California here I come: Reisebericht Teil VIII – Joshua Tree und Big Sur

Unser Autor berichtet von seiner Fahrt durch Kalifornien. Heute geht es weiter durch den Joshua Tree Park und die Pazifikküste entlang in Richtung Monterey. Doch, Christopher hat auch die Stadt der Engel besucht. Ein ausführlicher Bericht aus Los Angeles  folgt in Kürze.

Joshua Tree

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Palmen, genannt Joshua Tree (fotos: christopher weber)

Auf der Fahrt zum Joshua Tree Park spielte das Radio zweimal U2-Hits von 1987, „Where the streets have no name“ und „I still haven’t found what I’m looking for“, immerhin. Ansonsten hat weder die Landschaft noch der Menschenschlag noch die Politik viel mit Irlands saftigen Weiden und knorrigen, traditionsverbundenen Menschen zu schaffen, wie sie H. Böll im „Irischen Tagebuch“ beschreibt, oder der unseligen Geschichte des britischen Kolonialismus und des IRA-Terrorismus zu tun, außer vielleicht dass Arnold Schwarzenegger, weil er kalifornischer Gouverneur und Hollywoodstar ist, auch wie U2 der Popkultur entstammt.

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Das Tal vom Joshua Tree Park

Der Joshua Tree Park ist skurril. Wie der Name besagt, ist die Hauptattraktion diese durch Siedler einer protestantischen Sekte angepflanzte Palmenart, eben der biblisch benannte Joshua Tree, der bizarr mit seinen Ästen Raum greift. Diese Palmen stehen in einem weiten Tal, das viele verschiedene Steinschichtungen und Steintempel für den Touristen bereithält. Die US-Amerikaner lieben ja das Freiklettern an senkrechten Felswänden wie im Hidden Valley und von diesem Extremsport profitiert der Nationalpark ganz ungemein.

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Die San Andreas Spalte

Von Ryan Mountain (1664m) aus kann man hoch über dem Tal die wunderschöne Aussicht genießen und wenn man das Tal durchquert hat, steht man auf der anderseitigen Anhöhe der Little San Berardino Mountains auf Keys View (1581m), unter welcher das gewaltige Tal der Sankt Andreas-Falte auf Meereshöhe verläuft. Jedes Jahr driftet hier das übrigbleibende schmale Stückchen von West-Kalifornien westlich der Falte mit der pazifischen Kontinentalplatte 5m weiter in den Pazifik weiter ‚gen Westen, wohingegen es den US-amerikanischen Kontinent nach Osten zieht.

Big Sur

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Typische Küstenlandschaft am Pazifik

Big Sur heißt die Küstenstraße, die sich von Santa Mónica nach Norden schlängelt, Richtung San Francisco, und recht gut das Lebensgefühl der Red Hot Chili Peppers zu bebildern scheint. Die pazifische Serpentine ist schön zu fahren und gewährt von etwa 100 bis 300m Höhe spektakuläre Ausblicke auf die Küstenlinie mit ihren steilabfallenden Hängen der nahebei stehenden Berge, die zum Strand hin ausrollen.

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Pazifikstrand

Es ist im eigentlichen Sinn keine Steilküste, wie sie bei der Panamericana Sur ab der chilenischen Atacama-Wüste bis hinunter nach Santigao de Chile zu finden ist, wo das Gelb der Wüste wunderschön dem Azurblau des Ozeans konstrastiert. Dafür aber taucht die langsam untergehende, vergleichsweise nördliche und deshalb schief einstrahlende Sonne die Umgebung in ein weiches Licht, in ein seltsam strahlendes Grün der Flechten, in bordeaux-rotes Büschelmoos an den Hängen.

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Ein romantischer Sonnenuntergang am Pazifik (gerade ohne Sonne)

Die Big Sur endet bei Monterey, einer schmucken, hübschen Kleinstadt, deren Attraktion das Monterey Bay Aquarium ist. Für Familien sicherlich ein Muss, da die Ausstellung v.a. didaktisch für Kinder aufbereitet ist. Dadurch allerdings wirken manche Säle z.B. zur menschen-mitverursachten Klimaerwärmung eher penetrant wie von Greenpeace gestaltet als von einem privat-kommerziellen Anbieter zum Vergnügen des zahlenden Publikums. Man fühlt sich jedenfalls belehrt, wenn man das Aquarium verlässt. Dafür entschädigt ein ästhetisches Gegengewicht zum Biologieunterricht mit der Gallerie, wo asiatische, feuerspeiende Seedrachen, bunt-glitzernde Quallen und possierliche Seepferdchen in den Aquarien schweben – wirklich eine schöne andere Welt.

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Chinesischer Seedrache im Aquarium

California here I come: Reisebericht Teil VII – Death Valley Part Two

Unser Autor berichtet von seiner Fahrt durch Kalifornien. Heute geht es weiter durchs Death Valley, das Tal des Todes, wie immer mit vielen Gedanken, die übrigens jedem Enthusiasten in den Weiten des US-amerikanischen Westens einfach zufliegen. Die zahlreichen Fotos im heutigen Bericht sind der einzigartigen Landschaft geschuldet.

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Blick in das nördliche Death Valley (fotos: weber)

Das Leben ist ein Kreis. Von wo immer aus man startet, doch zieht es einen wie einen Verbrecher wieder an den ursprünglichen Tatort zurück. Im Tal des langgestreckten, nach Süden hin versinkenden Death Valley, das abschüssig und in sich zum Horizont wie eine schiefe Ebene gedreht ist, befindet sich eine Oase, in der sich salzresistente Süßwasserfische finden sollen. Sobald das Death Valley von Regen heimgesucht wird, was natürlich selten der Fall ist, überschwemmen von einem nördlich des Tals verlaufenen Fluss periodische Lachen auch das Death Valley, sodass diese besagten Fische einwandern können, die es hier sogar in der sommerlichen Bratpfanne, in die sich das Tal verwandelt, aushalten können. Dem geübten Biologenblick erschließen sich laut Hinweisschildern zig Faunaarten, die sich hier spezialisierten und adinierten.

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Das südliche Death Valley

Jenseits des Salzsees, der bei Bad Water 88m unter NN hinabfällt, was in der westlichen Hemisphäre der tiefste Punkt sein soll, wie Schilder dort stolz verkünden, befindet sich am südlich erschlossenen Rand des Tals die Durchfahrt durch den Kessel, der am berühmten Zabriskie Point vorbeiführt, der zum Spielort des mythischen Ziels eines gleichnamigen Road Movies der 1960er Jahre wurde. Eine verwunschene Landschaft mit den dunkelgelb bis ockerfarbenen Sandsteinhügeln tut sich auf, die einer Grattage Max Ernsts gleichkommen.

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Das südliche Death Valley

Ein letzter Blick ins Tal gewährt Dante’s View. Auch dieser Aussichtspunkt beweist ein ums andre Mal, wie begeistert im Grunde genommen die Namensgeber fürs Diabolische waren. Die Geier fehlten am Zabriskie Point. Das Unheimliche des Orts hat sich jedoch für uns Autoreisende ins Seltsame verkehrt, weil wir die Natur im Durchmessen des Raums beherrschen und das Klima des Tals für uns keine Gefahr mehr darstellt, wie für den Trapper vergangener Zeiten, der sich ins Tal verirrt hat, um dort an Hitzeschlag zu sterben, da im Innern im Sommer Temperaturen bis zu 54 Grad Celsius gemessen wurden.

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Blick auf die Death Valley Bergkette von Dante’s View

Nun man nach Westen dem weißen Mittelstreifen folgt, erscheint am Horizont der Ebene ein monumentaler Bergrücken, abgeschnitten von den rings umgebenden schokoladenbraunen Kordilleren, der in der Weite der abfallenden Ebene unverrückt im Raum wie eine riesige Raupe zu schweben scheint und sich stetig vergrößert, auch weil man genau drauf zurollt.

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Die „Raupe“ im östlichen Nachbartal des Death Valley

Anscheinend hat ein surrealistischer Künstler hier im Nirwana sein Ready Made abgestellt, um den Raumsinn zu kitzeln. Dahinter springen irgendwo weiße Kordilleren zur Untermalung des heroischen Gesamteindrucks in die Höhe.

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Blick von Ost nach West über das Death Valley auf die Sierra Nevada (im Hintergrund)

California here I come: Reisebericht Teil VI – Death Valley Part One

Unser Autor berichtet von seiner Fahrt durch Kalifornien. Heute geht es durchs Death Valley, das Tal des Todes, wie immer mit vielen Gedanken, die übrigens jedem Enthusiasten in den Weiten des US-amerikanischen Westens einfach zufliegen. Tipp: selber ausprobieren.
Blick auf die Bergkette im Westen. Dahinter beginnt das Death Valley. (fotos: weber)
Blick auf die Bergkette im Westen. Dahinter beginnt das Death Valley (fotos: weber)

Hinter Low Pine biegt die Straße quer zum Längstal ab und zielt in der Diagonalen südlich, wo die Hügel einen Einschnitt setzen, der den Zugang zum Nachbartal des Death Valley eröffnet. Death Valley ist eines von vielen Tälern, die im südlichen Kalifornien der Sant Andreas-Graben gerissen und zusammen- und hochgestaucht hat, aber es steht mit seinem mystischen Namen für die grandiose Landschaft, die sich einem bereits bei der Einfahrt von Norden her anbietet.

