Ciudad Mexico: dunkelhäutige Heilige, Weihnachten, die größte Schlittschuhbahn der Welt und das Jahresende

Ein weihnachtliche "hola a todos". (fotos: koerdt)
Ein weihnachtliches "hola a todos". (fotos: koerdt)

Dieser Artikel ist der zehnte Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City im Jahr 2010. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden. Zum Jahresabschluss wird es noch einmal so richtig weihnachtlich. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Dies wird wohl das letzte Lebenszeichen von mir in diesem Jahr aus Mexiko. Doch keine Sorge, ich bleibe ja noch länger hier. Monate sind ja scheinbar nicht mehr als zyklische Unterteilungen, so dass man fast das ganze Jahr über sagen kann „alle Jahre wieder“.

Der höchste christliche Feiertag: Virgen de Guadalupe
Also, alle Jahre wieder am 12. Dezember, findet das Fest der Virgen de Guadalupe statt, der höchste christliche Feiertag in Mexiko. Im Jahre 1531 (also recht kurz nach der Eroberung der Aztekenhauptstadt Tenochtitlan im Jahre 1521) erschien dem bereits bekehrten Indio Juan Diego die Jungfrau Maria. Wie der Zufall es wollte, geschah dies auf dem Hügel von Tepeyac. Dort stand nämlich bereits ein Schrein, der der Göttin Tonantzín geweiht war, eine der wichtigsten aztekischen Gottheiten. Hier waren bereits die Azteken hingepilgert und haben ihrer Göttin Opfer dargebracht. Somit war es um so ein Leichteres diesen Kult einfach mal zu christianisieren.

Die dunkelhäutige Jungfrau
Die Indios pilgerten einfach weiter dorthin und Juan Diego holte sich beim damaligen Erzbischof die Bestätigung, als er wenige Tage später bei diesem erschien und aus seinem Mantel Rosen (die damals in Mexiko völlig unbekannt waren) und ein Bild der Jungfrau mit einem Strahlenkranz zauberte. Dass diese passenderweise auch noch etwas dunkelhäutiger war (wie die Indios) und damit auch mehr Identifikationsfläche bot, war wohl purer Zufall. Jedenfalls stehen an der Stelle der Erscheinung im Norden von Mexiko-Stadt nunmehr neben weitern kleinen Kapellen zwei Basiliken. Die ältere aus dem Jahre 1700 sackt so langsam in die Erde hinab, die neuere wurde 1976 errichtet und ist auf die Pilgerströme bestens vorbereitet.

Auf nach Bad Mexiko, wo die Luft noch rein ist und die heilige Maria dunkelhäutig.

Auf nach Bad Mexiko, wo die Luft noch rein ist und die heilige Maria dunkelhäutig.
Auf nach Bad Mexiko, wo die Luft noch rein ist und die heilige Maria dunkelhäutig.

Eine vierspurige Rolltreppe gleitet den fußmüden Pilger an dem Bild der Guadalupe vorbei. Und einmal im Jahr ist eben der Tag der Guadalupe. Woran wir aber natürlich am letzten Samstag nicht gedacht haben, als wir Richtung Osten die Stadt verließen, um am Popocatepl wandern zu gehen. Auf der riesigen Ausfahrtsstraße kamen uns Massen an Radfahrern entgegen, die den Verkehr blockierten. Mein Erstaunen war grenzenlos: nie hätte ich gedacht, dass in diesem Land so viele Räder existieren. Und die Unfähigkeit diese auch verkehrsgerecht zu fahren, ließ bei den Rückschluss zu, dass sich diese Leute nur an diesem Tag auf den Sattel gesetzt haben. Doch die Menschenmenge bewegte sich nicht nur auf zwei Rädern Richtung Stadt, sondern auch zu Fuß. Es sah aus wie eine Evakuierungswelle nach dem Ausbruch des Popocatepls. Nur: die wabernde Welle trug nicht ihre Habseligkeiten bei sich, sondern kiloschwere Bilderrahmen, in denen Bildnisse der Guadalupe eingefasst waren. Auf Kinderwägen waren kleine Statuen montiert worden und so fuhren wir im Schritttempo an der Masse vorbei, die sich auch durch diese stickige, staubige Abgasluft nicht von ihrem Ziel abhielten ließ.

Nur Fundamentalkatholiken stellen sich Adventskränze in ihre Wohnzimmer

Kein Bienenwachs nirgends.
Kein Bienenwachs, nirgends.

Eigentlich wäre dies wieder einmal ein Zeichen für die tiefe Religiosität in diesem Land, an der ich doch immer mehr zweifle. Schließlich erklärte mir eine Kollegin, dass sich eigentlich nur Fundamentalkatholiken Adventskränze in ihre Wohnzimmer stellen würden. Und tatsächlich stellt es einen Akt der Unmöglichkeit dar, einen Adventskranz käuflich zu erwerben. Auch nicht an den Weihnachtsmarktständen, die sich ein kleines Stückchen entlang des Paseo de la Reforma (dem „Prachtboulevard“ vom Chapultepec-Park zum Zocalo, also dem Hauptplatz in der Innenstadt) reihen. Hier bekommt man Spezialitäten aus dem Iran (sic!) und eine Molkereikette hat unzählige Büdchen im Beschlag, um dort Joghurt zu verkaufen.

Ansonsten gibt es Weihnachtssterne, Weihnachtssterne, Weihnachtssterne im Angebot. Was eigentlich auch nicht wundert, schließlich kommt diese Pflanze hierher und das hat zur Folge, dass in den letzten Wochen die gesamte Stadt damit bepflanzt worden ist. Oder man bastelt riesige Weihnachtsbäume aus diesen Pflanzen (s.o.). Eigentlich nett anzusehen.

Warmer Früchtepunsch, mit einem Schuss Tequila getunt
Eine weitere Nettigkeit in der Vorweihnachtszeit sind die posadas. Gemeinhin lädt die Nachbarschaft in der Woche vor Heiligabend dazu ein, aber da mein Uni-Kurs bereits Mitte Dezember geendet ist, wurde dort die posada zum Abschluss des Semesters vorzeitig durchgeführt. Die posada beginnt mit einem Singspiel, das die Herbergssuche des Josefs nachstellen soll. Eine Gruppe steht draußen, eine andere im Haus. Nun wird abwechselnd gesungen, bis man sich schließlich doch der draußen stehenden Gruppe erbarmt und sie rein bittet. Anschließend wird gegessen und getrunken. Hier gibt es keinen Glühwein, dafür aber ponche con piquete. Das ist ein warmer Früchtepunsch, der mit einem Schuss Tequila getunt wird. Die Wirkung ist mit der von Glühwein vergleichbar.

Pinatas sind auch bei Erwachsenen beliebt
Auch bei Erwachsenen sind dann die pinatas sehr beliebt. Das sind Pappmachee-Sterne (sonst auch gerne andere Figuren), die aufgehängt werden und die mit einem Stock zerschlagen werden müssen. Klingt einfach, aber wenn einem die Augen verbunden werden und man so zwei, drei ponches intus hat, kann ich euch sagen, dass das eine fast unlösbare Aufgabe ist.

Die größte Schlittschuhbahn der Welt – verwaist

Ja, wo laufen sie denn?
Ja, wo laufen sie denn?

Ein Highlight hat diese Stadt in dieser Zeit auch noch zu bieten: auf dem Zocalo wurde die größte Schlittschuhbahn der Welt aufgebaut. Aber: als ich dort war, war sie leer. Auch andere, die dort waren, teilten mir mit, dass sie keinen einzigen Kufendreher dort gesehen hätten. Vielleicht hat der Mexi doch eher ein distanziertes Verhältnis zur Kälte und zum Eis. Auch mir erscheint es absurd bei 24 Grad Schlittschuhzulaufen. Abgesehen davon, dass ich das auch nur ganz übel hinbekomme (habe mir im zarten Alter von 11 Jahren dabei meine erste Gehirnerschütterung geholt, seitdem sehe ich alles andere als elegant auf dem Eis aus).

Ansonsten kommt mir die Vorweihnachtszeit hier doch sehr vertraut vor: der Dekorationskitsch kennt keine Grenzen, die Lichterketten funkeln und die Leute kaufen die Geschäfte leer.

Ich gebe zu: auch ich habe etwas in diesem Laden gekauft. Allerdings eine Flusenbürste (nicht auf dem Bild zu sehen).

Was Frisöre fragen: Lassen sich Frauen in Deutschland die Beinhaare auch mit Wachs entfernen?

 Ich gebe zu: auch ich habe etwas in diesem Laden gekauft. Allerdings eine Flusenbürste (nicht auf dem Bild zu sehen).
Ich gebe zu: auch ich habe etwas in diesem Laden gekauft. Allerdings eine Flusenbürste (nicht auf dem Bild zu sehen).

