“Just say no to sex†– mit diesem Slogan warb die Christliche Rechte in den USA lange Zeit unter Jugendlichen.
Abstinenz bis zur Ehe, Keuschheit, Klarheit, nur einfach “nein†sagen, und schon waren alle weiteren Fragen wie Verhütung, HIV, Geschlechtskrankheiten, Umgang mit der eigenen Sexualität usw. gelöst. Und ganz nebenbei befreite es Lehrer und Eltern von der leidigen Aufgabe der Aufklärung, denn durch „just say no“ war eine Schwangerschaft bei Jugendlichen automatisch ausgeschlossen.
Geringere Geburtenraten unter Teenagern waren nicht die Folge, aber die Rechte hatte das Thema für eine große Kampagne.
Das ist lange her und schien schon fast vergessen. Wenn da nicht dieser Déjà-vu -Effekt wäre, dass gesellschaftliche Phänomene aus den USA zunächst nach England und mit weiterer Verzögerung zu uns kommen.
In Großbritannien ist diese Idee nun angekommen und hat bei den Konservativen voll eingeschlagen:
Wie der Guardian gestern berichtete schlug die Abgeordnete Nadine Dorries verpflichtenden „Abstinenzklassen“ für Mädchen zwischen 13 und 16 Jahren vor. Ihre Parteikollegen unterstützen sie und schon bald könnte daraus ein Gesetz werden.
Es ficht die Britischen Konservativen nicht an, dass Schwangerschaften von Teenagern so selten wie in den 1980er Jahren sind. Frau Doerries sieht um sich herum eine im höchsten Maße sexualisiert Gesellschaft. Das Gesetzesvorhaben der Konservativen zielt allein auf Mädchen. Deren sexuelle Aktivitäten sollen stigmatisiert und reglementiert werden. Das ist ein sehr altes Rollenverständnis, welche viele – offensichtlich zu Unrecht – schon überwunden glaubten.
Wie lange wird es noch dauern, bis ähnliche Forderungen nach „Abstinenzunterricht“ aus Reihen Christlicher Politiker auch in Deutschland laut werden? Warten wir es ab…
Osama bin Laden wurde getötet. Darüber freut sich die Bundeskanzlerin, und mit ihr Stefan Laurin. Hannes Schiebener kann darüber keine Freude empfinden, fragt aber immerhin pflichtschuldigst nach, ob dies schlimm sei. Er habe sich „noch nie über den Tod eines Menschen gefreut“ habe, was schon insofern nicht weiter schlimm sein kann, als dass der Vatikan aus gegebenem Anlass noch einmal darauf aufmerksam machte, dass „der Tod eines Menschen für einen Christen aber niemals Grund zur Freude“ sei.
Hannes ist also mit seinem Nicht-Freuen auf der sicheren Seite. Aber was ist mit Stefan? Und vor allem: was ist mit Angela Merkel, Horst Seehofer und all den anderen, die sich offen zu einem Gefühl der Freude bekannt haben? Und ganz abgesehen von der religiösen bzw. ethischen Dimension sowohl der amerikanischen Operation als auch der vielfach zu beobachtenden Freude darüber – es ließen sich auch ganz nüchterne Fragen stellen wie „War die Aktion legal?“ oder „Darf ein Rechtsstaat Rache üben?“
Darf ein Rechtsstaat Rache üben?
Fragen über Fragen. Beginnen wir mit der letzten: „Darf ein Rechtsstaat Rache üben?“ Die ist scheinbar leicht zu beantworten: Nein, das darf er nicht. So lautet jedenfalls hierzulande die vorherrschende Meinung. Doch wurde Osama bin Laden von einer US-amerikanischen Einheit getötet, und in den USA wird bekanntlich die Todesstrafe ausgesprochen und vollstreckt. Es fällt schwer, darin andere Motive – etwa die „Generalprävention“ – als Rache hineinzuinterpretieren.
Unrecht muss gesühnt werden
Doch auch das deutsche Strafrecht lässt sich nicht allein von der beabsichtigten Resozialisierung leiten; mindestens ebenso großes Gewicht kommt dem „Sühnegedanken“ zu. Unrecht müsse gesühnt werden, heißt es – nicht zuletzt auch in den Leserbriefspalten der Zeitungen. Und schon begreift man, warum allein schon der „Rechtsfrieden“ danach verlangt, dass Unrecht gesühnt wird, sprich: in einem ordentlichen Verfahren gerächt wird.