Beim Durchqueren des Nachbartals passiert man eine endlos erscheinende, schnurstracks auf die Westflanke des Death Valley zulaufende Straße, die tiefer und tiefer von der Passhöhe hinabrollt, bis auf dem Grund dieses Tals auch ein Wüstenstreifen zu durchqueren ist. Sobald man die Westflanke mit spektakulären Serpentinen erklommen hat, kann man von oben weit in den Westen schauen und die weiße Sierra Nevada mächtig aufragen sehen. Im Osten erheben sich ebensolche Drei- bis Viertausender weiß am Horizont. Der Kontrast von weiß zum Schokoladenbraun der Berge umher nimmt sich interessant aus, zumal wenn die Weite des Death Valley nach Norden sich entspannt, nachdem die Schussfahrt zum Talboden begonnen hat. Die Einfahrt ins Tal gibt atemberaubende Aussichten preis und ist die Reise sicherlich wert; ständig möchte man aussteigen, um noch und noch ein Foto zu schießen.

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Das Nachbartal des Death Valley

Im Nachbartal des Death Valley
Weit geschwungen treten die das Tal flankierenden Berge zurück und man ahnt, wie verheerend es gewesen sein muss hier mit letzten Kräften und ohne Wasser unterwegs gewesen zu sein. Im Winter stieg die Temperatur im Tal auf 20 Grad an; im Sommer soll es eine schmorende Hölle sein.

Einfahrt vom westlichen Pass ins nördliche Death Valley
Auf halbem Weg bei der Umrundung der nach Norden hin vorgelagerten Felsnasen kann man bei Sanddünen stoppen, in denen auch eine Szene des „Doors“-Film von Oliver Stone (1992) spielt. Tatsächlich wirkt die Szenerie bizarr und unwirklich, wenn man in den Dünen herumkrabbelt, als sei man bei Bordeaux auf einer kleineren Dune du Pilar an der französischen Atlantikküste, während der Ausblick ins Tal fantastisch ist: braune Bergrücken, weiß gepuderte Kordilleren an den Spitzen. Von einem Schau-Ins-Land, dem Aussichtspunkt San Antonio, kann man den herben Charme dieser seltsamen, dieser entrückt anmutenden Landschaft wohl am besten genießen: Vor einem springt das Tal in die Tiefe, dahinter weitet es sich bis zur Ferne der Berge des Talkessels, darüber steigen im zweiten oder dritten Paralleltal die weißen Ketten anderer Bergmassive und beiseite zieht sich die Nord-Süd-Achse des Death Valley mit den paar aus der Kargheit des Raumgebildes hervorstechenden, unterscheidbaren, dann eben auch touristischen Anlaufpunkten.

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Die Dünen im nördlichen Death Valley

Die Dünen im nördlichen Death Valley
Es ist ein der Zivilisation enthobener Ort, damit tendenziell mystisch und spukig, wovon die religiöse, protestantische Namensgebung für bestimmte Anlaufpunkte im Tal zeugt und welche Aura ihm dann die Popkultur der Hippies gegeben hat. So liegt etwa neben den Dünen das so getaufte „Devil’s Cornfield“, wohl wegen der seltsamen Kakteen, die mitten im salzigen Wüstenboden wachsen. Death Valley ist und bleibt eine Erfahrung des Fremden, deren Stachel allerdings zu brechen droht, indem die popkulturelle Auratisierung und der Massentourismus sie allzu leicht komensurabel zum Massenkonsum zurichtet – in den USA muss alles konsumierbar sein, sonst ist es wertlos. – Und nur breite und weite Täler ohne Glanz? Die gibt es in ganz anderen Raum-, v.a. Höhendimensionen in Südamerika in sagenhafter Hülle und Fülle, nämlich bei La Paz im 250 km breiten Hochgebirge der Anden. Die aber sind von den Bilderwelten des Kinos bisher noch unberührt geblieben.

Death Valley vom Ausgangspunkt San Antonio
Death Valley vom Ausgangspunkt San Antonio

California here I come: Reisebericht Teil V – vom Mammoth Lake zur Sierra Nevada nach Low Pine und zum Death Valley.

Unser Autor berichtet von seiner Fahrt durch Kalifornien. Seine Betrachtungen veröffentlichen wir hier. Heute geht es durch die Sierra Nevada, wie immer mit vielen Gedanken, die übrigens jedem Enthusiasten in den Weiten des US-amerikanischen Westens einfach zufliegen. Tipp: selber ausprobieren.

Wintermärchen am Lake Mary. (fotos: weber)
Wintermärchen am Lake Mary. (fotos: weber)

Endlich am Mammoth Lake
Spät nachts kam ich endlich in Mammoth Lake an. Mammoth Lake ist der Inbegriff des Skigebiets in der östlichen Sierra Nevada und besticht durch Aussichten wie aus dem Prospekt: Graue Bergketten, die unterm Schnee versinken; die Loipen führen um vereiste Gletscherseen wie die Twin Lakes oder Lake Mary herum unter schattigen, vor Eisstarre knisternden Nadelhölzern. Vom azurblauen Himmel scheint eine milde Wintersonne vor Senkrecht aufragenden Feldwänden und felsigen Kuppen und Graten. Wahrlich eine Winteridylle, die sich einem hier auftut, wenngleich der Ort touristisch überlaufen erscheint.

Schau-Ins-Land bei Mammoth Lake
Schau-Ins-Land bei Mammoth Lake

McCarthy und die deutsche Immigration
Jeder Besucher aus den großen Städten der Ostküste versicherte mir, nur weg zu wollen von den Massen, die hier um den Lift, dort vorm Bus anständen. Der Tourist mag seinesgleichen wohl nirgends. Einer aus Boston meinte, als das Thema auf die deutschen Exilierten während des Hitlerismus fiel, für sie US-Amerikaner wären eh nur Nazis gekommen. Daraufhin meinte ich, dass vor allem Sozialdemokraten in die USA exiliert seien, da der McCarthy-Ausschuss für „unamerikanische Umtriebe“ die Kommunisten abgeschreckt oder so schikaniert hätte, dass sie lieber freiwillig nach Mexiko unter dem liberalen PRI-Präsidenten Cardenal Carranza geflohen wären. Ein beistehender Snowboarder aus San Diego meinte kleinlaut und zerknirscht, sodass man sich selbst schlecht fühlte, man lebe halt im „Cultureless West“. Der Bostoner baute seinen Landsmann auf: Na ja, man wolle nicht streiten, in Boston gäbe es alles, viele Museen, an der Ostküste gäbe es alles.

Blick in die Ferne über Mammoth Lake auf die Sierra Nevada
Blick in die Ferne über Mammoth Lake auf die Sierra Nevada

Die Landschaft – bizarr und mächtig
Die Weiterfahrt entlang der Sierra Nevada entblättert die ganze Naturschönheit der Landschaft, die durch ihre Bizarrerie bezaubert, durch die sie den Blick verfremdet und dadurch fasziniert. Seltsam ist die Anmutung eher als überwältigend, was in Südamerika wegen der aufschießenden Höhe und ausrollenden Breite der Berge der Fall ist. Eher schlägt eine Mischung aus Menschenfremdheit und Erhabenheit in den Bann als eine rauhe, schroffe und rohe Natur anderer, gewaltigerer Bergwelten Südamerikas. Bizarr, auch ‚mal mächtig, wirkt die Landschaft und wo die Berge an Höhe gewinnen durchaus auch prächtig, aber mit Maßen. Verschwendet hat sich die Natur hier vor allem in die Weite der Täler und ausschwingenden Abhänge der Anhöhen.

Unterwegs zur Sierra Nevada
Unterwegs zur Sierra Nevada

Ungleichzeitigkeiten: Schnee und Wüste
Während die schokoladenbrauen Hügelspitzen linker Hand verpudert eingeschneit waren und die Sierra Nevada auf der andern Seite des Tals weiß erstrahlte, schoss die Landstraße hinab in die schief zwischen Himmel und Erde sich windende Senke, in der die Temperaturen unwirklich frühlingshaft anstiegen. Nach einer dreiviertel Stunde Fahrt wechselte man von einem Klima von 3 bis 4 Meter hohem Schnee zur Wüstenlandschaft an einem lauen Sommertag. Die Täler östlich der Sierra Nevada gehen unglaublich in die Breite, wobei der bezaubernde Anblick der Berge stets mit ihrer Wildheit lockt. Hier gehen Kinderträume, gespeist von den seligen Stunden der Lektüre Karl Mays, in Erfüllung. Man meint am Horizont hoch oben in den Bergen John Wayne, Erol Flynn, Geary Cooper, James Steward, Kirk Douglas oder Clint Eastwood reiten zu sehen und hört die Filmmelodien für Millionen, jene berauschenden, anschwellenden Akkorde mit Obertönen aus zig Western, die gleich einem Wellengang branden, just dann, wann die Bergszenerien und Landschaftspanoramen eingeblendet werden.

weiterhin unterwegs zur Sierra Nevada
weiterhin unterwegs zur Sierra Nevada

Hier nächtigten John Wayne und Erol Flynn
Nach einer gemächlichen Fahrt immer ‚gen Süden kommt der Reitende, pardon Reisende, irgendwann nach Low Pine, einem in den Fassaden der Hauptstraße nachempfundenden Westernnest, in dessen Grand Hotel eben John Wayne und Erol Flynn in den 1950er Jahren zu Drehs in den Bergen nächtigten. Nun große Teile der Filmindustrie des Konkurrenzkampfs wegen aus New York nach Los Angeles seit 30 Jahren übergesiedelt waren, zog es die Kamerateams zur hohen Zeit des Westerns in die nahen Berge, wo die Stars ihre Triumphe in den 1950er und 60er Jahren feierten. In Low Pine schmeckt das ortsübliche Steak saftig, das Bier ist kühl und herb, das Frühstück ist deftig und hält bis zum Abend vor – und Revolverhelden habe ich keine gesehen.