Ganz anderes Thema: eine Frage, die meinen Frisör hier wohl schon lange umtrieb und die er sich endlich getraut hat, mich zu fragen, ist, ob sich die Frauen in Deutschland die Beinhaare auch mit Wachs entfernen lassen. Als ich antwortete, manche schon, war er sehr überrascht, dass es das auch in Deutschland gäbe. Ich hätte ihm im Gegenzug aber klarmachen können, dass mexikanische Frisöre überhaupt nicht in der Lage sind, blonde Strähnchen zu machen. Jedenfalls sah ich nach meinem letzten Frisörbesuch eher so aus, als hätte ich auf einmal graue Strähnchen. Vielleicht lässt das mich ja weiser erscheinen. Da ich ja ein höflicher Mensch bin, habe ich die Klappe gehalten und mich dazu entschlossen, den Frisör zu wechseln. Auch wenn ich dann auf Schmeicheleien wie ich sähe aus wie Claudia Schiffer verzichten muss (was aber ein Leichtes ist).

Also, ich wünsche euch allen ein schönes Weihnachtsfest (wo immer ihr auch seid) und viele tolle Weisheiten für das kommende Jahr (und sowieso alles Gute, Gesundheit und Gelassenheit für die folgenden Monate/ ihr wisst schon, alle Jahre wieder).

Hasta luego!

Ciudad Mexico: im November. Wer immer noch glaubt, dass ganz Mexiko aus Wüste und Kakteen besteht, sollte dieser Tage mal hierher kommen. Nachts und morgens ist es arschkalt – so zwischen 2 und 5 Grad.

Das ist übrigens Taxco. Nichts fürs Fußfaule, denn es geht immer steil berghoch. Da aber der gemeine Mexi im Allgemeinen doch eher zur Trägheit neigt, dieseln Käfer-Taxis durch die Stadt. Nicht gerade schön, denn ab und an verschlägt es einem doch dem Atem und das nicht, weil man von den Ausblicken so beeindruckt ist.
Das ist übrigens Taxco. Nichts fürs Fußfaule, denn es geht immer steil berghoch. Da aber der gemeine Mexi im Allgemeinen doch eher zur Trägheit neigt, dieseln Käfer-Taxis durch die Stadt. Nicht gerade schön, denn ab und an verschlägt es einem doch dem Atem und das nicht, weil man von den Ausblicken so beeindruckt ist. (foto: koerdt)

Dieser Artikel ist der neunte Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City im Jahr 2010. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden.  Heute frieren wir mitten im November und kleiden uns in merwürdige Frottee-Klamotten. Den männlichen Toten legen wir Bierdosen und Tequila-Flaschen aufs Grab. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Auch hier hat der November zugeschlagen, wenn auch anders als in Deutschland. Wer immer noch glaubt, dass ganz Mexiko aus Wüste und Kakteen besteht, sollte dieser Tage mal hierher kommen. Nachts und morgens ist es arschkalt – so zwischen 2 und 5 Grad. Und das Tolle: es gibt keine Heizungen, so dass ich die Hälfte des Tages (ab Mittag werden es dann doch wieder angenehme 23 Grad) eigentlich nur vor mich hin bibbere.

Nicht alles, was wärmt ist auch gut. Kleidung kurz vor der Entmündigung

Ehrlich, wer trägt denn so etwas? (fotos: koerdt)
Ehrlich, wer denkt sich denn so etwas aus? (fotos: koerdt)

Bei Woolworth um die Ecke gibt es Heizradiatoren, die etwas helfen, die aber auch mit schöner Regelmäßigkeit die Sicherung raushauen. Aber die Mexikaner wissen sich auch anders zu behelfen. In besagtem Geschäft traute ich meinen Augen nicht, als ich in der Damenabteilung Frottee-Schlafanzüge in Stramplerform, quietschrosa und mit lustigen Teddy-Motiven entdeckte.

Solche Kleidungsstücke stehen doch kurz vor der Entmündigung. Auch bei den Pantoffeln kennen die Hersteller hier für die Dame von Welt kein Pardon: sei es der überdimensionierte Plüschturnschuh oder die Form x-beliebiger Tierpfoten; der Lächerlichkeit sind keine Grenzen gesetzt. In diesem Punkt bemerkte ich doch meine Eitelkeit und beließ es bei orange-türkis-geringelten Plüschsocken.

Flucht aus der Kälte
An den Wochenenden kann man der Kälte wenigstens entfliehen. Kaum kommt man aus der Stadt heraus und fährt ein paar Kilometer weiter südlich und nähert sich ein bisschen dem Meeresspiegel, ist wieder tollstes Pool-Wetter. So war ich in diesem Monat bereits zweimal in Taxco, eine Perle der hiesigen Kolonialstädtchen. Aber das ist nicht das einzig Besondere in der dortigen Gegend. Die leicht hügelige Landschaft bietet so manche phantastische Aussicht.

Die Grutas de Cacahuamilpa – ein atemberaubendes Tropfsteinhöhlensystem

Mal ein kleiner Eindruck aus der Tiefe. Leider kann man nicht erkennen, dass auch das Teilchen hier knappe 20 Meter hoch ist.
Mal ein kleiner Eindruck aus der Tiefe. Leider kann man nicht erkennen, dass auch das Teilchen hier knappe 20 Meter hoch ist.

Doch nicht nur oben ist es dort schön, sondern auch unten. Ganz in der Nähe von Taxco liegen die Grutas de Cacahuamilpa, einer der größten Tropfsteinhöhlen-Systeme der Welt.

Was sich dort im Laufe von zig tausend Jahren gebildet hat, verschlug mir doch von Zeit zu Zeit die Sprache. Für die Öffentlichkeit sind zwei Kilometer zugänglich; insgesamt sind wohl 16 Kilometer von der Höhle erforscht. Manche Säle sind bis zu 80 Metern hoch, die Stalagmiten sind teils bis zu 50 Metern hoch. Bizarre Formen geben der Phantasie manchen Anreiz.

Leider besteht auch die Führung durch die Höhle nur von den Phantasievorstellungen des Guides: sehen Sie dort, ein Gorilla, dort ein Weihnachtsmann, da hinten noch ein Gorilla. Geologische oder geschichtliche Informationen sucht man vergeblich in den Ausführungen.

Ich verstieg mich dann doch zu der Frage, wann dann nun und von wem die Höhle entdeckt worden sei. Dann wurde mir eine krude Geschichte von einem Engländer erzählt, der gesehen hätte, wie sein Hund durch ein Loch verschwunden sei. Wann das denn gewesen sei? Ja, so um 1880. Nur leider wusste sogar mein Reiseführer zu berichten, dass bereits der Habsburger Maximilian I. (die unglückliche Gestalt, die von Napoleon III. während der Mexikanischen Interventionskriege 1864 zum Kaiser von Mexiko gekrönt wurde) bereits dort gewesen war. Und Maximilian I. wurde bereits 1867 in Querétaro hingerichtet. Daraufhin ließ ich doch einmal meine informationsgesteuerte Fragerei.

Der Tag der Toten. Für die Männer Bierdosen und Tequilaflaschen

In einer Kirche in Taxco am 'día de los muertos'.
In einer Kirche in Taxco am 'día de los muertos'.

Ach ja, Anfang November war auch noch der „día de los muertos“ (der Tag der Toten). Die Mexikaner gehen dann für gemeinhin auf die Friedhöfe, um mit ihren Verstorbenen zu feiern. Auch die Kirchen werden liebevoll und quietschbunt ausgestattet und es gibt überall Bilder von den Toten mit Gegenständen, die ihnen lieb und teuer waren.

Mir ist jedenfalls aufgefallen, dass sehr häufig bei männlichen Toten Bierdosen und Tequilaflaschen zur Dekoration gehörten. Natürlich ist dies kein rein katholischer Brauch. Die Indigenas haben zwar von den Spaniern den christlichen Glauben übernommen, haben ihn aber mit Elementen ihres ursprünglichen Glaubens vermengt, so dass auf so manchen Europäer diese Form des Katholizismus nicht gerade frömmelnd erscheint.

Natürlich besteht mein Leben nicht nur aus den kleinen Fluchten in die Kolonialstädtchen, sondern weiterhin hin auch aus Arbeit und dem Studium der spanischen Sprache. Doch dazu demnächst mal wieder mehr.

Ich hoffe, bei euch ist „todo bien“.

Hasta luego!

Ciudad Mexico: „butsch, butsch – zweimal ins Gesicht“ und andere Mentalitäten.

