Mexiko wählt den Schritt zurück: Peña Nieto offiziell zum nächsten Präsidenten Mexikos erklärt. Demonstration auf dem Zócalo am 9. September.

Demonstationen in Mexico City (foto: Marion Koerdt)
Anti-Pena-Nieto-Demos gibt es seit über zwei Monaten zuhauf landauf- und -abwärts. Hier eine Demo im Juli in Ensenada im Bundesstaat Baja California. (foto: Marion Koerdt)

Ciudad Mecico. Nun ist es offiziell: Enrique Peña Nieto wird am 01. Dezember zum nächsten Präsidenten Mexikos vereidigt.

Rund zwei Monate beschäftigte sich das Oberste Gericht Mexikos mit der Frage, ob die Wahlen am 01. Juli rechtens seien. Es kam zu dem Ergebnis: Ja, alles in Ordnung. Dabei gab es die überschaubaren Unregelmäßigkeiten am Wahlsonntag: So wurden in mehreren Bundesstaaten Wahlurnen geklaut, in Cancún sowie am Internationalen Flughafen in Mexiko-Stadt waren nicht ausreichend Wahlzettel vorhanden und in einigen Stadtvierteln der Hauptstadt wurden Leute beim Stimmenkauf erwischt.

Am Wahlabend waren zwar erst knapp 43% der Stimmen ausgezählt, aber Pena Nieto von der Partido Revolucionario Institucional/ PRI (Partei der Institutionellen Revolution) erklärte sich mit 36, 74% zum Wahlsieger. 3,5% hinter ihm lag Andrés Manuel López Obrador von der Partido de la Revolution Democrática/ PRD (Partei der Demokratischen Revolution). Der sofort erklärte, er würde diesen Wahlsieg nicht anerkennen. Auf den dritten Platz kam Josefina Mota Vazquez von der regierenden Partido Acción Nacional/PAN (Partei Nationale Aktion). Sie konnte lediglich 25,3% der Stimmen auf sich vereinen und schaffte zum ersten Mal, dass die Regierungspartei auf den dritten Rang zurückfiel. Der amtierende Präsident Felipe Calderón hatte sich vorher von ihr abgewandt: Die 51jährige Politikerin war vor 3 Jahren aus ihrem Amt als Bildungsministerin entlassen worden.

Das Wort Revolution ist im Parteinamen der PRI wörtlich zu nehmen: Revolvere heißt zurückwälzen. Und mit dem 45jährigen Politiker aus dem Bundesstaat Mexiko wird es wohl eine Hinwendung zum Ausgangszustand geben. Die Partei stellte von 1929 bis zum Jahre 2000 immer die Präsidenten und herrschte über das Land in einer Gutsherrenart, deren Folgen im Land nach wie vor sichtbar sind.

Mexiko versank zwar nicht in Bürgerkriegen wie andere lateinamerikanische Staaten, aber die Partei hatte das Land fest im Würgegriff und ging auch nicht zimperlich gegen ihre Gegner vor. Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa verstieg sich einmal zu der Bemerkung, Mexiko als eine „erstrebenswerte Diktatur“ zu bezeichnen. Das Massaker im September 1968 auf dem Platz der drei Kulturen im Stadtteil Tlatelolco im Zentrum der Hauptstadt war wohl einer der traurigen Höhepunkte der brutalen Herrschaft. Der damalige Präsident Gustavo Díaz Ordaz ließ die Demonstranten, meist Studenten, vom Militär niederschießen. Bis heute gibt es keine genauen Opferzahlen, die Vermutungen schwanken zwischen 400 und 1000 Toten. Eine Aufarbeitung seitens der Partei fand nie statt. Erst seit zwei Jahren erinnert ein Museum am Platz an die Greul, die dort vor fast 44 Jahren stattgefunden haben. An einem anderen Ort in der Stadt hat eben dieser Präsident 1970 eine Gandhi-Statue eingeweiht, den er für seinen gewaltlosen Widerstand bewunderte.

Carlos Salinas de Gortaris Präsidentschaft von 1988 bis 1994 wurde durch eine Privatisierungswelle gekennzeichnet. Über 250 Staatsbetriebe wurden privatisiert. Die Arbeitslosigkeit blieb aber nach wie vor hoch. Zwei Jahre nach dem Ende seiner Präsidentschaft schlossen die Parteien ein Abkommen zur Reform des bisherigen politischen Systems. Carlos Salinas ging nach Irland ins Exil. Sein Bruder Raúl wurde hingegen inhaftiert: Ihm wurden Verbindungen zu den Drogenkartellen unterstellt, auf einem Schweizer Konto hatte er über 80 Millionen US-Dollar deponiert.