Die Sierra Nevada bei Low Pine
Die Sierra Nevada bei Low Pine

Mt. Whitney – 4421 Meter über NN
Die Bergkulisse um Low Pine bietet wohl auch den höchsten Berg in den kontinental-zusammenhängenden USA (außer Alaska), den Mt. Whitney, der sich aber aus dem Talgrund wohl nur 1828m erhebt, weshalb er die Bergkette um Low Pine kaum überragt, obwohl er über NN 4421m aufsteigt. Überhaupt ist die Landschaft mehr durch ihre behäbige Breite als Höhe charakterisiert, wie ja insgesamt der nordamerikanische Kontinent sehr in der Erstreckunng auseinandergeht.

Sierra Nevada (im Hintergrund) vom Death Valley aus gesehen.
Sierra Nevada (im Hintergrund) vom Death Valley aus gesehen.

California here I come: Reisebericht Teil IV – Gedanken auf dem Weg zum Mammoth Lake

Unser Autor war auf  Tour. Diesmal in Kalifornien. Seine Betrachtungen über Kalifornien veröffentlichen wir unter der Kategorie „Kalifornien“. Die winterliche Fahrt zum Mammoth Lake verführte Christopher zu allerlei Gedanken über die Rolle der USA auf der Weltbühne der Politik. Wer sich nicht anstrengen will, sollte dieses Kapitel der Reise tunlichst nicht lesen. Alle anderen sind zu Widerspruch, Zustimmung  oder stillem Lesen eingeladen.

29.12. und 30.12. 2010 zwischen den Jahren: Mammoth Lake

Die projektierte kurze Fahrt von Merced nach Mammoth Lake entwickelt sich mit zunehmender Dauer zum Abenteuer, denn die Pässe der Sierra Nevada sind just zwischen den Jahren, an diesem Tag, von einem Schneesturm heimgesucht worden. Zum Teil liegt der Schnee fünf Meter hoch, sodass selbst mit Schneeketten an kein Durchkommen zu denken ist.

Unterwegs mit Schneeketten.
Unterwegs mit Schneeketten.

Schneeketten und Umwege
Nachdem der erste Versuch der Passüberwindung gescheitert ist, kaufte ich nach gutgemeintem Ratschlag beim Kaffee im nächstbesten Kleinindustriezentrum vor den Toren der Stadt Schneeketten und setzte die Fahrt nach Norden fort. Man sagte, im Notfall müsse man bis nach Reno in Nevada fahren, also einmal um die Höhen der Bergkette herum, um dann wieder nach Süden zu cruisen. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach sei der nächste nördliche Pass frei. Das war nicht der Fall und so ging es bei Radiounterhaltung stundenlang gen Norden.

Aus dem angepeilten Sommerurlaub im Golden State wurde ein osteuropäischer Winter.
Aus dem angepeilten Sommerurlaub im Golden State wurde ein osteuropäischer Winter.

Die US-amerikanischen Medien und der Krieg
Das Radio wie das Fernsehen vermitteln einem oft ein Amerika, das leider das Bild der Gesellschaft im Ausland bestimmt: Denn zum Großteil wird dort über das politische Establishment berichtet und das führt zum Leidwesen vieler Nationen in mehreren Ländern derzeit einen noch von George W. Bush ausgerufenen „War on Terrorism“. In den politischen Diskussionen des Radios fällt einem jedenfalls der ungemein kriegerische, ja militaristische Ton auf, indem allen Ernstes z.B. abgewogen wird, ob es besser sei, mit China zu kooperieren oder es militärisch zu bekriegen. Dabei belebte besonders die durch zugeschaltete Zuhörer bereicherte Diskussion die Frage, ob man diesen Krieg mit konventionellen, biologischen oder atomaren Waffen führen solle. Man meint, seinen Ohren nicht recht trauen zu können, zumindest wenn man aus Europa kommt. Man meint erst, man habe sich verhört oder es wäre ein Hörspiel gewesen in der Machart Stanley Kubricks „Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, in dem die Kalten Krieger der McCarthy-Ära herumpoltern, so etwa wie es die Realitätstäuschung gab, als H.G. Wells „Krieg der Welten“ ausgestrahlt wurde.

Der militärisch-industrielle Komplex
Aber es ist auch eine Realität im Lande, dass der ‚militärisch-industrielle Komplex’, wie ihn W.D. Eisenhower in den 1950er Jahren taufte und vor dessen politischer Macht er eindringlich im Falle des Koreakrieges warnte, offenbar seine Claqueure in einflussreichen, öffentlichkeitswirksamen Institutionen positionieren kann.

Die Plutoktatie hat die Medienmacht
Im Friscoer „Green Tortoise“ war man sich bei politischen Diskussionen Recht schnell einig, dass George W. Bush kein bedauerlicher Wahlfehler war, sondern die empirischen Verfassungsverhältnisse der Realität widerspiegelt. So herrsche in den USA eine Plutokratie, deren politischer Führungszirkel die Medienmacht besäße, den politischen Willen großer Teile des Volks zu manipulieren, was an die „Pressur group theory“ der 1960er Jahre erinnert, wonach die aktiven Gruppen in der Gesellschaft in den Städten wegen der Trägheit der großen Masse mehr Chancen zur Durchsetzung ihres Willen, also politische Macht, hat als eben die passive Masse, die keine Themen setzt.

So manipulierte der Bush-Clan seit Jahr und Tag, da ihm einflussreiche Fernsehsender zu Großteilen gehörten, was an das politisch heruntergekommene Italien Berlusconis anklingt. Zur Fatalität gerate das politische Desinteresse des inneren Amerikas zwischen den Küsten und des Bible Belts im Süden, da Bush und Co. in Washington mit der Rüstungsindustrie verschwägert wären, wie der Durchschnittsamerikaner in San Francisco meint.

Die kriegerische Nation: von der Monroe-Doktrin zur systemkonfrontativen Weltmachtpolitik
Die an Krieg gewöhnte und auch kriegerische Nation, muss man wohl sagen, kennt den Krieg nicht als Ultima Ratio der Politik, sondern scheint alteuropäisch in Jean Bodins Glauben an den gerechten Krieg und frühmodern (bis zum 1. Weltkrieg) an den Krieg als verlängertes Mittel der Politik verfangen zu sein, bei dem der Zweck die Mittel heiligt. Gar nicht erst seitdem Bush dem „War on Terrorism“ einen Kreuzzugscharakter gegen die Moslems gab, sondern von Beginn des 20. Jhs. an, nachdem der Aufstieg der USA zur Weltmacht besiegelt war: Die USA waren immer weniger der Monroe-Doktrin gefolgt, hatten sich stattdessen zur Franklin D. Roosevelt-Politik der Einmischungsstrategie durchgerungen, zunächst nur verschwiemelt in der Wirtschaftspolitik. Bald schon verteidigten sie dann offen die demokratischen Werte im faschistischen Europa und bekannten sich, einmal in den Sog des Kalten Kriegs gezogen, zur imperialistischen, zumal systemkonfrontativen Weltmachtpolitik.

Der Krieg und die Umverteilung der Steuergelder
Dagegen, gegen diese imperiale Rom-Attitüde der politischen Kreise scheinen Vernunftgründe seit je vergeblich, wo doch allgemein bekannt ist, dass es in einem Staat keine größere Verschwendung des Volksvermögens gibt als die Rüstungsausgaben. Wie aus dem Lehrbuch der Politikwissenschaft führte die Regierung unter G.W. Bush vor, wie unter der Schürung eines Bedrohungsgefühls eine Umverteilung der Steuergelder von unten nach oben, in die Kassen eben besagten militärisch-industriellen Komplexes stattgefunden hat.

Nur sehr wenige profitieren nämlich von Rüstungsgütern, die im Gegensatz zum Staatsinterventionismus nach John Maynard Keynes in die Infrastruktur den lokalen Wirtschaftsbranchen verzögert zu Gute kommt und sich schließlich in den blühenden Landschaften des öffentlichen Raums materialisiert, den alle Staatsbürger genießen können, sei es in Bibliotheken, Schwimmbädern, schönen Innenstadtplätzen, Straßenbeleuchtungen etc.pp.