Auch der Mexi mag es ordentlich: jedenfalls parkt er seine Hunde in Reih und Glied. (foto: koerdt)
Auch der Mexi mag es ordentlich: jedenfalls parkt er seine Hunde in Reih und Glied. (fotos: koerdt)

Dieser Artikel ist der achte Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City im Jahr 2010. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden.  Heute sinnieren wir über den Witz des Alltags, der manchmal gar nicht so lustig ist. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Zuckrig-süß mag es nicht nur der Mexikaner; so sitze ich gerade hier mit einem unverschämt leckeren Teilchen (gemeinhin als Blueberry-Muffin verkauft; die Amerikanisierung kennt keine Grenzen) und lasse das Wochenende Wochenende sein.

Deutsche Wochen im Supermarkt
In meinem Supermarkt um die Ecke ist gerade die „Deutsche Woche“ ausgerufen worden, das bedeutet, es wurden zwei Tische mit deutschen Produkten aufgestellt. Auf dem einen gibt es nur Bier, auf dem anderen Produkte von Firmen, die in Deutschland niemand kennt (außer Kühne Weißweinessig und Salatsaucen). Ein Weizenbier kostet umgerechnet 3 Euro. Kein Wunder, dass man glauben kann, dass aus Deutschland nur teure Qualitätsware kommt.

Ein neuer Job – jeder Mexi kennt Heidi
Bei mir haben sich marginal kleine Veränderungen ergeben, denn die Koerdt unterrichtet nämlich jetzt auch. Ich habe am Colegio den Anfängerkurs „Deutsch als Fremdsprache“ übernommen, der auf die Sprachzertifikate am Goethe-Institut vorbereiten soll. Das Tolle an der Sache ist nämlich, dass der Kurs für Erwachsene ist (meine älteste Schülerin ist 75 und trägt den unglaublich mexikanischen Namen Helga Blume*. Ihr Vater kam aus Österreich, hat aber mit den Kindern kein deutsch gesprochen) und man wird es mir nicht glauben: mir macht das Spaß. Ich habe ja sonst wenig Gelegenheit mein Halbwissen zu präsentieren, aber dort kann ich mich regelrecht austoben. Abgesehen davon lerne ich ja auch noch etwas; schließlich wusste ich beispielsweise nicht, dass jeder Mexi Heidi kennt, aber niemand weiß, dass das in der Schweiz spielt. Im Endeffekt unterrichte ich Deutsch auf Spanisch; was schon einige Male zu lustigen Verwirrungen geführt hat. Ich aber sehr witzig finde.

Mentalitäten: Warum nörgelt nicht endlich jemand?
Was ich weniger witzig finde, ist ein kleiner Mentalitätsunterschied, die mich von Zeit zu Zeit auf die Palme bringt. Ich kann gar nicht nachvollziehen, dass es in diesem Land Revolutionen gegeben haben soll, denn auf mich wirkt es, als sei die erste Bürgerpflicht, sich nicht einzumischen. In Deutschland mag die ständige Nörgelei und Herumerzieherei im öffentlichen Raum einem auf die Nerven gehen, aber: Nichtssagen kann bei meinem wohl doch deutsch temperierten Gemüt innere Wutausbrüche verursachen. Zwei Beispiele aus der letzten Woche, wobei das eine eher harmloserer Natur ist.

Das mexikanische Fell ist dick. Wutausbruch an der Schnellkasse.
Harmlos: Mittwochs findet im Supermarkt in der Nähe des Colegios der große Obst- und Gemüsetag statt. Das bedeutet, dass die Leute den Laden stürmen und ihre Einkaufswägen bis oben hin voll packen. Da ich eigentlich dort nur hingehe, um mir etwas zu essen zu holen, habe ich meist nicht mehr als drei, vier Teile. Der Supermarkt ist eigentlich auch auf so Kunden wie mich eingestellt, denn er hat eine so genannte Schnellkasse, an die man bis zu zehn Teile bezahlen kann.

Nur: da hält sich keine Sau dran.
So ging ich auch letzten Mittwoch wieder zur Schnellkasse, um zu sehen, dass vor mir zwei Frauen und ein Mann standen, die ihre Wagen bis zum Anschlag bepackt hatten. Die Kassiererin kümmerte sich gerade noch um einen weiteren Großeinkauf. Ich stand da und platzte innerlich. Dennoch riss ich mich zusammen und sprach die beiden Frauen vor mir freundlich an, um sie darauf hinzuweisen, dass das hier die Schnellkasse sei. Sie schauten mich nur kurz an und drehten sich wieder um.

Daraufhin bin ich auch äußerlich geplatzt und bedankte mich lautstark für ihr freundliches Verhalten. Keine Reaktion. Bis ein älterer Herr, der mit seinem Großeinkauf an der Nebenkasse stand, sich einschaltete und den beiden Frauen auch noch einmal klarmachte, dass sie eigentlich an dieser Kasse nichts zu suchen hätten. Daraufhin hörte ich nur, dass sie diese Ausländerin nicht verstanden hätten. Sie ließen mich dann aber vor, um sich dann erneut an dieser Kasse anzustellen. Unnötig zu erwähnen, dass die Kassiererin mich nicht verstand, als ich sie darauf ansprach, warum sie die Kunden nicht darauf hinweise, dass es sich um eine Schnellkasse handele.

Weniger witzig: „butsch, butsch – zweimal ins Gesicht“, denn wer sieht schon eine Schlägerei?
Weniger witzig war die Situation vorgestern: ich schlenderte zur schönsten Nachmittagszeit um viertel vor vier zu meiner

So friedlich ist eigentlich der Blick aus dem Küchenfenster. Nur manchmal bekommt eben ein paar Schritte weiter einer auch mal was auf die Nuss.
So friedlich ist eigentlich der Blick aus dem Küchenfenster. Nur manchmal bekommt eben ein paar Schritte weiter einer auch mal was auf die Nuss.

Bank um die Ecke, als ich auf einmal auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig sah, wie ein Mann um die 40, schick im Anzug, einen anderen in den Schwitzkasten nahm.

Zunächst dachte ich, dass es sich um eine Rauferei unter Kumpels handele, wurde doch schnell eines Besseren belehrt, als der Anzugsträger mit der Faust ausholte und dem anderen –butsch, butsch- zweimal ins Gesicht schlug. Der fiel zu Boden und rollte über die Bordsteinkante halb auf die Straße. Daraufhin trat der Anzugsträger auf ihn ein.

Die Leute, die auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig gingen, schauten sich das an und gingen wortlos weiter. Ich hielt es nicht aus und brüllte rüber, ob denn dort drüben alles in Ordnung sei (was Intelligenteres fiel mir gerade nicht ein). Daraufhin ließ der Anzugsträger von dem anderen ab, ohne jedoch auf mich zu achten, und verfluchte den anderen noch als Arschloch und was das denn solle und verschwand in dem Haus dahinter. Bevor ich die Straßenseite wechseln konnte, hatte sich auch der andere aufgerafft und ging seiner Wege.

Epileptischer Anfall? Lass hängen, nicht unser Problem.
Ich weiß, ich sollte nicht verallgemeinern, aber im Laufe meiner kurzen Zeit hier im Land sind einige vergleichbare Situationen passiert, unter anderem auch mit unserem Paco. Paco kümmert sich nicht nur um die Einparkmöglichkeiten vor unserem Haus und den Müll, sondern bekommt auch –wie wir jetzt erst erfuhren- ab und an epileptische Anfälle. Letzte Woche hing er völlig schief in unserem Hauseingang und machte auf mich den Eindruck, als schliefe er. Wir klopften ihn wach und dann stellte sich heraus, dass er gerade einen Anfall hatte und er jetzt dringend etwas zu essen und trinken brauche, da er völlig unterzuckert und dehydriert war. Die Leute seien auch an ihm einfach vorbeigegangen, als er zusammengebrochen sei.

Deutsche sind quadratisch
Ansonsten ist es alles friedlich; mein nächster Spanischkurs hat angefangen, in dem mir ein Franzose erklärte, dass die Deutschen quadratisch seien (es ging um die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen der Sprache und der Mentalität des Landes gäbe).

So, ich werde mich dann jetzt quadratisch, praktisch, gut meinem Sonntag widmen.

Muchos saludos!

*Namen geändert

Ciudad Mexico feiert und weitere Reiseberichte: „This is Belize, Baby. And we are speaking English.“

Belize - Inselstrand (fotos: koerdt)
Bounty und Barcadi: „This is Belize, Baby. And we are speaking English.“ (fotos: koerdt)

Dieser Artikel ist der siebte Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City im Jahr 2010. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden.  Wir ergänzen den Reisebericht über Kuba um Belize und Guatemala, werfen einen Blick auf die Feiern zum 200. Jahrestag des Beginns des Unabhängigkeitskampfes gegen die Spanier,  lassen uns einparken und empfangen weitere Dienstleistungen. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Fahnen an jeder Straßenecke.
Fahnen an jeder Straßenecke.

