhauptstadt Tenochtitlan- dem Indio Juan Diego Cuautlatoatzin viermal die Jungfrau Maria erschienen sein. Sie war dunkelhäutig und bot wohl so mehr Identifikationsfläche. Der Indio zeigte dem Bischof das Gnadenbild Marias. Der Auftrag war, hier eine Kapelle zu errichten. Im Laufe der Zeit kam eine Basilika hinzu und in den 70er Jahren ein futuristischer Neubau. Der Garten sieht ein wenig wie ein Freizeitpark aus - ist aber dennoch ganz hübsch. (fotos: koerdt)
Auf dem Berg Tepeyac soll im Dezember 1531 -zehn Jahre nach der Eroberung der Aztekenhauptstadt Tenochtitlan- dem Indio Juan Diego Cuautlatoatzin viermal die Jungfrau Maria erschienen sein. Sie war dunkelhäutig und bot wohl so mehr Identifikationsfläche. Der Indio zeigte dem Bischof das Gnadenbild Marias. Der Auftrag war, hier eine Kapelle zu errichten. Im Laufe der Zeit kam eine Basilika hinzu und in den 70er Jahren ein futuristischer Neubau. Der Garten sieht ein wenig wie ein Freizeitpark aus – ist aber dennoch ganz hübsch. (fotos: koerdt)

Hola a todos!

„Sprechen Sie Deutsch?“ Eine Frage, die mir eher selten in meinem Supermarkt um die Ecke gestellt wird. Vor allen Dingen nicht auf Deutsch. In der Regel werde ich an der Kasse gefragt, ob mein Besuch angenehm war, ich alles gefunden habe oder ob ich noch mein Handy aufladen möchte. Nur einmal fragte mich ein Kassierer, ob ich Mexikanerin sei. Das hat mich doch überrascht, denn ich sehe nach wie vor so offensichtlich nicht-mexikanisch aus. Ich verneinte und fragte, warum er mich das fragen würde. Na, ich würde ja jetzt schon länger hier einkaufen und brächte immer meinen Stoffbeutel mit. Und da habe er sich gefragt, warum ich das mache, es gebe doch Plastiktüten.

Da die meisten doch erkennen, dass ich so offensichtlich keine Mexikanerin bin, wurde ich dann wohl auch vor einigen Tagen gefragt, ob ich Deutsch spräche. Ich stand vor den Weinregalen und habe mich genau in dem Moment gefragt, warum es in Mexiko nur zwei deutsche Weinsorten im Angebot gibt: Oppenheimer Krötenbrunnen und Liebfrauenmilch. Ich habe schon einige mexikanische Bekannte zum Lachen gebracht, wenn ich ihnen die Namen übersetzt habe. Bei Liebfrauenmilch muss ich unweigerlich an Muttermilch denken und wenn mich nicht alles täuscht, ist das ein Traubenverschnitt, der damals billig bei Aldi verkauft wurde. Aber da kann ich mich auch täuschen.

Aber meinen Ohren habe ich schon getraut, als ich die Frage hörte, mich umdrehte und eine lächelnde Frau hinter mir stand. Ich nickte. „Das ist ja toll“, entfuhr es ihr und ihr Lächeln wurde noch breiter. Sie hatte einen ziemlich großen Mund und auf dem zweiten Blick erinnerte sie mich auf einmal ein wenig an Angelina Jolie. Nur, dass Angelina Jolie sich bestimmt nie so anziehen würde.

Alles war ein wenig unförmig und zu weit. Eine orangene Parkajacke, die fast bis zu den Knien ging und bestimmt allen Witterungen standhält sowie ein olivgrüner, wadenlanger Rock. Sie sei aus Hamburg, war schon einmal für ein Jahr in Puebla und sei nun für zwei Monate in der Hauptstadt. Was sie denn machen würde, fragte ich. Sie mache Entwicklungsarbeit. Nun wurde ich neugierig und fragte nach, für welchen Entwicklungsdienst sie denn arbeite. Nun wurde das Lächeln ein wenig schmaler und sie sagte ernsthaft, nun, wir alle haben doch Lebensfragen, auf die wir keine Antworten haben. Mir fiel spontan keine ein. Sie schwang ihren Rucksack vom Rücken und drückte mir einen deutschsprachigen Flyer in die Hand. Ich schaute auf das Blatt: Was mache ich bei Trauer? war das Thema. Dann drehte ich den Flyer um. Tatsächlich, es waren die Zeugen Jehovas.