Deutschland ist nicht zivilisierter als die USA
Es besteht also aus deutscher oder europäischer Sicht keinerlei Anlass, so zu tun, als sei das der Durst auf Rache und seine institutionelle Integration in die Rechtssysteme längst überwunden, während im „Wilden Westen“ der Sheriff den Auftrag der Meute vollstreckt. Es besteht gerade für Deutsche keinerlei Anlass, so zu tun, als sei man hierzulande irgendwie zivilisierter als in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Befremdliche Freudenfeste
Gewiss, die Bilder dieser ausgelassenen Freudenfeste in New York und Washington mussten befremdlich erscheinen. Doch auch im ach so zivilisierten Germany: Sondersendungen und Sonderbeilagen, ganz- und mehrseitige Berichte in den Zeitungen und Themenänderungen in den „seriösen“ Talkshows. Immerhin sind auch hier schon Anschläge geplant worden – auch die auf die Twin Towers am 11.9.2001.
Tötung oder Gefangennahme?
„War die Aktion legal?“ lautet die andere Frage, und auch hier scheint die Antwort leicht gegeben: die „Amerikaner hätten bin Laden gefangen nehmen müssen“, spricht der renommierte Völkerrechtler Christian Tomuschat. „Eine Festnahme hätte Priorität haben müssen“, sagte Tomuschat zur Tötung bin Ladens. „Die USA hätten Bin Laden dann ohne weiteres vor ein amerikanisches Gericht stellen können.“
Was wissen wir?
Was man so als emeritierter Professor alles weiß! Ohne weiteres. So weiß man beispielsweise zuverlässig, weil aus unabhängiger Quelle, dass die US-Spezialeinheit bei ihrer Kommandoaktion auf massiven bewaffneten Widerstand gestoßen ist. Der in der Nachbarschaft lebende Twitterer konnte wegen des ungeheuren Lärms nämlich nicht schlafen. Oder glauben Sie, dass auf bin Ladens Anwesen einer der US-Hubschrauber wieder einmal einfach nur so abgestürzt ist?
Hinrichtung oder Feuergefecht?
Einblicke in das – mittlerweile weltbekannte – Schlafzimmer des Al-Qaida-Chefs hatte unsereins zwar nicht, sondern neben dem Kommando nur die US-Führung um Barack Obama und Hillary Clinton (interessantes Foto). Hinrichtung oder Feuergefecht? Ja, es gab (mindestens ein) Feuergefecht, und nein, das Sonderkommando wäre nicht abgereist, ohne zuvor bin Laden getötet zu haben.
Frage nach Legalität ist hypothetischer Natur
Ich vermute, die Amerikaner wären sogar in der Lage, mit den Bildern aus der Helmkamera diesen Ablauf der Dinge zu beweisen. Aber das ist erstens Spekulation, und zweitens würde selbst dieser Beweis nichts daran ändern, dass weder bin Laden noch die USA auch nur das geringste Interesse an einem unblutigen Ende inklusive Gerichtsverfahren gehabt hatten. Die Frage nach der Legalität wie die Einlassungen Prof. Tomuschats sind – milde formuliert – rein hypothetischer Natur.
Bigotter Verweis
Und der Verweis auf das mosaische Tötungsverbot (5. Gebot Moses) ist – sehr milde formuliert – bigott, wird mit ihm doch ganz bewusst übersehen, dass zwischen Al Qaida und den USA (wie auch vielen anderen Staaten) ein erbarmungsloser Krieg tobt. Selbst wer sich dem nicht anschließen mag, muss einräumen, dass es sich bei der Bekämpfung der Al Qaida um den Schutz der eigenen Bevölkerung handelt, also um die originäre Aufgabe der Staaten.
Es gibt gute Gründe, die Tötung bin Ladens gutzuheißen
Man mag die Klugheit der Kommandoaktion bezweifeln, wie dies Helmut Schmidt zum Beispiel tut. Aber die Aktion der Vereinigten Staaten mit dem Gebot, nicht töten zu sollen, zu kommentieren, geht völlig an der Sache vorbei. Die Motive mögen aufrichtig sein oder auch nicht. Bei den einen so, bei den anderen so. Wer dagegen die Tötung bin Ladens gutheißt, kann dafür Gründe benennen. Gute Gründe, wie ich finde. Er mag darüber erleichtert sein, muss er aber nicht. Und er mag sich darüber freuen. Das muss er aber schon gar nicht.
* Dr. Werner Jurga ist Mitglied der Duisburger SPD und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). Dort ist er stellv. Vorsitzender der DIG-Arbeitsgemeinschaft Duisburg-Mülheim-Oberhausen. Jurga ist zudem Autor bei den Ruhrbaronen.
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