Ob es wirklich ein Vorurteil ist, dass der gemeine Mexikaner gerne feiert, kann ich in der kommenden Woche überprüfen. Denn dann beginnen die Feierlichkeiten zum 200. Jahrestag des Beginns des Unabhängigkeitskampfes gegen die Spanier und schon seit einiger Zeit kann man sich an jeder Straßenecke mit Fähnchen, Winkelementen in den mexikanischen Nationalfarben Grün-Weiß-Rot eindecken.

Kölner verstehen Mexico
Meine Kollegin Juana* hat mich ausdrücklich davor gewarnt zu den zentralen Feierlichkeiten auf dem Paseo de Reforma (dem Prachtboulevard von Mexiko-Stadt) oder zum Zocalo (dem Hauptplatz) zu gehen, da gerade die Männer sich nur besaufen und dann sehr grapschig werden würden (erinnert mich irgendwie an den Kölner Karneval). Ich solle doch lieber –bevor ich auf dumme Ideen komme- zu ihrer Familie zum Essen kommen.

Miguel Hildalgo – der“ Überall-Pater“
Auch an der Schule wird es wohl Feierlichkeiten geben: in der Regel wird ein Kind als Miguel Hildago verkleidet und das muß dann eine Glocke läuten. Die Verkleidung ist sehr einfach, denn Hildago fiel durch seine Haarpracht auf: Stirnglatze und längeres, silbergraues Haar. Dieser Pater begegnet einem überall in Mexiko (vorher hat er mir natürlich nichts gesagt), denn er war es, der zum Freiheitskampf am 16. September 1810 aufrief, nachdem er die Glocken seiner Kirche bimmelte und die Leute auf dem Platz vor dem Gotteshaus einfanden. Gut ging das nicht für ihn aus: ein knappes halbes Jahr später hatten die Spanier ihn hingerichtet und seinen Schädel an dem Festungsbau Alhóndiga de Granaditas in Guanajuato geknüpft. Dort blieb er dann auch erst einmal 10 Jahre, bis 1821 Mexiko endlich unabhängig wurde.

Ein positiver Kulturschock – Tikal in Guatemala: schier unfassbar, was die dortigen Mayas sich für Gebäude hingestellt haben.
Schnell hat einen der Alltag wieder und die kleinen Erkundigungen der letzten Wochen kommen mir bereits als vollendete Vergangenheit vor. Dennoch möchte ich noch kurz von einer Stätte berichten, die mit zu dem Eindrucksvollsten gehört, was ich bislang in meinem Leben gesehen habe:

Sie existiert wirklich. Unsere Autorin gut behütet vor der Pyramide (foto: koerdt)
Sie existiert wirklich. Unsere Autorin gut behütet im Urwald vor der Pyramide (foto: koerdt)

Tikal in Guatemala. Es ist schier unfassbar, was die dortigen Mayas sich für Gebäude hingestellt haben. So kann man auch heute noch über Außentreppen 60 Meter hohe Pyramiden besteigen und von dort über einen Urwald blicken, dessen Bäume meist 50 Meter hoch sind. In diesen Bäumen tummeln sich Brüllaffen, dessen Schreie sich wie das Fauchen eines Jaguars anhören (also in jedem Fall sehr bedrohlich) oder es fliegt mal ein Tukan vorbei. Das Einzige, was an diesem Faszinosum stört, sind die Moskitos. Zumal uns auch bestätigt wurde, dass es sich bei Tikal um ein Malaria-Gebiet handelt. Entsprechend innerlich hysterisch habe ich dann auch auf zwei Mückenstiche reagiert, die ich mir dort geholt habe (jetzt dürfte allerdings die Karenzzeit überschritten sein).
Kurzum: Es gibt also auch angenehme Kulturschocks.

Ein unangenehmer Kulturschock an der Grenze zu Belize: „You better belize ist“
Nicht so ganz angenehm fand ich hingegen den Kulturschock, den ich erfuhr, als wir vorher nach Belize eingereist waren. Bereits an der Grenze wurde mir klargemacht –nachdem ich mich noch auf Spanisch bedankt hatte-, wo ich mich befinde: „This is Belize, Baby. And we are speaking English.“ Tja, nur dass dieses Pidgin-English scheinbar nur aus Vokabeln wie Darling, Sweetheart, Babe etc.pp. besteht. Nach ein, zwei Tagen war ich ziemlich genervt von diesen oberflächlichen Schmeicheleien (wenn es überhaupt welche sind). Auch der Tourismus-Slogan „You better belize it“ klingt eher wie eine Drohung als die Vorfreude auf ein Urlaubsparadies.

Schöne, junge Menschen, die unter Palmen am Strand abhängen. Bounty und Barcadi.
Belize City ist eine Stadt, die man möglichst schnell verlassen möchte: als einzige Sehenswürdigkeit ist eine Drehbrücke aus den 20er Jahren in den Touristenführern angegeben. Zum Glück geht das „Verlassen“ auch ganz gut, denn von dort starten die Schnellboote auf die Inseln vor Belize; und da hat man das, was man so gemeinhin aus Bounty- oder Barcardi-Werbung kennt. Schöne, junge Menschen, die unter Palmen am Strand abhängen.

Die junge Kubanerin und eine Quizfrage.
Auf Caye Caulker konnte ich feststellen, dass ich nun wirklich nicht mehr zum hippen Jungvolk gehöre (den nachmittäglichen Cocktail an der Strandbar konnte ich dennoch genießen.). Hier begegnete mir auch noch einmal Kuba wieder – und zwar in Form einer jungen Frau, die in einer Strandbar arbeitete und uns allen Ernstes weißmachen wollte, dass sie vom kubanischen Staat einen Ein-Jahres-Vertrag für diesen Job bekommen hätte. Daß sie aller Wahrscheinlichkeit nach geflohen ist, wollte sie warum auch immer nicht erzählen.

Ach ja, zum Schluss noch eine kleine Quizfrage: Wie heißt die Hauptstadt von Belize? He, nicht bei Wikipedia nachschauen.

Zurück in Ciudad Mexico: die Dienstleistungsgesellschaft gebiert Parkplatzanweiser und Müllträger.
Ja, wie gesagt, mittlerweile hat mich der Alltag wieder und das fällt mir dann auf, wenn mir bestimmte Dinge schon gar nicht mehr auffallen: zum Beispiel die Parkplatzeinweiser. Dieser Job besteht darin, dass sie eine Dienstleistung anbieten, die gar nicht benötigt wird. Sie stehen mit einem Putzlappen auf den Schultern auf den Straßen und winken den Autofahrern, die vorbeifahren, die Parkplätze zu. Wenn einer parken will, fuchteln sie wie wild mit den Armen herum, um Einparkhinweise zu simulieren. Für diesen nicht gewünschten Dienst verlangen sie dann ein paar Pesos.

Pacos Dienstleistungen
Vor unserer Tür steht Paco. Paco steht morgens um sechs dort (wenn ich aufstehe) und er steht auch noch dort, wenn ich von der Arbeit zurückkomme. Paco hat sich aber auch noch weiter auf den informellen Arbeitsmarkt ausgebreitet: seit unserem Umzug wurde es zu einem regelrechten Sport für uns, die Müllwagen abzupassen, wenn sie die Straße durchquerten, so dass wir schnell mit unseren Mülltüten -die sich teils bereits in der Küche gestapelt hatten, weil wir tagelang die Müllabfuhr verpasst hatten- auf die Straße sprinteten, um sie auf den Müllwagen zu werfen. Dass wir uns damit grundlegend falsch verhielten, machte uns Paco in der letzten Woche klar: er sei dafür verantwortlich. Wir sollten lediglich die Tüten rauslegen und er kümmert sich darum. Natürlich nicht unentgeltlich. Ich bin gespannt, welche Dienstleistungen Paco sonst noch im Repertoire hat.

Muchos saludos!

* Namen geändert

Von Ciudad Mexico nach Havanna. Meine kleine Kuba-Krise.

Unweit des Prachtboulevards von Havanna (foto: koerdt)
Ironie der Lage: in der Nähe des Prachtboulevards von Havanna (fotos: koerdt)

Dieser Artikel ist der sechste Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City im Jahr 2010. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden.  Wir machen eine Reise und beobachten das Leben in Kuba. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Nachdem ich erfolgreich meine kleine, persönliche Kuba-Krise hinter mich gebracht habe, bin ich wieder in Mexiko-Stadt gelandet. Zum Glück war Kuba nicht das alleinige Ziel, so dass ich nun mit vielen neuen (und vor allen Dingen auch tollen) Erfahrungen in die Stadt zurückgekehrt bin. Aber der Reihe nach:

Am Prachtboulevard, dem Malecon, von Havanna
Am Prachtboulevard, dem Malecon, von Havanna

Angefangen hat alles vor über einem Monat in Havanna. Gut gelaunt landeten Christopher und ich auf dem sozialismusschicken Flugplatz und sofort wurde ich für ein Verhör von einem Flughafenmitarbeiter herausgepickt. Schwupp war mein Pass weg und natürlich wollte mir niemand sagen, was das nun soll. Angestrengt verfolgte ich den Weg meines Passes, der durch fünf verschiedene Hände ging, während ich auch noch versuchte, Christopher im Blick zu behalten. Nach einer wirklich lächerlichen Befragung konnten wir (als wir endlich Christophers Freund Uwe*, der aus Frankfurt gekommen war, in der Abflughalle getroffen hatten) uns auf dem Weg in die Trümmer-Metropole machen.