Der Konsum von Rüstungsausgaben besteht im großen Morden
Der Konsum von Rüstungsausgaben hingegen besteht im großen Morden in Weltteilen, von denen in Amerika der Großteil so wie Bush in einem Auftritt in einer TV-Show nach den Anschlägen vom 11.9.2001 nicht anzugeben wüsste, wo sie auf der Weltkarte überhaupt liegen; im Falle Bushs war es Afghanistan, dem er gerade den Krieg erklärt hatte. Unproduktive Rüstungsausgaben aber, wofür aus der Staatsverschuldung verzinste Staatsanleihen aufgenommen werden müssen und dem öffentlichen Sektor Steuergelder entzogen werden, führen zur Inflation und damit zur Schädigung der Volkswirtschaft bis hin zum Kollaps. Mit zunehmender Staatsverschuldung für Kriegszwecke steigt der Druck, den Geldmengenumlauf durch Geldnachdruck der Notenbank anzuheben, um so die verschwendeten Milliarden wieder in den zivilen Sektor zurückzugeben, und damit entsteht eine Inflation. So ist es kein Zufall, dass die Weltwirtschaftskrise 2008 einer bis dahin in einem demokratischen, modernen Staat beispiellosen Verschwendung öffentlicher Mittel für kriegsvorbereitende Zwecke folgte, der Aufrüstung für zwei Irakkriege und einen in Afghanistan.

Vom Krieg zur Weltwirtschaftskrise
Zwar mag die 2008er Weltwirtschaftskrise auf der Oberfläche durch private Überschuldung und ungedeckte Kreditvergabe, durch Börsenspekulationen, dem ganzen Klein-Klein des Fachchinesisch wie der „moralisch“ verpönten Geldvernichtung durch Hedge-Fonds, aber vor allem dem schieren Volumen des Börsenkapitals, das sich von dem Realwert der Wirtschaft losgelöst hatte, ausgelöst worden sein – soweit die bürgerlichen Medien. Aber die Mentalität, alles auf ungedeckten Pump zu kaufen, eben auch die die Krise auslösenden Immobilien, ist staatlicherseits angeheizt worden, um die Inflation, die durch die Staatsverschuldung ausgelöst worden war, durch stetes Wirtschaftswachstum infolge steigenden Massenkonsums zu kompensieren.

Die aktuelle Wirtschaftsideologie des Massenkonsumismus und damit hoher Steuereinnahmen wurzelt wiederum in ungebrochen immensen Ausgaben fürs Militär, die Rekordmarken unter dem schauspielernden Präsidenten Ronald Reagan erreichten. Zuletzt wurden sie in Friedenszeiten prozentual wohl nur im absolutistischen Frankreich des Sonnenkönigs Ludwig XIV. im 17. Jh. übertroffen, wo damals über Jahrzehnte hinweg ca. die Hälfte des Staatshaushalts in das neu eingerichtete stehende Heer investiert wurde.

Die Reagan-Regierung hob die Rüstungsausgaben in den 1980er Jahren auf über 250 Mrd. US-Dollar kontinuierlich an, um den Ostblock totzurüsten, was ja dann mit dem wirtschaftlichen Kollaps der Sowjetunion 1991 gelang, die zuletzt bis auf 200 Mrd. US-Dollar Rüstungsausgaben mitzog. Die Nachfolgeregierungen unter George Bush, Bill Clinton und George W. Bush froren die Rüstungsausgaben sodann nicht etwa ein, sondern erhöhten sie auf 400-500 Mrd. US-Dollar pro Jahr.

Im Vergleich zu den europäischen Mittelstaaten, die etwa 40 bis 50 Mrd. US-Dollar pro Staat (ca. 15-20% des jährlichen Staatshaushaltes) für ihre Rüstung ausgeben, mutet dieses amerikanische Projekt wie ein Rausch in Größenwahn an, ein neues imperiales Rom.

Krieg: die Lüge verschafft sich subjektiv in den Bedrohungsgefühlen ihre eigene Realität
Vor Augen halten muss sich dabei immer wieder, dass dieses Land nie Krieg auf eigenem Boden geführt hat und das es nie durch seine Nachbarn auf dem eigenen Kontinent bedroht wurde. Im Gegenteil haben die US-Amerikaner den Mexikaner 1854 die halbe Landfläche abgepresst und so viel Elend nach Lateinamerika des 20. Jhs. exportiert. Die Bedrohungsfantasien, zu deren Züchtung und Verbreitung sich die US-Gesellschaft eigene Ministerien wie das Department of Homeland Security 2002 aufgebaut hat, scheinen wie eine schizophrene Abspaltung des schlechten Gewissens, weil sie kaum vollständig verdrängen kann, dass sie lügt, weil es keine Feinde gibt, außer die, die sie sich durch ihre eigene Feindseligkeit herangezüchtet hat. Nun diktiert unterbewusst als Schutzmechanismus das schlechte Gewissen, man solle an die eigene Lüge auch konsequent glauben, nicht nur um vor sich selbst aufrichtig dazustehen, sondern auch weil der Schaden schon immens geworden ist. Dadurch verschafft sich die Lüge subjektiv in den Bedrohungsgefühlen ihre eigene Realität. Auch dies verhindert eine vernünftige US-Politik, nämlich schlicht die Truppen rund um den Globus abzuziehen und mit der Welt Frieden zu schließen.

Kein US-amerikanischer Krieg nach dem 2. Weltkrieg hat irgendetwas mit Demokratie zu tun
Es ist überhaupt verwunderlich, wie ungebrochen ignorant offensichtlich die amerikanische Volksseele am großen Morden in Übersee festhält. Kein US-amerikanischer Krieg nach dem 2. Weltkrieg hat irgendetwas mit Demokratie, oder was die US-Amerikaner dafür halten, zu tun (wodurch ein Krieg in Augen der USA zum gerechten, zum missionarischen Krieg für Werte würde) oder hätte in der Praxis irgendetwas gebracht außer zerstörte Länder und Gesellschaften. Das war in Korea und erst recht in Vietnam so, bei diesen blutigen, Millionenopfer fordernden Stellvertreterkriegen im Kalten Krieg; das ist in Afghanistan und Irak so, bei diesen Kriegen um territoriale Hegemonie im Wettlauf um die Rohstoffressourcen Erdöl und Erdgas. Mit dieser Politik abgehalfteter Raubritter, die vor der ideellen Verarmung edle Werte vertreten hätten, sagen wir einmal unhistorisch für die Mittelaltermetapher Demokratie, schaffen die US-Amerikaner nur eins, nämlich die traurige Gesetzmäßigkeit zu verlängern, dass nach dem 30-Jährigen Krieg, seit den Kabinettskriegen des Absolutismus die Zahl der Opfer unter Zivilisten von Krieg zu Krieg anstieg, bis hin zu Vietnam mit einem Anteil von 90% der Zivilbevölkerung. Bis jetzt fehlen wegen der Militärzensur aussagekräftige Zahlen der US-Feldzüge in Nahost.

Schwärmer und Pazifisten
Nur Schwärmer und Pazifisten könnten abstreiten, dass es reale Gefahren gäbe? Das deutsche Beispiel zeigt sehr deutlich, dass unsere Freiheit nicht am Hindukusch verteidigt wird, sondern unsere wirtschaftlichen Interessen im „Newest Deal“ des Hegemoniestrebens nach den Schlüsselrohstoffen des 21. Jhs., wie ja der dafür zurückgetretene Bundespräsident Horst Köhler unverblümt gesagt hat. Deutschland war relativ als „ehrlicher Makel der Interessen“ bis in die 1990er Jahre geachtet, weil es infolge seines nicht-souveränen Status bis 1990 keine außenpolitischen Ambitionen haben konnte. Seitdem der Krieg in Afghanistan im Gange ist, ist Deutschland vom Terrorismus bedroht, nicht umgekehrt, wie die staatliche Masche der medialen Maschinerie der Angst uns weismachen will.

Costa Rica – es geht auch anders
Das es auch anders geht, zeigt das demokratische Costa Rica, das das Militär 1949 per Verfassung abgeschafft hat und friedlich seit Jahrzehnten lebt, obwohl ringsum durch die USA angezettelte und bis zum bitteren Ende durchgefochtene Bürgerkriege in dem US-Hinterhof Mittelamerika tobten. Das internationale Konzern-Direktorium des Wachstums, auf den sich die herrschenden politischen Eliten in offenen Stunden berufen – ist es eigentlich Ihr Wachstum, geneigte Leserschaft? Ist es das Wachstum der Volkswirtschaften der entwickelten Welt, deren Arbeitslosenzahl wächst, deren Sozialstruktur von Jahr zu Jahr prekärer wird, deren Neue Armut den Parolen der Bosse Hohn spricht?

Das Ende der Geschichte?
Nach dem Ausruf des Endes der Geschichte (Francis Fukuyama 1992) – eigentlich nur dem neoliberalen Ausstieg aus der Geschichte, der den Protest dagegen delegitimierte, nachdem der Kommunismus kollabiert war – nach diesen zwei verlorenen Dekaden der Geschichtsverdrängung, derzufolge die altliberale Heilslehre doch Recht gehabt hätte, wonach der gerechte Tausch und die Konkurrenz, also der Utilitarismus aller gegen alle wie an den Fäden einer unsichtbaren Hand den Wohlstand der Nationen fördern würde, ist es Zeit wieder in der blutigen Kontinuität der realen Geschichte aufzuwachen.