Ich schaute die Frau etwas irritiert an: Entwicklungsarbeit? Ja, sie bauten gerade eine Gemeinde hier in der Nähe auf. Auch ich sei herzlich zur Bibelstunde eingeladen. Auf Deutsch. Dafür böten sie auch Deutschkurse an. Deutschkurse? Für wen? Na, für die Mexikaner. Ich versuchte, das mal auf die Reihe zu kriegen: Über 90 Prozent der Mexikaner sind katholisch, Kirchenaustritte gibt es fast nicht, dafür haben die Mexikaner nach der Missionierung durch die Spanier ihre eigene Form des Katholizismus geschaffen. Und mit dem scheinen sie nach wie vor gut zurechtzukommen.

Ob sie denn bislang Erfolg gehabt hätten? Dieser Frage wich sie ein wenig aus. Dafür stellte sie mir die Gretchenfrage. Ich wollte nicht gerade jemanden, der mich vor zwei Minuten angesprochen hat, meine ganze Sicht auf die Welt mitteilen und zögerte ein wenig mit der Antwort. Na ja, ich habe da schon meine Zweifel, schwurbelte ich rum.

Die Mexikaner kommen eigentlich mit ihrem Katholizismus gut zurecht. Am 12.Dezember pilgern Zehntausende zu der Stelle am Rande Mexiko-Stadts, wo 1531 Maria vorbei geschaut haben soll. Die Jungfrau von Guadalupe ist in ganz Mexiko gegenwärtig und wird nach wie vor verehrt. Glaubensgemeinschaften wie die Zeugen Jehovas haben es da schwer: Sie lehnen ja nicht nur die Blutspende ab, sondern auch die Marienverehrung.
Die Mexikaner kommen eigentlich mit ihrem Katholizismus gut zurecht. Am 12.Dezember pilgern Zehntausende zu der Stelle am Rande Mexiko-Stadts, wo 1531 Maria vorbei geschaut haben soll. Die Jungfrau von Guadalupe ist in ganz Mexiko gegenwärtig und wird nach wie vor verehrt. Glaubensgemeinschaften wie die Zeugen Jehovas haben es da schwer: Sie lehnen ja nicht nur die Blutspende ab, sondern auch die Marienverehrung.

Da zog sie die Bibel aus ihrem Rucksack und sagte, hier stünden die Antworten auf alle Fragen des Lebens. Auch auf Zweifel. Sie las mir eine kurze Passage aus dem Johannesevangelium vor. Irgendwie ging es um das Böse. Sie interpretierte die Stelle dahin, dass Gott gar nicht gewollt habe, dass die Menschen sterben. Ich machte mhmm, da ich das zum ersten Mal so gehört hatte und mir vorstellte, wie die Welt aussehe, wenn tatsächlich noch nie jemand gestorben wäre. Keine schöne Vorstellung. Wie viel Platz hätte dann wohl jeder?

Um meine Zweifel noch weiter zu entkräften, ließ sie ihren Rucksack auf den Boden fallen. Mittlerweile war sie beim Du angekommen. „Was glaubst du, warum der Rucksack auf den Boden gefallen ist?“ fragte sie. „Die Schwerkraft? Die Erdanziehung?“ fragte ich rhetorisch zurück. „Na, hat Gott das nicht toll gemacht?“ „Was?“ „Die Erdanziehung. Stell dir mal vor, der Rucksack würde schweben.“

Ja, warum haben sich eigentlich Philosophen und ich weiß nicht wer sich jahrhudertelang mit Gottesbeweisen rumgequält, wenn es doch so einfach ist. Sie drückte mir noch ein paar Prospekte in die Hand und dazu ganz feste die Hand, ich sei herzlich eingeladen und lächelte mich noch einmal an. Dann ging sie. Ich stand wieder unentschlossen vor dem Weinregal und dachte kurz darüber nach, ob ich nicht wirklich mal dahin soll, wenn sie dort noch weitere amüsante Gottesbeweise präsentieren sollten. Aber eine Sekunde später wusste ich, dass ich nicht dahin gehen würde. Und auch, welchen Wein ich kaufen würde.

Muchos saludos,
Marion