Der Sozialismus und die Privatwirtschaft
Es gibt eine im Prinzip nette Idee in Kuba: so kann man privat bei Familien übernachten, die dann einen auch noch bewirten. Doch diese Idee wirft ihre Schattenseiten, wie wir im Laufe der Tage feststellen durften. Wir landeten bei Senor Julio, ein nette, älterer Schnauzbartträger, der gepflegt im Unterhemd seine Tage vor dem Fernseher verbringt.

Der Unvermeidliche Che Guevara
Der Unvermeidliche - Che Guevara

Als erstes erfuhren wir, dass er uns bei „einer staatlichen Behörde“ melden muss. Desweiteren ist ja schon klar, dass nur besonders ausgewählte Personen diese Form von Selbstständigkeit nachgehen dürfen. Denn berufliche Selbstständigkeit gibt es ja eigentlich gar nicht. So müssen diese kleinen Privathotels natürlich jeden Monat etwas an die Regierung rausrücken und bekommen sofort empfindliche Strafen, wenn sie das mal nicht tun (z.B. wenn sie in dem Monat zu wenig eingenommen haben). Dafür bekommen sie aber den ach so begehrten Peso convertible (kurz CUC). Den anderen Peso bekommen eigentlich nur die gemeinen Kubaner, aber nicht der gemeine Ausländer, denn der soll ja Devisen ins Land schaffen und darf somit für alles ungefähr das 25fache zahlen. Der gewitzte Kubaner gibt dann aber manchmal im Wechsel auch einmal keine convertiblen Pesos raus und der dumme Ausländer merkt das nicht sofort.

Fidel Castro redet – „Täglich grüßt das Murmeltier“
Kurz vor dem kubanischen Nationalfeiertag am 26. Juli gab es tatsächlich wieder einmal eine Rede von Fidel Castro im Fernsehen, der von zwei Jogginganzugträgern eingerahmt wurde. Irgendwie sah das für mich aus, als wolle er zwei Sportler ehren. Aber unser Gastwirt, Senor Julio, belehrte mich eines Besseren: nein nein, das seien seine Ärzte und wie bei „Täglich grüßt das Murmeltier“ erzählte Fidel das, was er seit 50 Jahren erzählt. Senor Julio ergänzte auch noch, dass Kuba in den Vereinigten Staaten immer noch als Staatsfeind Nr. 1 gelte und ich hatte den Eindruck, dass für einige Kubaner die Invasion in der Schweinebucht immer noch nicht vorüber ist.

Kubanische Parallelwelten
Wenn man sich dann so ein bisschen in Kuba herum tut, gewinnt man als Tourist doch ganz schnell den Eindruck, dass man sich in einer von den Kubanern losgelösten Parallelwelt aufhält: In dem angeblich besten Eiscafé Havannas gibt es eine Ausländerzone und bei den Überlandbussen wird man auch von den Einheimischen getrennt. Dann schaut man sich die Fotomontagen im Nationalmuseum an, läuft mal etwas abseits der Touri-Pfade durch die Stadt und sieht man Armut, Armut, Armut, die schon teils groteske Züge hat. Wenn es mal Baumaterial gibt, gibt es Leute, die nachts vor den Häuserruinen sitzen und es bewachen. In den staatlichen Museen wurden wir regelmäßig von den Mitarbeitern angebettelt, ob wir nicht ein paar convertibles für sie hätten.

Der Revolution entgegen schaukeln
Da man als Tourist sich fast nur auf vorgezeichnete Pfade begeben kann, bleiben einem wahrscheinlich sehr viele Eindrücke verborgen, erspart oder wie immer man es nennen möchte. Als wir südwestlich von Havanna durch das wirklich atemberaubend schöne Tal von Vinales fuhren, bot sich fast durchweg ein Bild: die Leute saßen tagsüber auf ihrer Veranda im Schaukelstuhl. Und ich dachte mir genauso stelle ich mir eine Revolution vor: man schaukelt ihr entgegen. Nein, es ist eher das Sinnbild der Lethargie, die sich fast in allen Gesichtern gezeigt hat. Vielleicht erschöpft von der Hoffnung auf ein besseres Gesellschaftssystem.

Ein bisschen Propaganda muss sein.
Ein bißchen Propaganda muss sein.

Oje, jetzt habe ich bereits soviel geschrieben, dass bestimmt einige bisher gar nicht durchgehalten haben. Deswegen werde ich nun erst einmal enden, ein paar Bildchen einfügen. Von den anderen Ländereindrücken (Belize, Guatemala) werde ich demnächst dann einmal berichten.

Muchos saludos!

Ciudad Mexixo: erinnert sich noch jemand an die Fußball-WM? Außerdem drei Schüsse in den Rücken und die mexikanische Unternehmenskultur.

Solche Mondlandschaften liegen direkt vor der Haustür: der Nevado de Toluca, ein erloschener Vulkan. (foto: koerdt)
Solche Mondlandschaften liegen direkt vor der Haustür: der Nevado de Toluca, ein erloschener Vulkan. (foto: koerdt)

Dieser Artikel ist der fünfte Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City im Jahr 2010. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden.  Wir folgen dem Jahresverlauf und nehmen Anteil an der Fußball-WM in Südafrika. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir die Gegenwart erreichen. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Tja, während in Deutschland die erneute Stärke von Miroslav Klose als „innerer Reichsparteitag“ und „Erlösung“ (zum Glück nicht als „Endlösung“) kommentiert wird, kommen auch Mexi-Fußballkommentatoren nicht so ganz um geschichtliche Parallelen herum.

Heute schießen die Polen für Deutschland
Nachdem Poldoski und Klose den Ball ins Netz geschossen hatten, bemerkte der Sprecher in seiner Euphorie: „Ja, das war ja nicht nett, was die Deutschen da einmal den Polen angetan hat. Aber es ist vergessen: heute schießen die Polen die Tore für Deutschland!“

Leider habe ich den Satz danach nicht mehr verstanden, aber in ihm kam auf jeden Fall das Wort „Konzentrationslager“ vor. Wir haben den deutschen WM-Auftakt standesgemäß in der deutschen Botschaft bei Würstchen, Sauerkraut und Bier verbracht. Die Stimmung war bombastisch, lustigerweise waren die anwesenden Mexikaner viel lauter als die Deutschen. Nun gut, am Freitag hatten sie auch nicht soviel Grund zum Jubeln. Dafür hat der Trikotabsatz der mexikanischen Mannschaft einen astronomischen Absatz gefunden: also es gibt so gut wie niemanden hier, der kein Trikot trägt (die Geschäftsleute tragen es anstatt eines Hemdes und darüber das Sakko).

Drei Schüsse in den Rücken. Ein Toter in der Touri-Falle.
Schön, dann gibt es in den nächsten Wochen ein schönes Smalltalk-Thema und hoffentlich nicht viele Tote in Südafrika. Na ja, eigentlich könnte man den letzten Hoffnungswunsch auf dieses Land übertragen. Vor einer Woche war ich zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Da ich aber bereits anderweitig verabredet war, musste ich die Einladung leider absagen. Am Montag fragte ich dann das Geburtstagskind, wie denn die Feier war und sie wurde etwas wortkarg.

Die Geburtstagsgesellschaft hat eine Bootstour auf den Kanälen in Xochimilco im Süden der Stadt unternommen (übrigens einer der größten Touri-Fallen, in die ich bislang hier reingetappt bin). Als sie vom Bootsanleger wieder zum Hauptplatz bummeln wollten, hörten sie Knallgeräusche und dachten zunächst an ein Feuerwerk. Doch als sie um die Ecke bogen, sahen sie, dass dort gerade jemand erschossen worden war. Drei Schüsse in den Rücken; vom Täter natürlich keine Spur.

Drogenkriminalität nicht nur an der Grenze
Um jetzt nicht den Eindruck zu erwecken, dass das hier Alltag sei: ich habe in der letzten Woche einigen Mexikanern diese Geschichte erzählt und sie waren alle geschockt. Niemand von ihnen (und sie sind in dieser Stadt aufgewachsen) hat jemals eine Leiche in der Straße gesehen. Aber die (Drogen-)Kriminalität spielt sich natürlich nicht nur im Norden des Landes an der Grenze zur USA ab.