Bibelprediger und Massenpsychose
Durch den Schneesturm war es eine lange Autofahrt mit verschiedensten Radiosendungen, bei denen am obskursten immer noch die Bibelprediger waren. Deren Tonfall erinnerte mich jedesmal an eine Szene in einer Moschee in Damaskus: Eine Schar burkatragender Frauen fand sich im Moscheehof ein und ein Vorbeter sang mit steigender Erregung Koranverse. Nach einer Zeit stimmten die Frauen wie in Trance in eine Art Liturgie ein, die sich in steigerndes Geschluchze bis hin zu Schmerzensschreien Ausdruck verlieh. Die Situation war so beklemmend, dass nur der auf uns Giauren ausgestreckte Zeigefinger gefehlt hätte, und die Menge wäre auf uns zugestürmt, um uns in der Luft zu zerreißen. Eine ähnliche befremdliche, explosive, zwischen Wahn und Ritual taumelnde Atmosphäre der Massenpsychose, nun aber mit xenophoben Obertönen, erlebte ein Freund und seine Reisegruppe während einer rituellen Schächtung in einem Dorf in Algerien in den frühen 1980er Jahren. Als der Schamane die Kehle eines Schafes durchschneiden wollte, wies er die Blicke der Menge in Richtung Ausländer und bedeutete ihnen unter beifälliger Bekundung der Menge, sie wären die nächsten, dessen Kehle durchgeschnitten würde. Es gibt Urlaube, bei denen man froh ist, wenn sie vorbei sind und man das Land wieder verlässt.

Letzte Abfahrt Hoffnung - Wo sind die Palmen geblieben?
Letzte Abfahrt Hoffnung – Wo sind die Palmen geblieben?

Endlich gefunden: der Pass über die Sierra Nevada
Zu guter Letzt fand ich übrigens noch einen Pass über die Sierra Nevada bei Lago Togo. Der bezauberte durch eine Schneelandschaft, wie ich sie zuletzt im deutschen Mittelgebirge, im Sauerland im wirklich wundervollen Winter 2005/ 2006 erlebt hatte. Ich fühlte mich wie zu Hause, nur das die Berge zerklüfteter und reizvoller schienen; ein den Deutschen im Allgemeinen doch wurmendes Gefühl, was die Naturlandschaft anbelangt, nicht gerade gesegnet worden zu sein. Reizvoller noch gestaltete sich die Fahrt durchs Weiß, da ich auf einen sonnigen Kalifornienurlaub eingestellt war und mich mitten in ein Wintermärchen versetzt sah.

California here I come: Reisebericht Teil III – Yosemite Valley

Half Dome-Fels (foto: weber)
Half Dome-Fels (foto: weber)

Yosemite Valley ist einer der berühmtesten Nationalparks der USA, den ein jeder mitnehmen muss, und doch hatte er für mich einen Sauerlandeinschlag, da Schnee lag und es regnete, sodass bald schon nach der ersten Wanderung zum Half Dome am Mirror Lake meine Schuhe durchgeweicht waren.

Schiefergrau und weiß – was ja im Sauerland wegen der gleichgeeichten Baugenehmigung, damals um den heimischen Schieferabsatz zu protektionieren, heute um konform zu bauen, das Auge in den langen Sauerländer Wintermonaten so sehr beleidigt und quält – also weiß und schiefergrau ist der Farbton, der durch die Nebelschwaden immerhin milchig gedämpft wird.

Die Landschaft ist herb, wenngleich die Felsformationen nicht wuchtig und übermächtig daherkommen, sondern vergleichsweise noch recht handlich beim El Capitán. Vom Upper Fall hat man einen sehr schönen Ausblick ins Tal, das sich in die ehemaligen Gletscher hineingefräßt hat. Beim serpentinartig sich schlängenden Aufstieg erwartet man wie im Film den Braunbären um die Ecke tapsen.

Yosemite Valley
Yosemite Valley

 

California here I come: Reisebericht Teil II – Merced: Gedanken über eine amerikanische Kleinstadt

Unser Autor war wieder auf  Tour. Diesmal in Kalifornien. Seine Betrachtungen über und Erlebnisse in San Francisco haben wir mit vielen Bildern gespickt vor fünf Tagen veröffentlicht.  Heute fahren wir mit ihm in die kalifornische Kleinstadt Merced.

Merced …

Tatsächlich: „Gnade!“ möchte man in dieser zu breit geratenen Kleinstadt ausrufen, in diesem Nirgendwo zwischen Küste und Sierra Nevada, im Valle Central von Kalifornien.

Behäbig breit ergießen sich die Straßenzüge einem spanischen Schachbrettmuster folgend in die vier Himmelsrichtungen, an denen bungalowartige, einstöckige Einfamilienhäuser sich reihen. Hier lebt Mrs. Middle Mayority aus der Middle Class (des soziologischen Klassikers zur Werbeindustrie der 1950er Jahre von Vance Packard); in den Häusern, hinter den Fassaden, propere Sauberkeit und unschuldiges Seeleninterior gleich den gerahmten protestantischen Erbauungssprüchen, zum Teil gehäkelt, an der Wand.

Hier ist der weiße, angelsächsische Protestant zu Haus, den unüberbietbar Grant Wood im Schnappschuss-Potrait von „American Gothic“ (1930) eingefangen ist.

Aber mein Herbergsvater hier war nun ‚mal ein äußerst bemühter, höflicher und netter Mensch und seine Familie ebenso, sodass ich meine Vorurteile, zumindest als Tourist auf der Durchreise, nicht aufrecht halten mag.

Überhaupt ist eine pragmatische Hilfsbereitschaft, die Bürgersolidarität unter US-Amerikanern, an der Tagesordnung. Als ich nördlich San Franciscos im Landesinnern die Hügel Sausalitos mit dem Fahrrad überwinden wollte, um einen Nationalpark mit Mammutbäumen zu besuchen, stieg ich bei einigen Anhöhen der Steigung wegen ab. So ziemlich jedes sprichwörtlich zweite Auto, das mich passierte, bremste ab, fuhr langsamer und fragte, ob es mich und mein Fahrrad mitnehmen solle. So etwas würde in Deutschland nicht vorfallen, wo Kontaktsuche seitens Fremder eher als Belästigung, Gespräche dieser Art gar als Nötigung gilt.

Während der dreistündigen Fahrradtour hatte ich Wink- und Pfeifkontakt mit elf vorbeifahrenden Autos und dreimal Anfeuerungsgejohle daraus, viermal Small Talk mit auf der Landstraße anhaltenden Wagen und drei Gespräche mit anderen Fahrradfahrern und das alles, obwohl ich nicht die mindeste Anstrengung zur Kontaktaufnahme kommunizierte. Der öffentliche Raum gehört tatsächlich dem aufgeschlossenen Bürger und seinem ungezwungenen Plausch.

Auf dem Weg nach Merced. Die Golden Gate Bridge. (foto: weber)
Auf dem Weg nach Merced. Die Golden Gate Bridge und Hügel bei Sausalitos. (foto: weber)

Jedenfalls ist Merced im Prinzip nicht anders als deutsche Kleinstädte in der Pampa, aber virtueller wegen dieser Bauart des Fertigbau-Bungalows, was etwas billig wirkt, aber vielleicht deshalb erschwinglich und wahrscheinlich dem nomadischen Trieb der US-Amerikaner entgegenkommt, wohingegen der Europäer eher den Ruf trotz der neuen, modernen Mobilität genießt, sesshaft für Jahrhunderte zu werden, auch da man schlicht beim Häuserbau und -kauf, zumindest in Deutschland, arm wird und sich das nur einmal im Leben leisten kann.

California here I come: Ein Reisebericht Teil I – San Francisco

San Francisco von den Twin Peaks aus. (foto: weber)
San Francisco von den Twin Peaks aus. (alle fotos: weber)

22.-27.12. San Francisco

„It seemed like a matter of minutes when we began rolling in the foothills before Oakland and suddenly reached a height and saw stretched out ahead of us the fabulous white city of San Francisco on her eleven mystic hills with the blue Pacific and its advancing wall of potato-patch fog beyond, and smoke and goldenness in the late afternoon of time.“

(Jack Kerouac: On the road. NY 1976, S. 169.)

Diese „City by the bay“ atmet eine europäische Aura trotz ihrer Lage in den USA. Typisch amerikanisch an der Architektur ist gewiss Downtown vorne an der Landzunge, auf der Frisco erbaut wurde. Von den Twin Peaks aus erhebt sich zerbrechlich klein die Skyline auf der Landspitze. Aber dennoch strahlen die Hochhäuser jenen seltsam archaischen und brutalen Willen zur Selbstbehauptung aus wie viele US-Stadtansichten: Zwar prägt San Francisco der umgebende Naturraum, in deren grünen Hügeln von vielleicht 400 bis 700m im Norden über der Golden Gate Bridge und im Osten in Oakland und Berkeley sich die Skyline niedlich ausnimmt. Aber dieser steinerne Trotz geht nicht organisch in einem Natur-Kulturraum auf. In dieser Perspektive unterschiedet sich San Francisco eben qualitativ von Rio de Janeiro – mit dem es sich kaum vergleichen lässt, da dort weltstädtische Masse, was hier liebevolle Klasse ist – oder mit andern vom naturellen Lauf der Dinge so sehr gesegneten Städten, in denen beides, Natur und Kultur, organisch ineinander verwoben ist. Rio de Janeiro ist ein überbordender, wuchernder, fantastischer Tropentraum an Berg und Küste der Strände, deren Hochhäuser zu Spielklötzen vorm Atlantik-Regenwald der Berghänge inmitten der Stadt schrumpfen; Stefan Zweig krönte in seinem Hymnus auf die Stadt Rio de Janeiro zur schönsten der Welt, was vielleicht sogar nicht nur nach subjektivem Empfinden stimmt …