Vetternwirtschaft und Korruption waren aber nur zwei Kennzeichen der PRI-Herrschaft. Die Indígenas, die Ureinwohner, wurden systematisch unterdrückt. Die Widerstandsgruppen im Land, besonders im Bundesstaat Chiapas, werden mit militärischer Gewalt zerschlagen. Ein Großteil der Bevölkerung lebte in Armut – ein gesellschaftlicher Aufstieg durch Bildung war nicht möglich. Und das Land war das Drogentransitland für die USA. Die Kartelle hatten die Routen und Territorien unter sich aufgeteilt.

Vor 12 Jahren schien der PRI-Spuk vorbei zu sein: Mit Vicente Fox kam ein Vertreter der konservativen PAN an die Macht. Doch die Hoffnungen auf Veränderungen im Land erfüllten sich nicht. Einige Wochen nach seiner Vereidigung gelang einem der mächtigsten Drogenbosse die Flucht aus einem Hochsicherheitstrakt. Die Konflikte zwischen den Kartellen nahmen zu.

2006 gab es bei der nächsten Präsidentenwahl eine Entscheidungsschlacht zwischen dem Kandidaten der PAN, Felipe Calderón, und Andrés Manuel López Obrador, genannt AMLO, von der PRD. Die PRD ist eine 1989 gegründete Splitterpartei der PRI. Die PRI selbst spielte bei dieser Wahl keine große Rolle mehr. Das Ergebnis fiel mit einem Stimmenunterschied von 0,6% dermaßen knapp aus, so dass der unterlegene Kandidat López Obrador offen das Wort „Wahlbetrug“ aussprach und seine Niederlage nicht anerkennen wollte. Obwohl der Vorwurf des Wahlbetrugs auch nicht von einer unabhängigen Untersuchungskommission der UNO bestätigt wurde, wollte das Volk eigentlich Neuwahlen. Wochenlang legte AMLO und seine Anhänger mit Straßenblockaden den Verkehr auf der Hauptverkehrsstraße des Zentrums, dem Paseo de la Reforma, lahm. Je länger die Leute im Stau standen, desto mehr nahmen auch die anfänglichen Sympathien ab.

Eben dieser AMLO trat dieses Jahr wieder für seine Partei PRD an. Für die regierende PAN wurde zum ersten Mal eine Frau nominiert: Josefina Mota Vazquez. Der ehemalige PAN-Präsident Fox sprach seine Zweifel an ihrer Kandidatur offen aus und gab eine Wahlempfehlung für den Kandidaten der PRI ab: Enrique Peña Nieto.

Peña Nieto war von 2005 bis 2011 Gouverneur des Bundesstaates Mexiko und zelebrierte kurz vor seiner Kandidatur sein Privatleben in einer Reality-Serie, die auf dem privaten Fernsehsender „Televisa“ ausgestrahlt wurde. Höhepunkt der Serie war seine Hochzeit mit der „Televisa“-Soap-Darstellerin Angélica Rivera. Ein Buchtitel, der im Wahlkampf erschien, hieß dann auch „Las Mujeres de Peña Nieto“ („Die Frauen von Peña Nieto“). Ob er dieses Buch selbst gelesen hat, mag bezweifelt werden. Bücher lesen scheint nicht zu seinen Hauptbeschäftigungen zu zählen. Im Dezember letzten Jahres während seines Auftritts bei der Buchmesse in Guadalajara fiel ihm auf die Frage eines Reporters, welche drei Bücher ihn am meisten beeinflusst hätten, zunächst gar nichts ein. Schließlich konnte er wenigstens noch die Bibel nennen.

Während des Wahlkampfes machte Peña Nieto dann mit einem anderen Zahlenspiel auf sich aufmerksam: Bei einem Wahlkampfauftritt an der Privatuniversität Iberoamericana in Mexiko-Stadt im Mai dieses Jahres wurden dem Spross einer Politikerfamilie von den Studierenden schwere Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen während seiner Gouverneurszeit gemacht. Peña Nieto verließ die Veranstaltung durch die Hintertür und der Fernsehsender „Televisa“ behauptete, es seien bezahlte Provokateure gewesen. Infolgedessen stellten 131 Studierende auf der Internetplattform „Youtube“ klar, dass sie von keiner Partei finanziert worden seien. Daraus entstand die Bewegung „Yo soy 132“ („Ich bin 132“), die in den letzten Wochen mit zahlreichen Aktionen auf Peña Nietos nebulösen Werdegang aufmerksam machten. Denn auf seinem Weg zum Wahlsieg finden sich viele Ungereimtheiten: So soll Peña Nieto „Televisa“ für Anti-López-Obrador-Kampagnen bezahlt und die Handelskette „Soriana“ bot ihren Kunden Rabattkarten an, wenn sie Peña Nieto ihre Stimme geben. Die Aktion soll von der Partei finanziert worden sein. Und es hat sich im wahrsten Sinne des Wortes ausgezahlt.