Eine Beförderung und fristlos gefeuert – mexikanische Unternehmenskultur
Ansonsten ist es nach wie vor ein friedliches Leben für mich. Ob es so bleibt, wird es sich in den nächsten Wochen zeigen. Meine Kollegin in der Bibliothek hat gekündigt und hört zum Ende der nächsten Woche auf. Ich bin davon total überrumpelt worden; auf einmal habe ich die Leitung inne. Was mir aufgrund meiner natürlichen Faulheit überhaupt nicht passt. Was mir aber abgesehen von dieser Tatsache widerstrebt, ist, dass ich in diesem Zusammenhang kennen lernen durfte, wie mexikanische Unternehmenskultur funktioniert. Wenn die Verwaltung dich auf dem Kicker hat, bist du absolut chanchenlos. Und Fristen gibt es auch nicht: zum Beispiel bekommen die angestellten Lehrer am 30. Juni gesagt, dass sie morgen nicht wiederkommen brauchen. Sie können sich nicht mehr von ihren Kollegen verabschieden und ein Gespräch über die Gründe gibt es auch nicht. Oder sie sind so absurd, dass man damit auch nichts anfangen kann. So hat man im letzten Jahr einem Lehrer gekündigt mit der Begründung, er sähe immer so müde aus.

Ein ein paar Dinge wollen heute abend noch erledigt werden. Ich hoffe, in Deutschland ist alles“ todo bien“.

Bald mehr und hasta luego!

Ciudad Mexico: Eine Bar in Polanco mit schmierigen Machos. Alfredos Brusthaar. Botox oder Tesa – was hilft besser gegen Stirnfalten.

Was hat Guanajuato, die Geburtsstadt Diego Riveras, mit Botox und Stirnfalten zu tun? (foto: koerdt)
Was hat Guanajuato, die Geburtsstadt Diego Riveras, mit Botox und Stirnfalten zu tun? (foto: koerdt)

Dieser Artikel ist der vierte Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City im Jahr 2010. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Mittlerweile habe ich mein erstes Zertifikat einer mexikanischen Uni in der Tasche und bin ein Semester weiter.

Eine Bar in Polanco
Heute bin ich heilfroh, dass ich einen freien Tag habe, denn ich bin noch ein bisserl von dem gestrigen Abend geplättet. Ich war mit Jutta*, die weiterhin versucht mit mir die Untiefen der spanischen Sprache zu erkunden, in einer Bar in der Nähe des Lincoln Parks in Polanco. Dort haben wir Cindy*, die US-Amerikanerin aus dem vorigen Kurs (die mit dem Hausmädchen auf der Terrasse), sowie einige ihrer Freundinnen getroffen.

Cindy hat den Kurs geschmissen, und wie sich gestern herausstellte, ist es in manchen Bereichen auch nicht so wichtig die Landessprache zu beherrschen.

Ich weiß nicht, warum Cindy ausgerechnet diesen Laden vorgeschlagen hat, aber wie sich zeigte, musste man dort als Blondine keine Befürchtung haben keinen Anschluss an die mexikanische Machomännerwelt zu finden.

Alfredos Brusthaar
Es dauerte nicht lange und schon hatten wir Alfredo an unserem Tisch sitzen. Alfredo war so ungefähr das, was man sich landläufig unter einem schmierigen Macho-Mexi vorstellt: das weiße Hemd fast bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, darunter quoll das üppige, gelockte Brusthaar hervor, das noch von einem Goldkettchen mit Kreuzanhänger gekrönt wurde. Das gelockte, nicht mehr so üppige Haupthaar hatte er streng nach hinten gegelt. Kurzum: ein Typ, mit dem frau eigentlich nicht den Abend verbringen möchte.

Schmierige Machos
Nachdem er erfuhr, dass ich aus Deutschland wäre, wurde bei ihm irgendein Fetisch geweckt; er blickte mich aus feuchten, alkoholisierten Augen an und fragte mich, ob ich denn Lufthansa-Stewardess sei. Diese Bar war nämlich der Laden, in dem viele Piloten (der Alfredo übrigens auch war) und eben Stewardessen verkehrten, um sich die Zeit bis zum nächsten Flug zu ‚verkürzen’. Jedenfalls verschwand er irgendwann und einen Augenblick später bekamen wir Gläser und Champagner kredenzt. Wir dachten schon, jetzt übertreibt Alfredo aber. Es war jedoch gar nicht Alfredo, sondern zwei andere Mexi-Machos, die dann auch meinten jetzt unseren Tisch belagern zu dürfen. Jutta seufzte nur noch: Ihr Freund (der auch noch kommen wollte) hätte sie schon vor diesem Laden gewarnt. Ich wiederum war mal wieder die Ahnungslosigkeit in Person.

Der Halbmexikaner
Ihr Freund grinste auch nur noch, als er kam. Er ist Halbmexikaner (die andere Hälfte ist übrigens dänisch) und scheint die mexikanische Männerseele in seinen Grundzügen sehr gut zu kennen. Zum Glück waren für mich, als er auftauchte, die schmierigen Süßholzraspeleien vorbei, denn seine Einstiegsfrage an mich war: Na, Angela Merkel hat wohl zur Zeit einige Probleme. Natürlich hat sie die, behaupte ich mal. Aber seine folgenden Ausführungen, es müssten sich doch jetzt einmal Bürgerwehren gegen die Zahlungen an die Griechen in Deutschland bilden und auch müsste doch meinen Teil dazu beitragen, fand ich dann doch etwas überraschend.

Was tun gegen Falten? Tesa oder Botox?
An guten Ratschlägen mangelte jedenfalls der gestrige Abend nicht: eine Freundin von Cindy erläuterte mir die Vorzüge ihrer Botox-Behandlungen und riet auch mir dringend dazu, zumal sie die beiden Stirnfalten bei mir sehen würde. Botox sei ja auch Prophylaxe und außerdem sei es hier in Mexiko spottbillig. Es folgte ihre Aufzählung, was sie im Laufe der Zeit alles hat so machen lassen und wie billig doch jede Behandlung war. Ich habe ja keine Preisvergleiche, aber dafür einen guten Rat: ich sollte doch wenn ich jetzt zu Hause sei, mir doch die Stirn ‚tapen’, damit ich merke, wenn ich die Stirn runzle, vielleicht käme ich dann noch um eine Botox-Behandlung herum. Seit heute morgen schaue ich die Tesafilm-Rolle auch schon ganz anders an. Und so kommt man auch zu Fragen, die man sich nie gestellt hat: Tesa oder Botox?

Bald mehr und hasta luego!

*Namen geändert

Ciudad Mexico: Desillusionierungen. Beobachtungen und Impressionen aus einem faszinierenden Land.

Bekannter ist der hier und seinen Namen musste fast jeder im Erdkundeunterricht auswendig lernen: der Popocatepetl im Abendlicht. (foto: koerdt)
Ein alter Bekannter. Seinen Namen musste fast jeder im Erdkundeunterricht auswendig lernen: der Popocatepetl im Abendlicht. (foto: koerdt)

Dieser Artikel ist Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City. Heute knüpfen wir an die Osterzeit an. Die vorhergenden Teile der Serie sind hier zu finden.

Hola a todos,

zunächst einmal etwas Trauriges: Belde* hat hingeschmissen und somit werde ich wohl keine weiteren Einblicke in das Welt- und Geschichtsbild einer türkischen Oberschichten-Tochter gewinnen können. Sorry, aber mit einem Exklusiv-Interview wird es wohl nichts mehr.

Auszug aus dem Wolkenkuckucksheim
Dafür bin ich wohl in der letzten Woche aus meinem flauschigen Wolkenkuckucksheim rausgeschmissen worden: während wohl alle Welt denkt –ich war da keine Ausnahme-, der Drogenkrieg tobe im Norden des Landes an der Grenze zur USA wurde ich eines Besseren belehrt. Nur 100 Meter Luftlinie von der Schule entfernt –und die Schule liegt wirklich in einem der betuchten Viertel, dort werden ganze Straßen gesperrt und bewacht, damit die Oberschicht dort in Ruhe ihre Angestellten schikanieren kann- wurden in einer Auseinandersetzung zwischen zwei rivalisierenden Banden (es ging, na klar, um Drogen) zwei Männer erschossen. Zwei der Beteiligten wollten vom Tatort fliehen, dafür rissen sie eine Frau aus ihrem Wagen und verschwanden damit. Diese Frau ist eine Mutter von zwei Schülerinnen der Deutschen Schule und war gerade auf dem Weg dorthin, um die Kinder abzuholen.

Schießereien
Am nächsten Tag erfuhr ich dann von einer weiteren Schießerei, die auf dem Heimweg meiner Kollegin stattgefunden hat. Sie wusste, dass ihre Tochter gerade nach Hause wollte und es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie sich meine Kollegin gefühlt hat. Wahrscheinlich wäre ich an ihrer Stelle vor Angst fast ausgeflippt, aber sie hat wirklich sehr besonnen reagiert. Dennoch war ihre Erleichterung mehr als groß, als sie ihre Tochter endlich telefonisch erreichen konnte.