Downton San Francisco von den Twin Peaks aus
Downton San Francisco von den Twin Peaks aus

Zwar ist San Franciscos Skyline vergleichsweise niedrig und wirkt oft auch so wegen der umliegenden Hügel, aber der städtische Raum geht keine Symbiose mit dem Naturraum ein, sondern beschädigt ihn nur nicht wesentlich, außer im Osten, wo die Industrieviertel Oaklands die Landschaft schlucken. Im Grunde strahlt diese wie andere US-Städte Selbstbehauptung gegen die Natur aus. San Francisco gleicht in der Downtown der Ruhrreviersmetropole Essen, was ein steiniger und für den Frisco-Liebhaber auch steinigender Vergleich sein mag, aber die Gegend der RWE-Türme am Ruhrschnellweg oder die Bauklotzarchitektur des Innenstadtrings nach dem 2. Weltkrieg wirken ebenso artifiziell wie die Straßenschlucht der Market St. in San Francisco. In ihr aber echot aus den 1920er Jahren Stolz und Selbstbewusstsein des Aufstiegs der USA zur Weltmacht, wie es originär das Stadtensemble Chicagos und New Yorks prägte. So erhebt sich das Wahrzeichen San Franciscos, die Transamerica Pyramid, gleich einer gigantischen, zu den Sternen raumgreifenden Rakete am nördlichen Rand der Innenstadt, wo diese dann am Broadway zur Imitation Las Vegas ausläuft.

Downtown San Francisco vom Russian Hill aus
Downtown San Francisco vom Russian Hill aus

An diesen ausfransenden Rändern der Innenstadt macht sich allerdings auch der Verfall bemerkbar, der die Stadt unbarmherzig im Griff hat, sobald offenbar die Geschäfte nicht so wie erhofft florieren, da die Stadt keine bewahrende Infrastrukturpolitik betreibt. Im Kontrast zum Reichtum der Geschäftsviertel stechen unvermittelt verrottete Gebäude ab und auch ganze Straßenzüge. Markant etwa ist die Fehlkonstruktion vor dem Fährenableger am Ende der Market St., wo fehlgeplante Kunst den öffentlichen Raum verschandelt: An der Justin Herman Plaza locken die Stahltreppen mit Anklang an M.C. Escher, die sich in den Teich winden, nurmehr Obdachlose an, welche die Stadtverwaltung auf Bauschildern des Nächtigens an diesem Ort verwarnt. Ansonsten atmet der Ort den Flair einer Großbaustelle und eitert wie eine Wunde im öffentlichen Raum.

Golden Gate Bridge
Golden Gate Bridge

Die „Straßen von San Francisco“ kann man am besten in der berühmten Lombard St. mit ihrer 29%igen Steigung bestaunen. Verkehrsberuhigt wurde sie ein Touristenmagnet, während auf den Nachbarstraßen wie der Fresnol St. bei 31% der Verkehr weiterrollt.

Lombard St.
Lombard St.

In den Frisco-Straßen mischen sich außerhalb der humanen Wolkenkratzer Downtowns um Union Square, an deren Chicago-Stil sich die neue Berliner Mitte am Potsdamer Platz orientiert, sodann spanische Baustile und, wie es scheint, holländische neben den allüblichen pittoresken viktorianischen und edwardianischen Bürgershäusern und Villen. Man fühlt sich daran erinnert, wie Gottfried Keller eine Heimkehr der philiströsen Besitzbürger Seldwylas mit dem Schlittenzug schildert, bei der aus der Ferne die Dachgiebeln und Erker funkeln und golden der Reichtum den Seldwylern herüberblitzt, die sich darin überbieten, ihren Reichtum besitzstolz zur Schau zu stellen. Zuweilen wähnt man sich im San Franciscoer Norden, im Viertel Fisherman’s Wharf, und im Osten, in Haights Ashbury, in einer schönen holländischen Stadt mit zweistöckigen, gepflegten Häusern, kleinen Vorgärten samt Imitaten von Aufstiegstreppen zu großbourgeoisen Veranden.

Wohn- und Verkaufshäuser in Haights Ashbury
Wohn- und Verkaufshäuser in Haights Ashbury

Daran vorbei rattert ab und an eine „Cable car“ die Hügel hinauf und hinab; immer ‚mal wieder taucht im Stadtbild ein Panoramablick auf die umgebende Ländlichkeit auf, zu deren Städtchen Sausalito rostrot die Golden Gate Bridge im Norden greift und im Osten die stahltrossenbewehrte, auf Stützpfeilern staksende und die Bucht über das Yerba Buena Island überspannende Silvery Oakland Bay Bridge:

„All those lovely Cailfornia cottonwoods and eucalypti brooded on all sides. Near the peak were no more trees, just rock and grass … There was the Pacific, a few more foothills away, blue and vast and with a great wall of white advancing from the legendary potato patch where Frisco fogs are born. Another hour it would come streaming through the Golden Gate to shroud the romantic city in white …“ (Jack Kerouac: On the road. New York 1976, S. 78)

Auch allgegenwärtig ist der Ausblick auf Alcatraz Island, wo heutzutage ein Museum untergebracht ist statt der Schwerverbrecher, die dort bis 1962 einsaßen.

Cable car, im Hintergrund: Alcatraz Island
Cable car, im Hintergrund: Alcatraz Island

Ein herbes Flair durchweht die Stadt, zumal rund um die Market St. durchaus öfter handfeste und lautstarke Streitigkeiten zwischen den Passanten ausgetragen werden, und nicht die hippie-eske Süßlichkeit, die Eric Burdon in seinem Prolog der „San Franciscan Nights“ (1967) der Stadt widmete:

„This following program is dedicated to the city and people of
San Franciscan, who may not know it but they are beautiful and so
is their city this is a very personal song, so if the viewer
cannot understand it particularly those of you who are European
residents save up all your brand and fly trans love airways to
San Franciscan U.S.A., then maybe you’ll understand the song, it
will be worth it, if not for the sake of this song but for the
sake of your own peace of mind.“

In der Innenstadt tummeln sich neben Shopping-Passanten auch viele Obdachlose und in den anbei liegenden Vierteln um Mission manche gestrauchelte Existenz. Sie stehen so gar nicht für den Erfolg des American way of life und dessen American dream und widersprechen auch der Etikette, dass man über Politik, Gewalt, Sex und Religion in den USA besser schweigt.

Seicht jedenfalls geht es im „City Lights“, dem Buchladen der Beatniks zwischen Kerouac-Gässchen und Broadway, gewiss nicht zu, sondern die Liebhaber der Weltliteratur und natürlich von Jack Kerouac, William S. Burroughs, Allen Ginsberg und Charles Bukowski kommen voll auf ihre Kosten in diesem wohlsortierten, kultivierten Buchhandel. Das Untergeschoss präsentiert anarchische und kommunistische Literatur, so als wolle man es ernsthaft mit dem Buchladen „Schwarze Risse“ am Berliner Mehringdamm aufnehmen, wo doch im Sortiment Noam Chomsky als reaktionär erscheint. Das Erdgeschoss verführt mehrsprachig zur Weltliteratur und das Dachgeschoss lockt mit der Beatnik-Literatur, also den Söhnen und Wahlsöhnen der Stadt.

der Buchladen City Lights
der Buchladen City Lights

Komplementär zum hochkulturell repräsentativen SFMOMA (San Francisco Museum of Modern Art) gilt als besonders empfehlenswertes Museum, das der Off-Kultur ihren Platz einräumt, das gleich beim „City Lights“ auf dem Broadway beheimatete Beatnik-Museum, das eine engagierte und feine Ausstellung zur Entstehung der Gegenöffentlichkeit mit Originalmöbeln der 1950er Jahre anbietet. Dort ist zu erfahren, dass die Bewegung ihren Namen einem Reporter verdankt, der 1957 einen Artikel in einer heimischen Zeitung darüber schrieb, wie die Frisco-Szene um Dean Cassidy im Golden Gate Park herumlungerte, Gedichte vorlas und in den Klubs treibende Jazzmusik hörte. Dies Verhalten entzog sich dem bourgeoisen Verwertungszwang, weshalb der Reporter der McCarthy-Ära kommunistische Agitation witterte und versuchte, die „Angry young man“ in Anlehnung an den Sputnik-Schock 1957 mit dem Namen Beatniks zu verunglimpfen. Als Provokation die Verunglimpfung zu benutzen, deren Worte des empörten Spießers noch jede ausgegrenzte Gesellschaftsgruppe massiv nachahmte und sich aneignete, um in der Identifikation mit der Aggression der übermächtigen Mehrheitsgesellschaft sich wenigstens im Spiel des Sprachhabitus zu verweigern, gefiel den Beatniks, sodass sie sich selbst so nannten.

das Beatnik-Museum
das Beatnik-Museum

Frisco ist eine multikulturelle Stadt besonders wegen des Zuzugs vieler Asiaten und soll den großen Metropolen der Ostküste in der Ausdehnung „Chinatowns“ in nichts nachstehen. Ein allübliches Tor zum chinesischen Viertel, wie es in Mexiko-Stadt beim Alameda-Park im Centro histórico oder in Los Angeles beim Broadway prangt, überdacht die Zugangsstraße. Dahinter ballen sich china-rote Zierde, Kitsch und Nippes aus Elfenbein und Marmor, Wimpel, rote Sterne und Ballons zuhauf. Die Hinweisschilder öffentlicher Einrichtungen wie der „Cable car“ sind auf Englisch und Chinesisch beschriftet.