Doch wofür steht der neue Präsident? Er steht für das System, das Mexiko bis vor zwölf Jahren beherrscht hat. Und damit verbinden nicht wenige die Hoffnung, dass das blutige Treiben der Drogenkartelle quer durchs Land ein Ende findet. Vorher hatten die Kartelle unter den PRI-Präsidenten ihre festen Territorien. Erst mit den PAN-Präsidenten fand diese Reglung ein Ende und das grenzenlose Bekriegen der Vorherrschaft im Drogenkrieg ihren Anfang.

Calderón hatte die Bekämpfung der Kartelle zum Hauptanliegen seiner Präsidentschaft gemacht. Die Bilanz ist bitter: Wahrscheinlich haben 50 000 Menschen in den letzten sechs Jahren im Zusammenhang mit dem Narcotráfico ihr Leben gelassen. Peña Nieto hat in seinem Wahlkampf dieses Thema ausgespart. Er wird sich aber zu den Kartellen irgendwie positionieren müssen. Ob diese Position wie vor dem Jahre 2000 aussehen wird, bleibt abzuwarten. Denn ob sich die Kartelle einfach so auf ihre angestammten Gebiete zurückziehen, ist wohl eher ungewiss. Es gibt auch andere Stimmen, die sagen, es sei auch Aufgabe des Staates den Menschen Perspektiven abseits des Drogengeschäftes aufzuzeigen.

Kartelle rekrutieren ihre Mitarbeiter meist unter Jugendlichen, denen für ihre Verhältnisse unwahrscheinlich viel Geld angeboten wird. Meist blenden sie dabei aus, dass der Preis dafür ihr Leben ist. Der einzige Weg aus dem Dilemma sei Bildung und die Aussicht auf eine gutbezahlte Arbeit. Doch grundlegende Strukturänderungen lassen sich wohl kaum in einer Legislaturperiode von sechs Jahren durchführen. In seiner ersten Ansprache als designierter Präsident erklärte Peña Nieto, dass der Kampf gegen das Verbrechen mit einer neuen Strategie fortgeführt wird, um die Gewalt zu reduzieren und das vor allem das Leben der Mexikaner zu schützen.

Auch möchte er den Tourismus als Wirtschaftsfaktor wieder stärken. Im letzten Jahr ist die Hotelbettenbelegung in der vormaligen Tourismushochburg Acapulco um 60% zurückgegangen. Der einst schillernde Badeort machte nur noch mit Toten im Zusammenhang mit dem Drogenhandel von sich reden, aber nicht mehr damit, dass die Hollywood-Prominenz hier ihren Urlaub verbringt. Auch sonst weicht der ausländische Tourist lieber auf andere Länder aus. Im Frühjahr ging ein empörter Aufschrei durch die Presse: Bei den beliebtesten Reiseländer ist Mexiko zwei Plätze nach hinten gerutscht – hinter Österreich und Russland auf den zwölften Rang. Innerhalb der nächsten sechs Jahre – so lange dauert Peña Nietos Präsidentschaft- soll das Land auf Platz sechs klettern, so seine Vorgabe. Doch wie das Konzept zur Verwirklichung dieser Vorgabe aussieht, steht noch aus.

Auch sonst ist nicht viel bekannt über seine Positionen. Der Blick des großen, ungeliebten Nachbars aus dem Norden auf den Wahlsieger ist von Skepsis geprägt: Man wisse nicht, wofür der neue Präsident stünde, heißt es aus Washington. Auch seien noch keine Pläne bekannt, wie es an der fast 3000 Kilometer langen Grenze weitergehen solle.

Die Wahl Peña Nietos zum Präsidenten hat eins gezeigt: Das mexikanische Volk interpretiert Revolution als Restauration. Grundlegende Reformen wird es in den kommenden sechs Jahren nicht geben. Dafür aber den Blick zurück und das Festhalten an dem, was man hat. Und für die Mehrheit ist das nach wie vor verdammt wenig.

Der unterlegende Kandidat López Obrador will trotz des hochrichterlichen Entscheids weiter demonstrieren: Für den kommenden Sonntag, den 9. September, hat zu einer Großkundgebung auf dem zentralen Platz in Mexiko-Stadt, dem Zócalo, aufgerufen.

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