Drogen – auf dem Schulhof angefixt
Passend dazu las ich dann auch noch einen Artikel, aus dem hervorging, dass die meisten Drogen gar nicht in die Vereinigten Staaten geschmuggelt werden, sondern in die Hauptstadt. Hier ist wohl die Anzahl der Abhängigen in den letzten Jahren rapide angestiegen und es gibt keine richtigen, politischen Programme, die das angehen. Und wo werden die Leute ‚angefixt’? Auf dem Schulhof. Die Deutsche Schule versteckt sich ja hinter Eisentüren und Mauern und wird darüber hinaus von einem Wachdienst kontrolliert. Aber ich möchte nicht wissen, was hier an staatlichen Schulen los ist.

Der Alltag und die Diskriminierung – die Wellblechhütte auf dem Dach
Nach und nach werde ich hier doch auf die kleinen Unterschiede gestoßen, die ich mich teils schon sprachlos zurück lassen. Gestern war ich auf einer „Jewelry Rock Party“: meine US-amerikanische Mitstreiterin im Spanisch-Kurs, Cindy*, entwirft selbst Schmuck und hatte zu einer Art ‚Tupper-Party’ mit Schmuckverkauf geladen. Natürlich war ich neugierig auf die Wohnung, die sich als riesiges Penthouse oberhalb der Dächer von Polanco entpuppte, das sie sich mit einer anderen US-Amerikanerin teilt. Als ich auf die Terrasse trat, stand dort eine kleine Wellblechhütte und ich fragte, ob das so eine Art Abstellkammer sei. Nein, dort würde ihr Hausmädchen mit noch einer Freundin wohnen und sie öffnete kurz die Tür und ich starrte auf eine 90 cm breite Matratze, die auf dem Boden lag.

Die Schönheit mit der falschen Hautfarbe
Nagia* aus dem Kurs wiederum macht ihre Erfahrungen fast von der anderen Seite aus: die Brasilianerin, die wohl unter das Stereotyp milchkaffeebraune Schönheit fallen würde, wird von ihren Nachbarn im Haus nicht gegrüßt. Als sie mal eine Frau nach dem Grund fragte, wurde ihr klargemacht, dass ‚empleadas’, also Dienstmädchen, generell nicht gegrüßt werden.

Wir verleihen nicht an Ausländer
Dagegen wurde mir am letzten Wochenende erst hinterher deutlich, dass ein kleiner Hinweis auch eher diskriminierend gemeint war: wir wollten uns Räder ausleihen und der Typ an der Radstation sagte sehr bestimmend, dass er nur an Mexikaner ausleihe und nicht an Ausländer. Das sei generell so. Auf unseren Einwand, wir hätten uns doch schon einmal an einer anderen Station Räder geliehen, meinte er, sein Kollege dürfe das eigentlich nicht und könnte auch Konsequenzen für denjenigen haben. Wir dackelten davon, um dann zu sehen, dass zahlreiche Ausländer auf Leihrädern unterwegs waren. Tja, solche Feinheiten gibt es auch …

… hasta luego!

* Namen geändert

Ciudad Mexico: Eine kleine Rückschau auf die Osterzeit, Juanito, ein Sprachkurs und die Puderdose als Teil der osmanischen Kultur.

 

Kennt man aus jedem Reiseführer: der Zocalo, der Hauptplatz von Mexiko-Stadt. Dort haben die Spanier einfach mal ne Kirche auf die zerstörten Azteken-Tempel gesetzt. (foto: koerdt)

Dieser Artikel ist Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City. Er beinhaltet heute eine kleine Rückschau auf die Osterzeit, ist aber irgendwie auch zeitlos, denn ehe ihr euch verseht, ist die dunkle Jahreszeit vorbei und Ostern steht wieder vor der Tür. Außerdem pflegen die Beiträge eine gewisse Chronologie, die nicht durchbrochen werden soll. Die beiden ersten Teile der Serie sind hier und hier zu finden.

Hola a todos,

einige haben mich gefragt, wie denn die Osterzeit in Mexiko sei, in diesem hochkatholisches Land. Was soll ich sagen? Ich habe keine Ahnung, hier in meinem Viertel läuft das normale Leben und es finden keine Prozessionen statt. Die gibt es in den Stadtbezirken etwas weiter außerhalb; und eigentlich wollte ich vorgestern auch nach Iztapalapa fahren. Das liegt im Südosten der Stadt und ist bei weitem nicht mehr so kuschelig wie meine „colonia“.

Kermit der Frosch und die ‚barrio‘ sesamo
Ich habe jetzt erfahren, dass die Stadtviertel hier gar nicht ‚barrios‘ heißen, sondern ‚colonias‘, deswegen heißt auch die mexikanische Sesamstraße nicht ‚barrio sesamo‘ wie in Spanien sondern ‚plaza sesama‘; Kermit, der Frosch heißt übrigens René, was wohl eine Anspielung auf rana (Frosch) sein soll, aber ich schweife ab…

Welch‘ ein Mann: Juanito und die Politik
Also, Iztapalapa, dort bin ich nicht hingefahren, weil es mir vorgestern wegen einer dusseligen Erkältung mehr als bescheiden ging. Jedenfalls sollte dort die größte Prozession in dieser Stadt stattfinden. Eigentlich frage ich mich schon, warum ich mir diese katholische Inszenierung anschauen wollte, denn schließlich würde ich das in Deutschland auch nicht tun. Vielleicht weil ich gehofft habe, dort auf Juanito zu stoßen.

Juanito, mit bürgerlichem Namen Rafael Acosta Ángeles, ist seit letztem Jahr dortiger Bezirksbürgermeister. Ich glaube, er hat einen unglaublichen Unterhaltungswert. Früher war er Pornodarsteller und Eisdielenbetreiber. Passenderweise ist er Mitglied der Arbeiterpartei. Diese hätte aber bei den Wahlen nicht die geringste Chance gehabt, da eigentlich die Partei der demokratischen Revolution (PRD) dort die Nase traditionell vorne hat.

Durch ein -ich nenne es mal- unglückliches, vielleicht auch dusseliges Ränkespiel innerhalb der Partei, haben sie den Sieg verspielt: der PRD-Obere Andrés Manuel López Obrador konnte seine Wunschkandidatin nicht durchsetzen und machte Wahlkampf für die Arbeiterpartei und für Juanito (der übrigens López Obrador diesen Namen zu verdanken hat, weil der während einer Wahlveranstaltung seinen richtigen Namen vergessen hat und dann immer von diesem „Hänschen“ sprach), dem er vorher das Versprechen abgerungen hatte, im Falle eines Wahlsiegs sofort zurückzutreten und seiner Wunschkandidatin den Weg freizumachen.

Nach dem Wahlsieg bitte eine Frau
Doch Juanito dachte nach seinem Sieg gar nicht mehr daran. Im Gegenteil: er drehte nach seinem Wahlsieg erst einmal richtig auf und wurde zum absoluten Medienliebling, der auch schon einmal öffentlich-rechtlich verkündet, dass er eine Frau suche: Haarfarbe egal, aber bitte mit „dicken Titten“. Seine Vorbilder, die er in einem Atemzug nennt, sind Fidel Castro, Hugo Chavez und Rambo. Und falls ihr euch selbst einen Eindruck machen wollt, schaut einfach mal bei youtube nach „Juanito“ und „Iztapalapaâ“. Auch wenn ihr kein Wort Spanisch versteht, kriegt ihr schon ein bisserl von der politischen Kultur hier mit.

Zuerst erpresst die Mafia, dann kassiert die Polizei
Auch wenn es ein netter Gedanke wäre, hier im Viertel ein kleines, feines Bistro-Restaurant mit ökologisch-korrektem Essen (ich glaube, das käme bei der Klientel hier gut an) aufzuziehen, so sehr schrecken einen doch die Geschichten über die Korruption ab. Ich habe mal eine Deutsche getroffen, die sich jetzt mit einer deutschen Bäckerei in einem kleinen Ort südwestlich von Mexiko-Stadt selbständig machen wollte. Vorher sei sie in Pachuca gewesen; dort hat sie aufgegeben: zuerst erpressten zwei Mafia-Familien Schutzgeld, als dann auch noch die Polizei kassieren wollte, war es ihr schließlich doch zuviel.

Wie die Gelder zwischen den Parteien hier in Mexico fließen, weiß wahrscheinlich kein Außenstehender und Juanito wird wohl ausreichend von Herrn López Obrador erhalten haben, sonst müsste er auch nicht um sein Leben fürchten, wie er sich jetzt auch einmal im Fernsehen beklagte.