San Franciscos Chinatown
San Franciscos Chinatown

Am Vorweihnachtstag, gerade in Downtown angekommen, fuhr ich nachts mit der „Cable car“ beim Beatnik-Museum vor der Jugendherherge „Green Tortoise“ vor, einem Hort der Hippie- und Gegenkultur, der 1970 mitten in der Ansammlung von Striptease-Lokalen auf dem Broadway eröffnet wurde. Mir wurde von berufener Seite vor der Reise eingeflößt, dass „Green Tortoise“, mittlerweile eine Herbergskette an der Westküste, nicht zu verpassen. Im Speise- und Aufenthaltssaal vom „Green Tortoise“, wo gerade ein Slampoetry-Veranstaltung zu Ende war, traf ich einen beleibten Studenten aus Samoa, Goeffrey, im Deutschen auch Gottfried. Gottfried erzählte mir, dass Westsamoa deutsche Kolonie gewesen sei, was mich natürlich verblüffte, da heutzutage in Deutschland außer geschichtlich äußerst Beflissenen niemand mehr weiß, dass Westsamoa deutsche Kolonie war, da die Weltkriege die Kolonialgeschichte des „Platzes an der Sonne“ überschatten, die in Deutschland im Vergleich zu den anderen europäischen Nationen verspätet und im kleinen Rahmen ablief. Deutsch-Samoa existierte von 1900-1914 als Kolonie, die in steter Konkurrenz mit den Engländern und US-Amerikanern offenbar einen Handelsstützpunkt im pazifisch-asiatischen Raum absichern sollte. Mein Mann aus Samoa meinte, man habe heute noch einen guten Eindruck und eine gute Meinung von den Deutschen und deutsche Wörter wären im öffentlichen Raum stets präsent, wohl ähnlich wie in Namibia, sowie die Erinnerung an spleenig Professoren aus Berlin, die die Pflanzenwelt Samoas liebevoll untersucht und Gewächshäuser angelegt hätten. Dabei fiel positiv auf, dass die deutsche Intelligenz die Sprache der Einheimischen lernten und sich beeindruckend mit ortsüblichen Sitten und Gebräuchen auskannten. Gottfried studiert Medientechnik, da er die Neuen Medien in seinem Land voranbringen will, das zwischen Moderne und Tradition verharre. So zeigt er auf seinem Blackberry mit Vorliebe BBC-Videos von englischen Anthropologen, die in den 1950er Jahren auf eine der Nebeninseln von Samoa aufzeichneten, wie ein Stamm Gefangene rituell in Kesseln sotten und verspeisten, was Gottfried herzlich amüsiert. Er selbst ist ein energischer, zupackender Charakter, dessen patriarchal-krachledernde Züge der 1950er Jahre – treu, konservativ und raumgreifend auch von dem Bauch her, der es sich gut gehen lässt – bei uns gerade ausstirbt und der die Qualitäten hat, eine ganze Kneipe mit Zoten und deftigen Vergleichen aus dem Halbweltmilieu zu unterhalten. So erregte er sich an diesem Abend über die Preise in Städten der US-Ostküste, wo ein Bier für ihn, seine Frau und einen Kumpel ‚mal 65 US-Dollar gekostet hätte. Er hätte ja von der Bedienung nicht verlangt, ihm einen zu blasen. Gut vorstellbar, dass Gottfried ein „Highpotential“ wird, seinem Video-Gag und Magret Meads Forschungen auf Pazifikinseln nach zu urteilen, also ein dicker, mit Bastrock bekleideter Häuptling, mit einem Oberschenkelknochen statt des Zepters in der Linken und einem Schädel statt des Reichsapfels in der Rechten so-zu-assoziieren, und dieser Gottfried bringt die Kommunikationsbranche auf den Inseln von Samoa zu einem Führungssektor im dortigen Wirtschaftsgeschehen voran. Den pragmatischen Elan und die südländische Verve dazu hat er sicherlich; eigentlich ist Gottfried im Hirn Sauerländer und im Herzen Lateinamerikaner (wenn Sie wissen, was ich meine). Diese Vermutung müsste man ‚mal überprüfen, da er einen deutschen Großvater hat.

Broadway, Ecke City Lights
Broadway, Ecke City Lights

Weihnachten lernte ich dann den Immigranten Alecester aus dem schottischen Aberdeen kennen, Brian aus Boston und Marc, einen Schwarzen aus Chinatown, alle drei Obdachlose, die ihr Revier vor dem „Green Tortoise“ haben. Sie hatten des Abends Besuch von andern Obdachlosen aus dem Nachbarviertel und lieferten vor dem „Green Tortoise“ eine Show-Einlage: In einer Mülltonne rutschten sie 200m mit ziemlicher Geschwindigkeit eine jener steilen Frisco-Straßen hinunter, mitten auf die Straßenkreuzzug, um pro Rutscher einen Dollar vom begeistert johlenden Passanten zu ergattern, was vorzüglich klappte.

Alecester, 40 J., und Brian, 38 J., leben seit 20 Jahren auf der Straße und kommen damit zurecht. Alecester ist Spezialist in englischem New Wave und Punkrock der 1980er Jahre. Brian meint, San Francisco sei sehr liberal und die Polizei erträglich, da sie einen kenne, respektiere und in Ruhe ließe. Tatsächlich erlebe ich, wie eine anonyme Touristen-Großstadt mit den richtigen Leuten auf einmal zum Dorf wird, an deren Ecken es überall von Klatsch und Tratsch wimmelt. Alecester will mir ein bisschen das Viertel zeigen und zieht mit mir um die Ecken rund um den Broadway los und auf einmal müssen wir an jeder Ecke, vor jeder Kneipe und jedem Spirituosenladen, vor jedem Pizza Hut, jeder Videothek, ja jedem Hydranten anhalten, um die Neuigkeiten des Viertels auszutauschen. In zwei Stunden kommen wir 1 km voran – überall werden wir herzlich begrüßt, gibt es etwas zu besprechen, Komödien und Tragödien des Alltags. Man bekommt das Gefühl, hier gäbe es eine Kiezgemeinschaft in den Straßen von San Francisco, wie sie Jack Kerouac in seinem „On the road“ beschrieb.

das Green Tortoise
das Green Tortoise

Am letzten Tag im „Green Tortoise“ traf ich beim Frühstück auf den graumelierten Bob, der seinen Sohn in San Francisco über die Feiertage zwischen den Jahren traf und mir beim Eierkochen in der Gemeinschaftsküche sekundierte. Sein studierender Sohn kam von Vancouver herübergeflogen, Bob aus Vietnam, der sich vom Ingenieur zum Entwicklungshelfer fortgebildet hatte. Das Gespräch fiel auf Vietnam, einem nach Bobs Meinung durch die USA schwer geschädigten Land, das eine bitterarme Unterentwicklung gedrückt wurde und das wenig mit dem Tourismus zu tun habe, der an seinen Küsten floriere. 4 Millionen Menschen seien heutzutage durch genetische Schäden verkrüppelt, die zu Lasten des Einsatzes vom Entlaubungsmittel Agent Orange und den Brandbomben Napalm gingen. Der Boden sei in den ehemaligen Kampfgebieten noch immer verseucht; die US-Regierung lehnt die Verantwortung zur Wiedergutmachung bis heute ab, da man wissenschaftlich eine kausale Beziehung zwischen dem Einsatz der krebserregenden und genschädigenden DDT-haltigen Chemikalien und den Genmutationen nicht nachweisen könne. Für die breite, überwiegende Bevölkerung ist dieser Zusammenhang zwar eine Tatsache, aber über die spreche man nicht, und die Politiker schwiegen mit stillschweigender Zustimmung der Mehrheitsgesellschaft, damit man keine offiziellen Hilfsgelder zahlen muss.

Bob meinte, dass auch die Rüstungsfirmen, die den Vietnam bestückten, zählen müssten, was mich wiederum an die deutschen Wiedergutmachungszahlungen erinnerte, die bis 2010 an die jüdischen Opfer und ihre Hinterbliebenen des Holocausts bezahlt werden mussten. Der Unterschied freilich besteht darin, dass deutsche Firmen jüdische Zwangsarbeiter für sich arbeiten ließen, durch welche Kooperation mit dem NS-Staat sie auch die Verantwortung für besagte Sklaverei trugen. Die US-Rüstungsfirmen hatten zwar ein eminentes Interesse am Einsatz ihrer Mordwaffen und haben dies Interesse über Lobbyismus, Nepotismus und korrupte Verfilzung sicherlich in Washington geltend gemacht, aber die Entscheidungsträger saßen an den Schaltstellen der Politik, womit allein der Staat zur Verantwortung gezogen werden kann bzw. das Volk, das Bob zufolge seine Schuld schlicht verdränge. Es gäbe viele Nichtregierungsorganisationen auch in den USA, die für jeden kranken Baum kämpfen würden, Vietnam jedoch sei unheimlicherweise aus dem kollektiven Bewusstsein wie ein irrealer Spuk derealisiert, ausgelöscht.

Am folgenden Morgen fuhr ich mit der S-Bahn der BART (Bay Area Rapid Transit) nach West-Oakland, von wo der Bus zum Städtchen Merced losfuhr. Zuvor hatte ich mich vergeblich bemüht, am San Francisco International Airport (SFO) ein Auto zu mieten. Mein Kreditkarte war für heute überzogen – tja, Pech gehabt …

Eine Reise nach Kuba: Teil 4 – kitschiges Interieur einer ideologisch verblindeten Karibikidylle

Abseits der touristischen Routen steht zur Warnung der Bevölkerung drauf, was drin ist: Einsturzzone. (fotos: weber)
Abseits der touristischen Routen steht zur Warnung der Bevölkerung drauf, was drin ist: Einsturzzone. (fotos: weber)

La Habana am Malecón ist eine Seite aus einem Hochglanzreiseführer; tau-glänzende Mulatten, weiße Gischt, gewagte Sprünge in die Karibische See.

Dies ist der vierte Teil eines Reisetagebuchs. Unser Autor ist im letzen Jahr nach Kuba gereist und hat sich sehr persönliche Gedanken gemacht. Die vohergehenden drei Artikel sind hier im Blog zu lesen.

Prostitution und Kitsch
Aber straßenseitig geht viel Prostitutionsverkehr, und die 1950er Chevreolets der geflohenen Bourgeoisie – mittlerweile nurmehr armseliges, schrottiges Symbol der einstigen Umverteilung im Land, kitschiges Interieur einer ideologisch verblindeten Karibikidylle, Wahnwelt linker Kreise – die dieseln wie weiland in Ostberlin der untergegangenen DDR. –

Sozialistische Plattenbauten in Pastell
Ehrlich gesagt, ist es wieder ‚mal zum Weglaufen; es fehlt an allem. Es fehlt an Straßencafés fürs einfache Volk. Dafür stieren wieder ziemlich viele hohläugige Fassaden in die felsige Brandung. Dazwischen posen aufgepeppte Lokale für die Touristen, die auf der Terrasse des Hotel Nacional einen Cocktail, vorzugsweise einen Mojito, bei Sonnenuntergang genießen. An der Kappspitze blitzen die Kanonen der Festung El Moro und weiter ‚gen Osten schimmern die sozialistischen Plattenbauten in Pastell.

Seit dem Papstbesuch gibt es wieder Weihnachten
In der Calle Hamel, die der Berliner Besetzer-Style á la Tacheles, Hauptsache lebendig-bunt, schmückt, soll’s angeblich Santería für den Touristen geben. Seit dem Papstbesuch 1998 gibt es auch wieder Weihnachten, was Fidel Castro und seiner KP lieber war als die unkontrollierbare Pluralität einer synkretistischen Volksreligiösität.

Katholizismus als folkloristisches Brauchtum

Jesus-Statue
Jesus-Statue

Ein zum folkloristischen Brauchtum entschärfter Katholizismus hielten die Parteibonzen im krankhaften Kontrollwahn dann doch für sicherer, weil bürokratisch rektifizier- und damit verwaltbar. Der neu-alte Herrschaftsmonolog der Partei ersetzt letztlich sowieso nur den alteuropäischen von Gottes Gnaden. Drüben, auf der andern Seite des Hafens segnet eine Jesus-Statue, wie die in Río de Janeiro im Himmel ihre Arme der Stadt entgegenbreitet, barmherzig die verrottete Stadt.

La Habana Nueva
A.v. Humboldt in seinem Reisetagebuch am 9.3.1801 vor der Küste Kubas: „[…] das Blut [der Pelikane] rieselte von den Bäumen herab, denn die Matrosen waren mit dicken Stöcken und mit Messern bewaffnet. Vergeblich warfen wir ihnen Graumsamkeit und unnötige Quälerei vor. Zu andauerndem Gehorsam in den Wassereinöden verurteilt, ist es der Matrosen Lust, eine grausame Herrschaft über die Tierwelt zu üben, wo die Gelegenheit sich bietet. Der Boden war bedeckt von zahlreichen verwundeten Vögeln, die mit dem Tode rangen. Bei unserer Ankunft hatte tiefe Ruhe in diesem kleinen Erdenwinkel geherrscht. Jetzt schien alles zu verkünden: Der Mensch ist dagewesen!“
(ders.: Die Wiederentdeckung der Neuen Welt. Erstmals zusammengestellt aus dem unvollendeten Reisebericht und den Reisetagebüchern. Hrsg. u. eingeleitet von Paul Kanut Schäfer. Ost-Berlin 1989 (1.Auf.), S. 199.)

Klischees zerstieben
Das Klischee des kolonialen Kubas zerstiebt jenseits der Repräsentationsviertel, in die sich seit Jahrzehnten der Krebsschaden der sozialistischen Revolution hineingefressen hat, sofern nicht kurzfristig dies und das saniert wurde, des lieben Mammons der Touristen wegen.

Mit besten Absichten zum Vollschrott

Bunte Fassaden
Bunte Fassaden und/oder Vollschrott?

Was hochfahrend und voll der besten Absichten 1959 begann, in der Tradition der bürgerlichen Revolutionen und ihres republikanischen Geistes, der die Freiheit vor Staatseingriffen in das funkenschlagende Spannungsverhältnis der Gleichheit vor dem Gesetz zwang, verschied hier zur Karikatur, zur üblichen sozialistischen Gleichheit der großen Masse im Elend. Mangel und horrende Misswirtschaft, Lethargie und gesellschaftliche Korruption von den Kadern bis hinunter zum kleinen Mann auf der Straße regieren und beherrschen das triste Stadtbild. Es mutet einem das heruntergekommene Ostberlin der späten 1980er Jahre noch zwanzig Jahre später zu – schlicht Vollschrott.

Eine Reise nach Kuba: Teil 3 – Havanna ist ein Leben in Ruinen: die Schuldfrage.

cuba04Überraschend genau, scheint Humboldt den heutigen Zustand der südlichen Altstadt vor 200 Jahren getroffen zu haben, denn ein Gegensatz wie Tag und Nacht unterscheidet den sanierten Teil der Altstadt nördlich der Straße Brasil vom allgegenwärtigen Verfall, der offensichtlich das Klischee eines Kubas widerlegt, das sich erfolgreich dagegen aufgebäumt hätte, nach einer kurzen Phase der sowjetischen Alimentation erneut zur Dritten Welt degradiert worden zu sein.

Armut zum Erbarmen lauert allerwegen, allerdings ohne die sonst permanente kulturelle Prätention des Pathos abgedroschner Revolutionsphrasen an Haus und Wand. – Nur Narrenhände beschmieren Tisch und Wände! – Die Kümmerexistenzen lungern vor muffigen, gammeln vor dunklen Wohnhöhlen auf den Gassen herum und mit ihr der Blockwart, der diese sozialistische Tristesse bürokratisch korrekt überwacht und verwaltet.

Die Fäkal- und Unratslandschaft der Unterstadt
Die soziale Physiognomie des Gammlers, Tauge- und Habenichts und die berufsspezifische Mentalität des nichtsnutzigen Abzockers – Unter den Blinden ist der Einäugige König! – prägt Gassen, in denen pestilenzartiger Gestank haust, und ganze Straßenzüge, in denen ein Muff aus Kloake und Schimmel zum Himmel stinkt. Hier in der Fäkal- und Unratslandschaft der Unterstadt, einer Art sozialen Hölle degradierter Wohnmilieus, kommt der real-existierende Sozialismus erbärmlich zu sich selbst, der es nichtmals schafft, die Exkremente seiner Gefangenen wegzuorganisieren. Diese Zumutung gemahnt an ein schlecht geführtes Gefängnis, das gegen jedes Bürger- und Menschenrecht frappant verstößt. Die humanitäre Katastrophe ist nicht anständig.

Havanna ist ein Leben in Ruinen
Havanna ist ein Leben in Ruinen, und durch die Arkaden der Bürgersteige, die nun, sei’s der lieben Theorie halber so benannt, das Proletariat bewohnt, sind die herausragenden Ruinen der Stadt, ihre zerstörten Fassaden, zum Wahrzeichen derselben geworden und zum Menetekel an der Wand für die herrschende Unfreiheit.

Die Schuldfrage
Der Streit um die Schuld daran ist so alt wie die politische Theorie des Neokolonialismus dafür: Was aber wäre, wenn der fix belangte Boykott der monströsen Medusa des Nordens, des weißen angelsächsischen Protestanten, propagandistisch nicht ausgeschlachtet würde. Einmal angenommen, dies obskure Monstrum des abstrusen Volksmärchens aus der Mottenkiste, das frei nach Freud als Ersatzobjekt fungiert, da die Kritik am eignen System zensiert ist, hätte das Malheur gar nicht verschuldet. Dann hätten die Malaise Gründe verursacht, die skandalös die Mentalität des tropischen Schlendrians verantworteten. Außerdem liegt nach dem ökonomischen Kollaps des Ostblocks die Misswirtschaft des Sozialismus offen zu Tage.

Peru und Chile
Über die larmoyante Suche nach geschichtlichen und imperialistischen Sündenbocken sind zum Beispiel Peru und Chile schon lang‘ hinaus – und erzielen ökonomische Erfolge, so sehr einem auch Mario Vargas Llosas‘ Kehre zum Neoliberalismus und Kulturkonservatismus in den späten 1980er Jahren verdächtig erscheinen mag.