Mein kleiner Spanischkurs
Also, wie gesagt, sonderbar Katholisches kann ich euch nicht über Ostern berichten, dafür schreitet aber mein Spanischkurs an der Uni voran und damit auch die interkulturellen Missverständnisse: ich glaube, ich entwickele ein besonderes Faible für Belde aus Istanbul. Während zwei Frauen aus Brasilien eigentlich sprachlich den Unterricht bestreiten und bei dem Sprachtempo selbst die Lehrerin nicht mehr hinterher kommt zu beurteilen, ob das jetzt schiefes Spanisch sei und ich mich im Vergleich zu deren Temperament als absolute Spaßbremse und trübe, blasse Wurst aus Deutschland wahrnehme, bringt Belde von Zeit zu Zeit Kommentare, die selbst die Copacabana-Chicas verstummen lassen.

Pudern muss sein: eine Einweisung in die türkische Kultur und das großosmanische Welterbe
Mal ein kleiner Seitenhieb auf die Homo-Ehe (das ist ja widerlich), dann ein kleiner historischer Exkurs, der darauf hinauslief, dass doch eigentlich auch der Libanon zum großosmanischen Reich gehöre und somit Herr Slim (Mexikaner, reichster Mann der Welt und Sohn eines Libanesen) eigentlich auch ein halber Türke sei. Womit auch bewiesen sei, dass die Türken die besten Geschäftsleute seien. In einer der ersten Stunden fragte sie mich, ob ich denn Probleme mit den Türken in den Deutschland hätte (sie war darüber verwundert, dass ich Döner und Ayran kannte) und als ich das verneinte, schaute sie mich mit blitzenden Augen an und meinte nur: Ich schon. Die ruinieren völlig das Bild der Türkei in der Welt.

Ach ja, Belde sieht übrigens aus wie ein osmanisches Schneewittchen und tut wohl auch einiges dafür. Ab und an zückt sie das Puderdöschen während des Unterrichts. Ich erntete von ihr auch einmal einen sehr mitleidigen Blick, als ich im Unterricht meinen Tagesablauf schilderte und sie darauf nur meinte: Na, da bleibt ja auch nicht viel Zeit für die Kosmetik.

Damit ich euch noch Zeit lasse (natürlich nicht nur für die Kosmetik), schließe ich jetzt erst einmal …

Also, hasta luego!

Ciudad Mexico und mehr: Beobachtungen und Impressionen aus einem faszinierenden Land. Ankommen.

Ciudad Mexico und mehr: Impressionen (foto: koerdt)
Ciudad Mexico und mehr: Impressionen (foto: koerdt)

Hola a todos,

Also, ich bin gut angekommen, na ja, irgendwie immer noch im Gefühl anzukommen (vielleicht bleibt das auch so).

Die Arbeit und das Drumherum

Die ersten Arbeitstage liefen eher unstrukturiert ab. Nach fast drei Wochen habe ich immer noch nicht meinen Arbeitsvertrag unterschrieben, dafür aber bereits meinen ersten Gehaltsscheck bekommen. Tja, und wer glaubt, daß Behörden etwas typisch Deutsches seien, soll mal nach Mexiko kommen.

Letzte Woche drückte mir Julio* eine Broschüre in die Hand und meinte, ich müsse da noch so ein paar Dinge erledigen. Auch nach mehrmaligen Lesen (und die Broschüre ist auf deutsch), weiß ich immer noch nicht, was ich genau machen und bei wem ich mich melden muß. Dafür gibt es einige lebensparktische Tips: so muß ich mich bei einem Krankenhaus melden (bei welchem erfahre ich erst, wenn ich meine Sozialversicherungsnummer erhalten habe; nur woher die kommen soll, weiß ich auch noch nicht, aber ich soll mich laut Broschüre selbst darum kümmern), das dann für mich zuständig sei. Bei diesem Krankenhaus soll ich mich zwischen 8.00 und 18.00 Uhr melden. Die Broschüre rät mir, um 13.30 dorthin zu gehen und ausreichend Lesestoff mitzunehmen, da man ewig wartet. Nun gut, denke ich mir, dann kann ich auch um 8.00 mit viel Lesestoff dorthin, wenn es sowieso ewig dauert.

Leider kann ich noch gar nicht soviel aus einem mexikanischen Alltag berichten, denn meine Kollegen sind ja überwiegend Deutsche und gucken mehr oder wenig ähnlich in die Welt wie ich.

Mein Stadtviertel (barrio) und die Tussen (fresas)

Ich wohne in Polanco und die Meinungen über dieses Viertel gehen weit auseinander. Zwischendurch war es mir fast unangenehm zu sagen, wo ich wohne, denn Polanco gilt wohl als etwas versnobbt. Ich selber habe das gar nicht so wahrgenommen, denn für mich wirkt das hier alles andere als schicky. Wenn man nicht genau guckt, wohin man tritt, kann es schon einmal passieren, daß man sich schön auf die Nase legt oder unelegant stolpert (letzteres ist mir letzte Woche passiert). Abgesehen von einem großen Kaufhaus um die Ecke, sehen die Restaurants und Bars auch eher nach Sülz, Kreuzberg oder Schanzenviertel aus, aber nicht als sei man auf einmal in der unteren Oberschicht. Tussen heißen hier übrigens ‚fresas‘ (wörtlich Erdbeere, meint aber so etwas Ähnliches wie Früchtchen) und von denen soll es hier angeblich viele geben. Mal abwarten, wie bei mir die ‚fresasierung‘ voranschreitet.

Die spanische Sprache, Mexico-City das Dorf und der Schmugglermarkt

Mit der Sprache werde ich mich auch weiterhin rumschlagen (es ist ja ein Trugschluß, daß man einfach so einmal eine Sprache lernt, nur weil man im Land ist), auch wenn ich sie für meine Arbeit nicht brauche. Zwei Straßen von unserer Wohnung entfernt befindet sich eine Außenstelle der Universität. Ich war in der letzten Woche bei einem Einstufungstest für die Kurse, die diese Woche beginnen. Also, ich war ganz zufrieden mit meinem Ergebnis; nur erfuhr ich dadurch auch, wie klein die Welt ist. Zwei Tage danach traf ich auf dem Weg zum Supermarkt Jasmin, Christophers ehemalige Sprachlehrerin. Zunächst habe ich gar nicht reagiert, da ich zwar meinem Namen gehört habe, ich aber immer noch denke, mich kennt hier doch sowieso keine Sau; dann sah ich aber Jasmin und sie teilte mir auch sofort mit, na, ab nächster Woche Sprachkurs? Basico 3?

Und ich dachte nur, man, das ist auch nur ein Dorf hier.

Mit Jasmin waren wir übrigens direkt nach meiner Ankunft auf dem größten Schmugglermarkt der Stadt (Tepico). Ich bin eben wie auf Autopilot hinter Jasmin hinterher getrottet, die sich dort auskannte. Was wohl im Nachhinein ganz vernünftig war, denn ich habe mir hinterher eine Reportage und einen Film über dieses Viertel angeschaut und gesehen, daß es wohl auch schlecht für eine Weißhaut ausgehen kann, wenn die mal in die falsche Richtung abbiegt.

Der Straßenverkehr und wir Radfahrer

Falsches Abbiegen kann man jedenfalls tagtäglich im Straßenverkehr beobachten. Im Straßenverkehr scheint es nur eine Regel zu geben: es gibt keine. Das hat mich in den ersten Tagen doch ein bisserl fertiggemacht. Mittlerweile weiß ich, daß ich als Fußgängerin nichts gelte, erst recht nicht als Radfahrerin. Christopher und ich haben uns vor einer Woche mal Räder ausgeliehen und ich war heilfroh, als wir endlich den Stadtpark erreicht hatten. Das Vergnügen war aber leider nur von kurzer Dauer, denn nach ungefähr vier, fünf Kilometern ist an meinem Rad die Kette abgesprungen und dabei hat sich das Hinterrad so verzogen, so dass ich das Teil noch nicht einmal schieben konnte. Nachdem wir wie zwei Bekloppte auf das Ding eingetreten haben, ließ es sich wenigstens wieder vorwärts bewegen, und so trotteten wir zurück zur Rad-Station. Die Reaktion dort: nada. Obwohl das Rad echt geschrottet war.

Ein kleiner Urlaub

Gestern waren wir in Tepotzotlán im Norden von Mexiko-Stadt (nicht zu verwechseln mit Tepoztlán im Süden der Stadt, wie mir vorher einige Leute eingeschärft haben). Dort gibt es ein altes Kloster, das zu einem fantastischen Museum umfunktioniert worden ist sowie eine richtig schmucke Innenstadt. Es fühlte sich an wie Urlaub, auch wenn man nur 35 Kilometer gefahren ist. Hoffentlich bleibt das so…

*Namen, wo nötig, geändert